1 Die Entscheidung

Das OLG hat entschieden, dass der Bayerische Jugendring und der Veranstaltungsleiter den materiellen und immateriellen Schaden, den ein damals 9-jähriges Kind bei einer vom Stadtjugendring veranstalteten Jugendfreizeit mit dem Titel "Abenteuer Winterwald" erlitten hatte, ersetzen muss.

2 Was war geschehen?

Der Stadtjugendring veranstaltete in den Faschingsferien 2014 eine Freizeit an einem Jugendbildungshaus an einem Baggersee mit dem Titel "Abenteuer Winterwald". Ausweislich des Flyers bestand das Programm aus "Feuer machen, Unterschlupf bauen, Spuren lesen".

Der damals 9-jährigen Klägerin war im Rahmen der Jugendfreizeit ein Klappmesser übergeben worden, mit dem sie Rinde von Birken abschälen wollte, um Feuer zu machen. Beim Rindenabschälen geriet ihr das Messer in das rechte Auge. Sie erlitt eine perforierende Hornhaut-Iris-Linsenverletzung, die mehrfach operativ versorgt werden musste. Das rechte Auge ist dauerhaft geschädigt.

3 Die Klage

Die Klägerin klagte gegen den StJR auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Zur Begründung trug sie vor, dass anlässlich der Anmeldung zur Veranstaltung und auch später ihre Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin nicht darüber aufgeklärt worden sei, dass während der Veranstaltung mit Messern hantiert werde. Eine Aufklärung der Klägerin selbst sei lediglich hinsichtlich des Auf- und Zuklappens des Messers erfolgt.

Der StJR argumentierte, dass es anhand des Programms von vornherein ersichtlich war, dass Messer zum Einsatz kommen. Die Klägerin sei auch ausreichend in den Gebrauch des Messers eingewiesen worden. Der Unfall sei nur durch einen anweisungswidrigen Umgang mit dem Messer erklärbar. Die Kinder seien auch ausreichend überwacht worden. Sämtliche Vorgaben und Mindeststandards seien eingehalten worden, der Betreuungsschlüssel sei mit 1:5,5 sogar besser gewesen als vorgeschrieben. Eine Entschädigung durch den Unfallversicherer sei bereits erfolgt.

4 Einzelheiten aus der Begründung und wesentliche Argumente

Das OLG München hat – entgegen der Vorinstanz – der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

Kindern im Alter von sieben bis zwölf Jahren im Rahmen einer Freizeit ein Schnitzmesser in die Hand zu geben, stellt nicht von vornherein eine Pflichtverletzung dar.

Die Beklagten mussten aber die Vorkehrungen treffen, die erforderlich und für sie zumutbar waren, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern (§ 832 BGB). Dabei gelte einerseits, dass zugunsten von Kindern ein strenger Sicherheitsmaßstab anzulegen sei, andererseits aber auch, dass ein vollständiges Maß an Sicherheit nicht erreichbar sei und Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren schon ein gewisses Maß an Selbstständigkeit haben und nicht "auf Schritt und Tritt" überwacht werden müssten.

Trotzdem hat das OLG im vorliegenden Fall eine Pflichtverletzung des Beklagten bejaht, und zwar bei der konkreten Belehrung und Beaufsichtigung der damals 9-jährigen Klägerin.

Die Kinder seien zwar zum Umgang mit Messern generell (Zuklappen beim Laufen, Schnitzen vom Körper weg) belehrt worden, die Klägerin sei aber nicht darüber belehrt oder es sei ihr gezeigt worden, wie Rinde abzuschälen sei. Außerdem sei die Klägerin bei dem Schadensvorgang allein gewesen.

Nach Auffassung des Gerichts ist auch der Hinweis, vom Körper weg zu schnitzen, nicht ausreichend gewesen, wenn – wie hier – die Rinde von einem Baum abgeschält werden sollte. Bei einem Baum könne man eben nicht vom Körper weg schnitzen. Es wäre vielmehr geboten gewesen, den Kindern zu erläutern, dass man das Messer gar nicht zum regelrechten Schneiden in die Baumrinde verwenden muss (und soll), sondern dass das Messer allenfalls vorsichtig als unterstützendes Hilfsmittel beim Ablösen loser beziehungsweise leicht lösbarer Rindenteile eingesetzt werden sollte, gegebenenfalls dass auf einen ausreichenden Abstand von Kopf/Körper zum Messer geachtet wird, oder man hätte das Kind beim Abschälen der Rinde mit dem Messer beaufsichtigen müssen.

Als erkennbar gewesen sei, dass die Klägerin mit einem Messer "Rinde abmachen" wollte, hätte es entweder einer vorherigen ausdrücklichen Belehrung und Demonstration bedurft oder jemand hätte mit ihr zum Baum gehen und ihr zeigen müssen, wie es geht.

Die Beweisaufnahme hatte im Verfahren keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Klägerin mit dem Messer "Unsinn machen" wollte oder aus kindlichem Leichtsinn falsch mit dem Messer umgegangen ist.

Fundstellen

OLG München, Urteil v. 29.07.2019, Az.: 21 U 2981/18

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