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BAG Beschluss vom 21.02.2001 - 7 ABR 9/00 (veröffentlicht am 21.02.2001)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen

Normenkette

BetrVG 1972 § 1

Verfahrensgang

LAG München (Beschluss vom 03.08.1999; Aktenzeichen 8 TaBV 67/98)

ArbG München (Entscheidung vom 05.05.1998; Aktenzeichen 13 BV 244/94)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts München vom 3. August 1999 – 8 TaBV 67/98 – aufgehoben.

Das Verfahren wird zur anderweiten Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die zu 2) – 4) beteiligten Arbeitgeberinnen einen gemeinsamen Betrieb iSd. Betriebsverfassungsgesetzes führen.

Die Beteiligte zu 2) betreibt in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft ein Verlagsunternehmen mit Sitz in Hamburg, in dem zahlreiche Zeitschriften hergestellt werden. An ihrem Standort in München gibt sie ua. die Zeitschrift „Eltern” heraus und beschäftigt dort etwa 145 Arbeitnehmer. Der im Münchener Betrieb der Beteiligten zu 2) gebildete Betriebsrat (Beteiligter zu 1) ist Antragsteller des vorliegenden Verfahrens. Die Beteiligte zu 3) ist eine GmbH mit dem Sitz in München und gibt ua. die Zeitschrift „Mein Kind und ich” heraus. Sie ist eine 100 %-ige Tochter der Beteiligten zu 2); ihr Geschäftsführer ist Herr R. Sie beschäftigt etwa 18 Arbeitnehmer; bei ihr besteht kein Betriebsrat.

Auch die Beteiligte zu 4) ist eine GmbH mit dem Sitz in München. Die Gesellschaftsanteile werden zu je 50 % von der Beteiligten zu 2) und der französischen Gesellschaft Marie Claire France S.A. gehalten. Sie gibt die deutsche Ausgabe der Zeitschrift „Marie Claire” heraus und beschäftigt etwa 40 Arbeitnehmer. Geschäftsführer ist Herr L. Der dort bestehende Betriebsrat (Beteiligter zu 5) wurde erst im dritten Rechtszug am Verfahren beteiligt.

Der Münchener Betrieb der Beteiligten zu 2) sowie die Betriebe der Beteiligten zu 3) und 4) sind in demselben Gebäudekomplex untergebracht. Ihre Mitarbeiter nutzen dieselbe Telefonzentrale, dieselbe Poststelle und dieselbe Kantine. Bei der Beteiligten zu 2) besteht eine Personalabteilung, die auch die Personalangelegenheiten der Beteiligten zu 3) und 4) abwickelt. Vorgesetzter des Leiters der Personalabteilung ist Herr L, der in einem von der Beteiligten zu 2) erstellten Organigramm als „Verlagsgeschäftsführer” und „Verlagsleiter” der „Verlagsgruppe München” bezeichnet wird.

Die Beteiligten zu 3) und 4) haben mit der Beteiligten zu 2) jeweils eine Reihe von Dienstleistungsverträgen abgeschlossen, die auch die „Personalverwaltung” betreffen. So heißt es zum Beispiel im Vertrag zwischen der Beteiligten zu 2) und der Beteiligten zu 3) vom 10. Dezember 1991, daß die Beteiligte zu 2) für die Beteiligte zu 3) die Abwicklung des Personalwesens wie folgt übernimmt: „Personalverwaltung im Zusammenhang mit Neueinstellungen, Versetzungen und Kündigungen” gegen ein festgesetztes Honorar.

Der am Münchener Standort der Beteiligten zu 2) gebildete Betriebsrat (Beteiligter zu 1) hat die Ansicht vertreten, die in München gelegenen Verlagsbetriebsstätten der Beteiligten zu 2), 3) und 4) bildeten einen einheitlichen Betrieb, der von einem einheitlichen Leitungsapparat, der sich zumindest auf wesentliche Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich erstrecke, gesteuert werde. Dies ergäbe sich vor allem daraus, daß Herr L nicht nur Geschäftsführer der Beteiligten zu 4), sondern auch Verlagsleiter und Verlagsgeschäftsführer der „Verlagsgruppe München” sei, zu der alle Münchener Verlagsbetriebsstätten der Beteiligten zu 2) bis 4) gehörten. Insbesondere auf die Personalangelegenheiten der gesamten Verlagsgruppe München nähme Herr L als Vorgesetzter des Leiters der gemeinsamen Personalabteilung beherrschenden Einfluß; ohne seine Zustimmung könne keine Personalmaßnahme vollzogen werden. Auch bestehe zwischen den Beteiligten zu 2) bis 4) eine erhebliche Personalverflechtung; insbesondere hätten zahlreiche Arbeitnehmer nicht nur mit einer dieser Gesellschaften einen Arbeitsvertrag.

Der Beteiligte zu 1) hat beantragt:

  1. Es wird festgestellt, daß die Verlagsbetriebsstätten der Beteiligten zu 2), 3) und 4) in München (Weihenstephaner Straße 7) einen einheitlichen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes darstellen.
  2. Hilfsweise:

    Es wird festgestellt, daß die Verlagsbetriebsstätten der Beteiligten zu 2) und 3) in München einen einheitlichen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes darstellen.

  3. Weiter hilfsweise:

    Es wird festgestellt, daß die Verlagsbetriebsstätten der Beteiligten zu 2) und 4) in München einen einheitlichen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes darstellen.

Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben beantragt, die Anträge abzuweisen.

Sie haben die Ansicht vertreten, ein gemeinsamer Betrieb liege nicht vor. Insbesondere fehle es an einer Führungsvereinbarung und an einem einheitlichen Leitungsapparat. Zwar nehme die Beteiligte zu 2) eine Reihe von Abwicklungsarbeiten im Personalbereich auch für die Beteiligten zu 3) und 4) vor; dies beruhe jedoch auf den zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Dienstleistungsverträgen. Die Entscheidungen selbst würden vom jeweiligen Geschäftsführer getroffen, wobei die Anweisungen regelmäßig vom jeweiligen Chefredakteur ausgingen. Gegen das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs spreche auch, daß zum Beispiel Arbeitszeiten, Gewinnbeteiligung und Urlaubsfragen in den einzelnen Betrieben unterschiedlich geregelt seien.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1) sein Verfahrensziel weiter. Die Beteiligten zu 2) bis 4) beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Der Beteiligte zu 5) hat sich nicht geäußert.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Denn das Landesarbeitsgericht hat entgegen § 83 Abs. 1 ArbGG den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Seine Entscheidung ist daher nicht rechtsfehlerfrei.

I. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts läßt sich nicht beurteilen, ob die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, ein Gemeinschaftsbetrieb liege nicht vor, zutreffend ist. Insbesondere fehlen tatsächliche Feststellungen zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Tatbestandsmerkmale, von denen nach inzwischen gesicherter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Bestehen eines einheitlichen Betriebs mehrerer Unternehmen abhängt. Nach dieser Rechtsprechung(vgl. insbesondere BAG 14. Dezember 1994 – 7 ABR 26/94 – BAGE 79, 47 = AP BetrVG 1972 § 5 Rotes Kreuz Nr. 3; 3. Dezember 1997 – 7 AZR 764/96 – BAGE 87, 186, 190 f. = AP AÜG § 1 Nr. 24; 24. Januar 1996 – 7 ABR 10/95 – BAGE 82, 112, 116 f. = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 8; 9. Februar 2000 – 7 ABR 21/98 – nv.) ist von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Diese einheitliche Leitung muß sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden.

II. Zwar ist auch das Landesarbeitsgericht von dieser Rechtsprechung ausgegangen. Seiner Würdigung, es gebe keine auch nicht konkludent festzustellende Führungsvereinbarung und keinen einheitlichen Leitungsapparat, liegen jedoch keine ausreichenden Feststellungen zugrunde. Es fehlen jegliche tatsächlichen Feststellungen darüber, wer die Entscheidungen in den personellen und sozialen Angelegenheiten der beteiligten Unternehmen tatsächlich trifft. Insbesondere durch das von der Beteiligten zu 2) erstellte Organigramm und das Bestehen einer einheitlichen Personalabteilung, die letztlich Herrn L unterstellt ist, bestehen erhebliche Indizien dafür, daß die „Verlagsgruppe München” auch im personellen Bereich einheitlich gesteuert wird und daß Herr L hierbei eine zentrale Stellung einnimmt. Einzelheiten hierzu sind jedoch nicht aufgeklärt worden. Ferner ist nicht festgestellt worden, wie weit die Zusammenfassung der Münchener Betriebsstätten der Beteiligten zu 2) bis 4) zu einer „Verlagsgruppe München” organisatorisch reicht, welche Stellung Herr L in dieser Verlagsgruppe einnimmt und insbesondere welche rechtlichen Kompetenzen er in den Personal- und Sozialangelegenheiten hat.

Soweit das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung auf die Zulässigkeit von Dienstleistungsverträgen auch über die Abwicklung von Personalangelegenheiten stützt, rechtfertigt das die Zurückweisung der Anträge des Betriebsrats nicht. Zwar sind derartige Dienstleistungsverträge auch zwischen Konzernunternehmen möglich. Allein durch ihr Bestehen läßt sich jedoch die einheitliche Leitung in Personalangelegenheiten nicht verneinen. Gerade bei der Beauftragung des herrschenden Unternehmens muß vielmehr sorgfältig geprüft werden, ob die tatsächliche Entscheidungsfindung noch bei den einzelnen beteiligten Unternehmen verbleibt und lediglich der Entscheidungsvollzug zentralisiert wird oder ob die maßgeblichen Personen der einzelnen Unternehmen lediglich ihre Wünsche und Vorstellungen an die zentrale Personalführung melden und dort entschieden wird, ob und wie sie umgesetzt werden.

Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist ferner für sich allein nicht aussagekräftig, daß es bei den einzelnen Unternehmen zum Beispiel unterschiedliche Regelungen über Arbeitszeitverteilung und betriebliche Altersversorgung gibt. Auch innerhalb eines Betriebes kann es für einzelne Abteilungen je nach Arbeitsaufgaben und Arbeitsstrukturen jeweils unterschiedliche Regelungen geben.

III. Im erneuten Beschwerdeverfahren, in dem neuer Sachvortrag wieder uneingeschränkt zulässig ist, wird das Landesarbeitsgericht die Feststellungen der entscheidungserheblichen Tatsachen zu treffen und insbesondere aufzuklären haben, wie die Entscheidungsstrukturen in den der Mitbestimmung unterliegenden Angelegenheiten in der Verlagsgruppe München im einzelnen beschaffen sind. Dabei könnte von Bedeutung sein, wie sich die Einscheidungsfindung in den konkreten Einzelfällen vollzieht, zB wie die Entscheidungen bei Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen sowie bei betrieblichen Arbeitszeitregelungen vorbereitet und durchgeführt werden. Bereits in der Antragsschrift hatte der Beteiligte zu 1) behauptet, Herr L treffe alle wesentlichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten. Hierzu bediene er sich der Personalabteilung, die die Personalangelegenheiten für alle Arbeitnehmer in München durchführe. Dem sind die übrigen Beteiligten nie substantiell entgegengetreten, sondern haben lediglich mehr oder weniger pauschal behauptet, die der Mitbestimmung unterliegenden Fragen würden von der jeweiligen Geschäftsführung entschieden und von der Personalabteilung lediglich vollzogen. Dem ist nach Ergänzung des Sachvortrages, zu der das Landesarbeitsgericht aufzufordern hat, nachzugehen.

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Linsenmaier, Zumpe, Olga, Berger

Fundstellen

  • Haufe-Index 632869
  • NZA 2002, 56
  • SAE 2001, 334
  • EzA

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