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BAG Urteil vom 02.12.1999 - 2 AZR 139/99 (veröffentlicht am 02.12.1999)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung der Wartezeit für verlängerte Kündigungsfrist: Anrechnung einer vorherigen Berufsausbildung?

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer nach § 622 Abs. 2 BGB ist ein Berufsausbildungsverhältnis, aus dem der Auszubildende in ein Arbeitsverhältnis übernommen wurde, zu berücksichtigen, soweit die Ausbildung im Unternehmen nach der Vollendung des 25. Lebensjahres des Auszubildenden erfolgte.

 

Normenkette

BGB § 622 Abs. 2; BBiG § 3 Abs. 2, § 9

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 17.11.1998; Aktenzeichen 6 Sa 550/98)

ArbG Augsburg (Urteil vom 23.04.1998; Aktenzeichen 1 Ca 4619/97)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 17. November 1998 – 6 Sa 550/98 – wird auf Kosten des Beklagte zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der damals bereits 25 Jahre alte Kläger war im Ingenieurbüro des Beklagten seit 2. September 1991 als Auszubildender und im Anschluß daran seit 1. September 1993 als technischer Angestellter beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt belief sich zuletzt auf 4.030,00 DM.

Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19. November 1997, dem Kläger zugegangen am selben Tag, zum 31. Dezember 1997 gekündigt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für die Wartezeit des § 622 Abs. 2 BGB sei auch die Zeit der Berufsausbildung zu berücksichtigen, weshalb die Kündigung das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht vor dem 31. Januar 1998 aufgelöst habe.

Er hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 19. November 1997 nicht aufgelöst wird.

Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag unter anderem geltend gemacht, die gesetzliche Kündigungsfrist ergebe sich aus § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil für die Dauer des Arbeitsverhältnisses nur die Zeit ab 1. September 1993 zu berücksichtigen sei.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, das Arbeitsverhältnis habe erst zum 31. Januar 1998 geendet; im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die nur von dem Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos.

Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte auch im übrigen Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die von den Vorinstanzen übereinstimmend vertretene Auffassung, wie bei § 1 Abs. 1 KSchG zähle auch bei § 622 Abs. 2 BGB ein Ausbildungsverhältnis zur Wartezeit, wenn der Auszubildende nach Abschluß der Ausbildung im Betrieb bzw. Unternehmen nahtlos weiterbeschäftigt worden sei, ist nicht zu beanstanden.

Was § 1 Abs. 1 KSchG angeht, entspricht dies der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur (Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG, § 1 Rn. 93; HK-KSchG/ Dorndorf, 3. Aufl., § 1 Rn. 92; KR-Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG Rn. 117; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rn. 78 a; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 4. Aufl., 9 Rn. 20; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 1 Rn. 37; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., S 295; a. A. Friedemann, BB 1985, 1541 ff., dem zuzugeben ist, daß in den von der herrschenden Meinung angezogenen Senatsurteilen vom 23. September 1976 – 2 AZR 309/75 – AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 1 und 26. August 1976 – 2 AZR 377/75 – AP BGB § 626 Nr. 68 die Anrechnung der Ausbildungszeit wohl noch nicht eindeutig entschieden wurde). Mittelbar läßt sich dies aus Art. 6 Abs. 3 des ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes vom 14. August 1969 (BGBl. I S 1106) folgern, wonach bis zum 31. Dezember 1972 auf die Sechsmonatsfrist Zeiten aus einem Lehrverhältnis nur dann angerechnet wurden, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung das 20. Lebensjahr vollendet hatte; diese Überleitungsvorschrift wäre sinnlos gewesen, wenn nicht im allgemeinen Zeiten aus einem Lehrverhältnis anrechenbar wären (vgl. HK-KSchG/Dorndorf, aaO; KR-Etzel, aaO; Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO). Für die Einbeziehung der Ausbildungszeit in die Wartezeit spricht ferner der in § 3 Abs. 2 BBiG festgelegte Grundsatz, wonach auf den Berufsausbildungsvertrag die für den Arbeitsvertrag geltenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze entsprechend anzuwenden sind (vgl. HK-KSchG/ Dorndorf, aaO; KR-Etzel, aaO; Knorr/Bichlmeier/ Kremhelmer, aaO).

Auch zu § 622 BGB, der in Abs. 2 Satz 1 wie § 1 Abs. 1 KSchG undifferenziert auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses abstellt, wurde schon vor der Neufassung durch das KündFG vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S 1668) vertreten, die Berechnung der Wartezeit habe insoweit wie bei § 1 Abs. 1 KSchG und bei § 2 AngKSchG zu erfolgen (vgl. KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 622 BGB Rn. 108, 111 mit Verweis auf KR-Etzel, 3. Aufl., §§ 1, 2 AngKSchG Rn. 16, wonach vorherige Ausbildungszeiten mitzählen). Gleichwohl hat der Gesetzgeber weder mit der genannten Neufassung noch mit einer späteren Gesetzesänderung (Arbeitsrechtliches BeschFG vom 25. September 1996, BGBl. I S 1476) eine abweichende Klarstellung verbunden. Dementsprechend werden in der Literatur auch weiterhin nahtlos vorausgegangene Ausbildungsverhältnisse zur Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 622 Abs. 2 BGB gerechnet (BGB-RGRK/Röhsler, 12. Aufl., § 622 Rn 51; KR-Spilger, 5. Aufl., § 622 BGB Rn. 61; vgl. auch Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG, § 622 BGB Rn. 42 iVm. § 1 KSchG Rn 93; Kittner/Trittin, KSchR, 3. Aufl., BGB § 622 Rn. 30 iVm. § 1 KSchG Rn. 24). Dem schließt der Senat sich an, weil die verlängerten Kündigungsfristen letztlich die Betriebs- bzw. Unternehmenstreue honorieren und der damit typischerweise einhergehenden Verminderung der Flexibilität des Arbeitnehmers Rechnung tragen sollen (vgl. Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 622 Rn. 18). Insoweit macht es aber keinen Unterschied, ob die Zeit im Betrieb bzw. Unternehmen nur in einem reinen Arbeitsverhältnis oder auch in einem Ausbildungsverhältnis verbracht wurde, auf das nach dem Willen des Gesetzgebers gemäß § 3 Abs. 2 BBiG grundsätzlich die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden sind, dh. auch § 622 Abs. 2 BGB.

Anders als ein bloßer, nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses weisungsgebunden beschäftigter Praktikant (vgl. dazu Senatsurteil 18. November 1999 – 2 AZR 89/99 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) ist ein Auszubildender im Berufsausbildungsverhältnis den Weisungen des Ausbildenden unterworfen (§ 9 BBiG). Diese für gewöhnliche Arbeitsverhältnisse kennzeichnende Weisungsgebundenheit spricht ebenfalls dafür, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer im Sinn von § 622 Abs. 2 BGB nicht zwischen gewöhnlichen Arbeitsverhältnissen und Berufsausbildungsverhältnissen zu differenzieren. Dafür spricht schließlich auch noch, daß § 78a Abs. 2 BetrVG den in § 78a Abs. 1 BetrVG genannten Auszubildenden die Möglichkeit einräumt, die Weiterbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit zu verlangen.

Daß es sich bei der Tätigkeit des Klägers im Betrieb vor dem 1. September 1993 um ein Berufsausbildungsverhältnis im Sinne des Zweiten Teils des BBiG handelte, zieht auch die Revision nicht ernsthaft in Zweifel. Dann ist es aber, wie das Landesarbeitsgericht mit Recht angenommen hat, nicht von Bedeutung, ob die Vergütung für den Kläger der Beklagte selbst oder ein Dritter geleistet hat. Daß Ausbildungsverhältnisse bei Berechnung der Wartezeiten des § 622 Abs. 2 BGB in der Regel deshalb keine Rolle spielen, weil sie zumeist vor Vollendung des 25. Lebensjahres beendet sind, ist unerheblich. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich Einschränkungen in der Mobilität der Arbeitnehmer unterhalb dieser Altersgrenze zuzüglich Wartezeit nicht durch verlängerte Kündigungsfristen begünstigen (vgl. bereits die Diskussion im Bundestagsausschuß für Arbeit zum Entwurf des ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes – Kurzprotokoll Nr. 92 vom 2. Juni 1969 S 13). Immerhin ergibt sich aber aus dem in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB verwendeten Begriff „Beschäftigungsdauer”, daß es dem Gesetzgeber entgegen der Ansicht der Revision ersichtlich nicht darum ging, in Satz 1 den Begriff „Arbeitsverhältnis” zu betonen und damit zum Ausdruck zu bringen, die Anrechnung eines Ausbildungsverhältnisses komme trotz § 3 Abs. 2 BBiG nicht in Betracht.

[1]

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Baerbaum, Mauer

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 02.12.1999 durch Anderl, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436335

BB 2000, 725

DB 2000, 1469

DStR 2000, 699

NJW 2000, 1355

NWB 2000, 2612

EBE/BAG 2000, 52

ARST 2000, 176

FA 2000, 100

FA 2000, 159

JR 2001, 308

NZA 2000, 720

ZTR 2000, 276

AP, 0

AUR 2000, 157

KHuR 2000, 76

ZAuR 2000, 89

[1] Vorinstanz-Aktenzeichen,

Verkündungsdatum

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