1 Der Fall

Die Klägerin nahm im August 1988 an einer Bergtour zum Rheinwaldhorn in Graubünden teil. Sie hatte sich dazu beim Beklagten, einer Sektion des Deutschen Alpenvereins in der Rechtsform eines e.V., angemeldet. Geführt wurde die Tour von T. einem Mitglied der Beklagten. T. war von dem Tourenwart des Beklagten als ehrenamtlicher Tourenführer zugelassen worden.

Infolge einer unzureichenden Sicherung auf dem Steilstück des Läntagletschers kam es zum Absturz der vierköpfigen Seilschaft. Dabei verunglückte der Tourenführer tödlich. Die Klägerin und ein weiteres Mitglied der Seilschaft erlitten schwere Verletzungen. Die Klägerin war sechs Monate lang bewusstlos und erlangte ihr Sprachvermögen mit starken Einschränkungen erst sieben Jahre später wieder. Noch heute ist sie aufgrund ihrer schweren und dauerhaften Behinderungen pflegebedürftig.

Die Klägerin nahm den Beklagten, dessen Tourenwart und die Erben des Tourenführers T. auf Schadensersatz in Anspruch.

Die gegen den Beklagten und den Tourenwart gerichtete Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Die Erben des Tourenführers wurden dagegen zur Zahlung von 200.000,00 DM Schmerzensgeld, monatlich 800,00 DM Schmerzensgeldrente und 393.777,36 DM Ersatz des materiellen Schadens verurteilt. Weiter wurde ihre Pflicht zum Ersatz des künftigen Schadens der Klägerin festgestellt. Dabei wurde eine Beschränkung der Haftung auf den Nachlass vorbehalten.

Die Erben beschränkten ihre Haftung auf den Nachlass. Der Nachlass wurde verwertet, was zu einer Zahlung von 50.000,00 DM an die Klägerin führte. Aus einer von dem Deutschen Alpenverein für seine Sektionen und die ehrenamtlichen Tourenführer abgeschlossenen Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme in Höhe von 2 Mio. DM je Schadensfall erhielt die Klägerin weitere 500.000,00 DM an Vorschusszahlungen. Wegen der Schadensersatzansprüche auch des anderen verletzten Tourenteilnehmers muss insoweit noch ein Verteilungsverfahren durchgeführt werden. Die Versicherungssumme wird nicht ausreichen, um sämtliche Schadensersatzansprüche der Klägerin und des anderen Tourenteilnehmers zu erfüllen.

Vorbemerkung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in diesem vereinsrechtlichen Urteil zu folgenden Fragen grundsätzlich Stellung genommen:

 
  1. Muss der Verein ein Vereinsmitglied (teilweise) von der Haftung freistellen, wenn dieses im Rahmen der satzungsmäßigen Aufgaben (schuldhaft) einen Schaden verursacht?
  2. Inwieweit haftet ein Mitglied bei grob fahrlässiger Verursachung eines Schadens?
  3. Hat das Mitglied einen Freistellungsanspruch gegen den Verein, wenn eine Vereinshaftpflichtversicherung besteht?
  4. In welcher Höhe besteht ein Freistellungsanspruch gegen den Verein?

2 Das Urteil

Ergebnis des BGH: Ein Verein hat seine Mitglieder grundsätzlich von der Haftung ganz oder teilweise freizustellen, wenn sich bei der Durchführung der satzungsmäßigen Aufgaben eine damit typischerweise verbundene Gefahr verwirklicht hat und dem Mitglied weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.

Dieser Anspruch wird begründet

  1. aus einer entsprechenden Anwendung des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 670 BGB,
  2. aus dem im Arbeitsrecht entwickelten Grundsatz der Risikozurechnung bei Tätigkeiten in fremden Interesse (nämlich des Vereins) und
  3. aufgrund einer Billigkeitserwägung, da es unangemessen ist, wenn ein Verein Mitglieder unentgeltlich einsetzt und diese dann ausschließlich die Haftung zu tragen haben.

Nach Auffassung des BGH entfällt der Freistellungsanspruch des Mitglieds gegen den Verein auch dann nicht, wenn das Mitglied – wie in diesem Fall – verstorben ist und damit der Anspruch den Erben gegenüber dem Verein zusteht. Für die Freistellungspflicht des Vereins kommt es damit nicht darauf an, ob das freizustellenden Mitglied vermögenslos ist und deshalb ohne die Freistellung durch den Verein keine Zahlung an den Geschädigten erfolgt wäre.

Wenn das Gericht feststellt, dass das Mitglied den Schaden grob fahrlässig herbeigeführt hat, entfällt der Freistellungsanspruch gegen den Verein. Dies war im vorliegenden Fall jedoch nicht bejaht worden.

 

Definition der groben Fahrlässigkeit

Grob fahrlässig ist nach der Rechtsprechung ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich grobem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wobei auch subjektive, in der Person des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen sind.

Der BGH hat zur Frage der Haftpflichtversicherung entschieden, dass der freiwillige Haftpflichtversicherungsschutz, den der Verein abgeschlossen hat, einem Freistellungsanspruch nicht entgegensteht. Aufgrund einer derartigen Versicherung wird der Verein nur frei, wenn und soweit der Versicherer die Ansprüche des Geschädigten erfüllt. Aufgrund der Deckungssumme war dies in diesem Fall gerade nicht der Fall.

Der Freistellungsanspruch des Vereins gegenüber seinem Mitglied besteht jedoch nicht unbeschränkt, wie der BGH bestätigt hat. Vielmehr verbleibt je nac...

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