Prof. Dr. Peter Wollmert, Prof. Dr. Peter Oser
Die Zusammenarbeit der europäischen Enforcer wird von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) koordiniert. Der Umsetzung der europäischen Koordinationsbemühungen dienen sog. European Enforcers Coordination Sessions (EECS), in denen die europäischen Enforcer Erfahrungen austauschen und die Auslegung der IFRS anhand von Praxisfällen diskutieren.
Die ESMA veröffentlicht regelmäßig Auszüge aus ihrer internen Enforcement-Datenbank. In dieser dem Vertraulichkeitsgrundsatz unterliegenden Datenbank werden Entscheidungen europäischer Enforcer gesammelt und als Informationsquelle bei der Durchsetzung der ordnungsgemäßen Anwendung der IFRS verwendet. Durch die Veröffentlichung anonymisierter Enforcement-Entscheidungen sollen nach IFRS bilanzierende Unternehmen und ihre Abschlussprüfer Einblicke in die Entscheidungsfindung der europäischen Enforcer erhalten.
Alle EECS-Entscheidungsberichte sind auf der Homepage der ESMA in der ESMA-Library (http://www.esma.europa.eu/databases-library/esma-library, Abrufdatum: 1.9.2021) abrufbar.
Der 25. Entscheidungsreport der ESMA vom 15.7.2021 betrifft Entscheidungen europäischer Enforcer im Zeitraum November 2019 bis Juli 2020 und umfasst folgende Themen:
2.1.1 Bemessung erwarteter Kreditverluste
Der Abschlussersteller erfasste für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegenüber seinem einzigen Kunden, der gleichzeitig auch ein Gläubiger des Unternehmens war, keine Wertberichtigung für erwartete Kreditverluste. Obwohl die Forderungen und die Verzugszinsen zwischen 8 und 18 Monaten überfällig waren und der Schuldner von den Rating-Agenturen mit einem Rating im Non-Investment-Grade-Bereich bewertet wurde, ging der Abschlussersteller von einer vollständigen Begleichung der Forderungen innerhalb von 6 Monaten nach dem Abschlussstichtag aus.
Der Enforcer stellte einen Verstoß gegen IFRS 9.5.5.17 fest, wonach bei der Bemessung der erwarteten Kreditverluste aus einem Finanzinstrument ein unverzerrter und wahrscheinlichkeitsgewichteter Betrag zu bestimmen ist, indem eine Reihe verschiedener möglicher Ergebnisse ermittelt wird. Die vom Abschlussersteller angenommene Erlösquote von 100 % lehnte der Enforcer vor dem Hintergrund des Schuldnerratings sowie aufgrund der Überfälligkeit über einen längeren Zeitraum ab. Darüber hinaus stellte der Enforcer fest, dass mangels vertraglicher oder gesetzlicher Regelungen kein Recht zur Aufrechnung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen mit Verbindlichkeiten bestand, das nach IFRS 9.B5.5.55 i. R. d. Bemessung der erwarteten Kreditverluste als Sicherheit zu berücksichtigen sein könnte.
2.1.2 Identifizierung von Leasingverhältnissen
Der Abschlussersteller pachtet zum Zweck der Entwicklung, des Baus und des Betriebs von Windparks Grundstücke. Neben den allgemeinen Merkmalen der Grundstücksflächen (wie z. B. der genauen Lage) enthalten die Pachtverträge in einigen Fällen auch Informationen über den Standort der Windräder. In anderen Fällen wird der Standort vom Abschlussersteller implizit mit der Installation der Windräder festgelegt, da die Wahrscheinlichkeit eines Standortwechsels der Windräder während der Vertragslaufzeit äußerst gering ist. Darüber hinaus enthalten die meisten Verträge Klauseln, die es den Grundstückseigentümern gestatten, die nicht vom Abschlussersteller genutzten Teile des Grundstücks für andere, z. B. landwirtschaftliche, Zwecke zu nutzen, sofern diese Nutzung den Betrieb des Abschlusserstellers nicht beeinträchtigt. Der Abschlussersteller war der Ansicht, dass das Vorhandensein dieser Vertragsklauseln erheblich seine Fähigkeit einschränkt, den wirtschaftlichen Nutzen aus dem Grundstück zu ziehen und über dessen Nutzung zu bestimmen. Nach Auffassung des Abschlusserstellers begründeten die betreffenden Pachtverträge daher keine nach IFRS 16 zu bilanzierenden Leasingverhältnisse.
Der Enforcer folgte dieser Einschätzung nicht und verlangte die Bilanzierung von Leasingverhältnissen nach IFRS 16. In seiner Entscheidungsbegründung verwies der Enforcer u. a. darauf, dass der Teil des Grundstücks, der ausschließlich von den Windrädern eingenommen wird (einschließlich des von den Rotorblättern eingenommenen Luftraums) physisch vom Rest des Grundstücks abzugrenzen sei und daher ein identifizierter Vermögenswert vorliege (IFRS 16.B20). Ferner bestimme der Abschlussersteller auch über den genauen Standort der Windräder, indem er dies entweder in den Vertrag aufnehme oder den Standort mit Beginn der Bauphase festlege. Der Enforcer stellte ferner fest, dass der Abschlussersteller auch das Recht zur Ziehung des wirtschaftlichen Nutzens habe, da der Teil des Grundstücks, auf dem sich ein Windrad befindet, ausschließlich mit dem Ziel der Erzeugung von Windenergie genutzt werde. Schließlich treffe der Abschlussersteller auch alle wichtigen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Nutzung des Vermögenswerts während der Vertragslaufzeit, etwa betreffend den täglichen Betrieb der Windräder.
2.1.3 Abschreibung geleaster Vermögenswerte und Demontagekosten
Ein Telekommunikationsunternehmen hatte als Leasingnehmer einen Leasingvertrag ü...