Prof. Dr. iur. Rainer Cherkeh, Prof. Dr. Ronald Wadsack
Steht also die Pflicht jedes Vorstandsmitglieds zur beständigen Selbstkontrolle fest, bedeutet dies auch, dass ein Haftungsgrund vorliegt, wenn diese Pflicht schuldhaft verletzt wird.
Erste Anzeichen negativer Entwicklungen dürfen nicht ignoriert werden!
Vielfach werden erste Hinweise auf eine negative Entwicklung ignoriert oder verdrängt im Vertrauen darauf, es werde schon nicht so schlimm kommen oder im nächsten Jahr wieder besser. Regelmäßig geht damit das bewusste Vertuschen einer bereits bestehenden wirtschaftlichen Schieflage einher aus Furcht vor voreiligen Reaktionen von Mitarbeitern und Geschäftspartnern, die für den Verein nachteilig wären, oder vor dem Verlust des gesellschaftlichen Ansehens (Steffan, a. a. O., 2004, § 37 Rz. 88). Dabei ist es zur Vermeidung einer Insolvenz entscheidend, eine Krise so frühzeitig wie möglich zu erkennen und effektive Sanierungsbemühungen einzuleiten. Je eher dies geschieht, desto mehr Handlungsalternativen verbleiben und desto effizienter und schneller lassen sich Krisen überwinden (siehe auch Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 2004, § 1 Rz. 5 sowie Wadsack, Krisenmanagement für Sportbetriebe – eine betriebswirtschaftliche Einführung, in: Wadsack/Cherkeh u. a., a. a. O., S. 13 [29 ff.]). Je später gehandelt wird, desto höher ist der aufkommende Zeit- und Handlungsdruck. Gerade für ehrenamtliche Vereinsvorstände ist das ein Problem, denn sie haben ohnehin nur ein begrenztes Zeitbudget für die Vereinsarbeit zur Verfügung und müssen zudem mit der emotionalen Belastung durch die Krisensituation umgehen.
Ein funktionierendes Frühwarnsystem schützt vor Krisen.
Damit der Vorstand seine bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit bestehende Antragspflicht erfüllen kann, sollte sich jedes einzelne Vorstandsmitglied darum bemühen, schon frühzeitig einen etwaigen Sanierungsbedarf des Vereins zu erkennen. Denn so lassen sich noch rechtzeitig Maßnahmen erarbeiten und ggf. auch einleiten.
In der Fachliteratur (Haas, a. a. O., S. 1 ff.) wird diese Handlungsvorgabe trefflich mit der Pflicht zur Einführung eines "Frühwarnsystems" umschrieben. Wie die Strukturen eines solchen Risikokontrollsystems im Einzelnen auszugestalten sind, hängt unter anderem von der Größe des Vereins und der Komplexität der Untergliederungen ab.
Doch nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht besteht die Notwendigkeit, ein Frühwarnsystem einzurichten. Der Vereinsvorstand hat zudem die rechtliche Pflicht – angesichts der hier zu betrachtenden Schnittstelle zwischen Krise und Insolvenz – eine unternehmerische Selbstkontrolle (Frühwarnsystem) einzuführen. Die verantwortlich Handelnden sind also schon im Vorfeld einer Krise (rechtlich) verpflichtet, sich einen Überblick über die wirtschaftliche Lage des Vereins zu verschaffen und – auch mit Blick auf etwaige Insolvenzantragspflichten – die "richtigen" Maßnahmen zu ergreifen. Diese ohnehin schon bestehende Verpflichtung wurde zum 1. Januar 2021 noch einmal spezialgesetzlich im Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen ("StaRUG") konkretisiert, das keine Ausnahme für Vereine beinhaltet. Nach § 1 StaRUG haben die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person ("Geschäftsleiter") fortlaufend über die Entwicklungen, die den Fortbestand der juristischen Person gefährden können, zu wachen. Erkennen die Geschäftsleiter solche Entwicklungen, haben sie unverzüglich Gegenmaßnahmen zu treffen und den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen Bericht zu erstatten. Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben nach § 1 Abs. 3 StaRUG unberührt (siehe zum StaRUG im Kontext von Unternehmenskrisen im Sport Schäffler/Stopper, SpuRt 2021, 134 ff.).
Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten kommt sogar eine persönliche Haftung der Organe (Vorstand) des jeweiligen e. V. infrage. Diese Gefahr ist keineswegs nur theoretischer Natur, in der Praxis stellt die persönliche Inanspruchnahme von Organen juristischer Personen für den Insolvenzverwalter eine wichtige Maßnahme zur Generierung von Insolvenzmasse dar (Cherkeh, a. a. O., S. 97, m. w. N.).
Hinweise zur praktischen und frühzeitigen Umsetzung eines solchen Vereinscontrollings werden weiter unten ("5. Vorbeugendes Handeln als Führungsaufgabe") gegeben. Schon an dieser Stelle ist aber erkennbar, dass der Vorstand im Einzelfall sowohl bei der Implementierung eines solchen "Frühwarnsystems" als auch bei der Bewertung der Frage, ob ein Insolvenzgrund vorliegt, aus Haftungsgründen gehalten sein kann, externe Fachleute hinzuzuziehen. Denn wenn der Vorstand mangels eigenen Know-hows nicht in der Lage ist, die gebotene wirtschaftliche Selbstprüfungspflicht zu erfüllen, muss er – will er eine persönliche Haftung vermeiden – geeignete und ggf. vereinsfremde Fachkundige hinzuziehen. Im Ergebnis muss der Vorstand zwei Handlungsalternativen prüfen:
- Muss ein Insolvenzantrag gestellt werden oder
- bestehen geeignete ...