Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweispflicht bei drohendem Versorgungsschaden
Leitsatz (redaktionell)
1. Arbeitgeber, die an der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) beteiligt sind, müssen jedem ihrer Arbeitnehmer die Satzung der Versorgungseinrichtung aushändigen. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann zu Schadenersatzansprüchen führen, wenn Arbeitnehmer aus Unkenntnis sinnvolle Versicherungsanträge nicht stellen und dadurch einen Versorgungsschaden erleiden.
2. Die Pflichtverletzung des Arbeitgebers ist nicht ursächlich für den Versorgungsschaden, wenn der unterlassene Versicherungsantrag zu einem Zeitpunkt hätte gestellt werden müssen, zu dem seine Zweckmäßigkeit auch für einen Sachkundigen zweifelhaft war.
Normenkette
TVG § 8; BGB §§ 242, 611; VBLSa §§ 21, 28, 37, 41
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 14.10.1983; Aktenzeichen 6 Sa 572/83) |
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 25.04.1983; Aktenzeichen 2 Ca 2241/82) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadenersatz, weil sie nicht auf die Möglichkeit einer rückwirkenden Versicherung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hingewiesen worden ist.
Die am 23. Mai 1920 geborene Klägerin war vom 1. Februar 1942 bis zum 31. März 1945 als Kriegsaushilfsangestellte und vom 2. Juli 1946 bis zum 31. März 1951 als Berufsberaterin beim Arbeitsamt M beschäftigt. Beide Arbeitsverhältnisse bestanden auf unbestimmte Zeit. Aus dem ersten schied sie auf eigenen Wunsch aus, das zweite endete durch Arbeitgeberkündigung nach § 17 TOA.
Aufgrund befristeter Arbeitsverträge war die Klägerin ab 6. November 1967 erneut, und zwar als Aushilfsangestellte, wie folgt beim Arbeitsamt M beschäftigt:
Vom 6. November 1967 bis 30. April 1968,
vom 18. November 1968 bis 30. April 1969,
vom 1. Dezember 1969 bis 31. März 1970
(dieser Vertrag wurde bis 30. April 1970
und noch einmal bis 30. Juni 1970 verlän-
gert),
vom 16. November 1970 bis 30. April 1971
(dieser Vertrag wurde bis 30. September
1971 und noch einmal bis 30. April 1972
verlängert),
vom 15. Mai 1972 bis 30. April 1973.
Mit Wirkung vom 1. April 1973 wurde die Klägerin auf unbestimmte Zeit angestellt. Seit dem 1. Juni 1970 war sie bei der VBL versicherungspflichtig, weil zu diesem Zeitpunkt erstmals ein Aushilfsarbeitsverhältnis die Dauer von sechs Monaten überschritt (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 VBL-Satzung - Stand: Juli 1969 -). Die Beklagte meldete die Klägerin ab diesem Zeitpunkt zur VBL an. Seit 1. Juni 1982 befindet sich die Klägerin im Ruhestand. Nach einer vorläufigen Berechnung, in der als Datum des Versicherungsfalls der 8. März 1982 angenommen wurde, beträgt die Versorgungsrente, die die Klägerin von der VBL zu beanspruchen hat, 539,50 DM monatlich. Die Rente wäre bei gleichem Versicherungsfall um 454,80 DM monatlich höher, wenn die Klägerin bereits ab 1. Dezember 1969 versichert worden wäre. Diese Möglichkeit bestand nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 der VBL- Satzung - Stand: Juli 1969 -. Danach konnte der Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsverhältnis über die versicherungsfreien ersten sechs Monate hinaus verlängert wurde, rückwirkend vom Beginn des Arbeitsverhältnisses an versichert werden. § 4 Abs. 1 des Tarifvertrags über die Versorgung der Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Versorgungs-TV I) vom 29. Dezember 1966 bestimmt, daß ein Antrag des Arbeitnehmers auf rückwirkende Versicherung nur innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten seit der Verlängerung oder Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitgeber gestellt werden kann. Die rückwirkende Versicherung ab dem 1. Dezember 1969 hätte bewirkt, daß die Klägerin vor Vollendung des 50. Lebensjahres, am 23. Mai 1970, den Status der Pflichtversicherten erhalten hätte. Ihre Gesamtversorgung hätte dann bis zur Vollendung einer gesamtversorgungsfähigen Zeit von zehn Jahren 35 % des gesamtversorgungsfähigen Entgelts betragen und wäre in den folgenden 15 Jahren um jährlich 2 %, anschließend um jährlich 1 % bis höchstens 75 % des gesamtversorgungsfähigen Entgelts gestiegen (§ 41 Abs. 2 Satz 1 und 2 VBL-Satzung). Da die Klägerin jedoch erst ab 1. Juni 1970 pflichtversichert war, galt für sie § 41 Abs. 2 Satz 3 der Satzung, der besagt:
"Hat der Versicherte bei Eintritt des Versi-
cherungsfalles das 50. Lebensjahr vollendet
und ist die nach § 42 Abs. 1 gesamtversor-
gungsfähige Zeit kürzer als die Zeit von der
Vollendung des 50. Lebensjahres des Versi-
cherten bis zum Eintritt des Versicherungs-
falles, beträgt die Gesamtversorgung für je-
des Jahr der gesamtversorgungsfähigen Zeit
2 v.H. des gesamtversorgungsfähigen Entgelts;
Sätze 1 und 2 gelten nicht."
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie über die Möglichkeit der rückwirkenden Anmeldung zur VBL aufzuklären. Im Jahr 1974 sei sie durch eine Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) darüber belehrt worden, daß sie in der VBL nicht ordnungsgemäß nachversichert sei und mit einem erheblichen Rentenschaden rechnen müsse. Bei einem Gespräch, das sie im Anschluß daran mit dem Verwaltungsleiter ihrer Dienststelle geführt habe, habe sie feststellen müssen, daß dieser über die Bedeutung der Nachversicherung in ihrem Fall nicht informiert gewesen sei. Auch das von ihr am 16. November 1970 begonnene Arbeitsverhältnis sei nicht zur Versicherung bei der BfA angemeldet worden; das zeige, daß die zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten die einschlägigen Bestimmungen nicht gekannt hätten. Bei ordnungsgemäßer Belehrung hätte sie sich nachversichert. Dies werde dadurch belegt, daß sie sich aufgrund der Auskunft der BfA im März 1975 für die Zeit vom 1. Dezember 1969 bis zum 31. Mai 1970 in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert und dafür 2.862,-- DM aufgewendet habe. Die rückwirkende Versicherung bei der VBL hätte höchstens 160,-- DM gekostet. Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflich-
tet sei, ihr den bereits entstandenen und
für die Zukunft noch entstehenden Schaden
zu ersetzen, den sie durch die unterlassene
Informationspflicht über die Behandlung ih-
rer Mitgliedschaft zur Versicherungsanstalt
des Bundes und der Länder erlitten hat.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, nicht nur der Arbeitgeber habe eine Informationspflicht. Auch der Arbeitnehmer müsse sich aus wohlverstandenem eigenem Interesse selbst informieren. Alle Aushilfsangestellten seien über die Möglichkeit der Nachversicherung unterrichtet worden. Auch sei ihnen immer mit der Bestätigung über die Anmeldung bei der VBL die VBL-Satzung ausgehändigt worden. Es sei nicht anzunehmen, daß im Falle der Klägerin anders verfahren worden sei. Im übrigen habe sie davon ausgehen können, daß die Klägerin sich auch bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht rückwirkend versichern würde. Die Klägerin habe damals nicht erwarten können, in Zukunft die Voraussetzungen einer VBL-Versorgungsrente zu erfüllen. Bei dieser Sachlage sei der Wert einer rückwirkenden Versicherung für sie zweifelhaft gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte haftet der Klägerin nicht auf Ersatz des entstandenen Schadens, weil ihr Verhalten für den Rentennachteil der Klägerin nicht ursächlich geworden ist.
I. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, obliegt dem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes die vertragliche Nebenpflicht, über die bestehenden Zusatzversorgungsmöglichkeiten und die Mittel und Wege zu ihrer Ausschöpfung zu belehren. Diese Belehrungspflicht hat ihren Grund darin, daß der in den öffentlichen Dienst eintretende Arbeitnehmer im allgemeinen über die bestehenden Versorgungssysteme nicht hinreichend unterrichtet ist und vielfach nicht unterrichtet sein kann. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Erklärungen abzugeben, um die tariflich gebotene Zusatzversorgung zu verwirklichen. Unter Umständen bedarf es einer Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bei wem und in welcher Form sowie für welche Zeit Zusatzversorgungsansprüche begründet werden können (BAG 14, 193, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu I der Gründe; Urteil vom 22. November 1963 - 1 AZR 17/63 - AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu 4 der Gründe). Dagegen ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer über die Zweckmäßigkeit unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu belehren. Insoweit können vom Arbeitgeber nur allgemeine Hinweise erwartet werden, wie sich bestimmte Versorgungsgestaltungen in der Praxis auswirken. Die Versorgungsplanung und ihre zweckmäßige Auswahl muß grundsätzlich der Arbeitnehmer selbst verantworten. Seine Entscheidung hängt überdies oft von individuellen Verhältnissen ab, deren Kenntnis sich der Arbeitgeber nicht zu verschaffen braucht. Wenn der Arbeitgeber jedoch auf Verlangen des Arbeitnehmers oder aus eigenem Antrieb Ratschläge zur Versorgungsplanung erteilt, so müssen diese sachlich richtig, eindeutig und vollständig sein (BAG Urteil vom 24. Mai 1974 - 3 AZR 422/73 - AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-VBL, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 17. April 1984 - 3 AZR 383/81 -, zu II 1 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte ihre Vertragspflichten gegenüber der Klägerin verletzt.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin sei den ihr obliegenden Beweis schuldig geblieben, daß die Beklagte ihr die VBL-Satzung nicht ausgehändigt und ihr ferner die Ausschlußfrist des § 4 des Tarifvertrags nicht bekanntgemacht habe. Aufgrund des in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme festgestellten Sachverhalts sei davon auszugehen, daß im Betrieb der Beklagten durchgängig die Praxis bestand, ein Exemplar der VBL- Satzung auszuhändigen, über die Möglichkeit einer rückwirkenden Versicherung aufzuklären und auch die Ausschlußfrist nach § 4 des Tarifvertrags bekanntzumachen. Beweismittel, die geeignet wären, diese Handhabung in ihrem Fall zu widerlegen, habe die Klägerin nicht benannt.
Zu einem besonderen Hinweis auf die Bedeutung, die die Nachversicherung im Falle der Klägerin wegen deren Lebensalter gehabt habe, sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen. Es habe im Hinblick auf die bisherige Entwicklung nicht damit gerechnet werden können, daß die Klägerin im Falle der rückwirkenden Versicherung eine gesamtversorgungsfähige Zeit erreichen werde, die länger sein konnte als die Zeit von der Vollendung des 50. Lebensjahres bis zum Eintritt des Versicherungsfalls.
2. Diese Ausführungen sind nur in ihrem zweiten Teil frei von Rechtsirrtum. Soweit sich das Landesarbeitsgericht mit der Pflicht der Beklagten zur Aushändigung der VBL-Satzung und zur Mitteilung der Ausschlußfrist nach § 4 des Tarifvertrags befaßt hat, ist zu unterscheiden:
a) Die Beklagte hat dadurch, daß sie der Klägerin die Ausschlußfrist nach dem Versorgungs-TV möglicherweise nicht bekanntgegeben hat, keine Pflichtverletzung begangen. Ebensowenig wie der Arbeitgeber allgemein verpflichtet ist, den Arbeitnehmer über die für ihn wichtigen gesetzlichen Bestimmungen zu unterrichten, besteht eine derartige Pflicht im Hinblick auf Tarifnormen. Die Bestimmung des § 8 TVG, die den Arbeitgeber verpflichtet, die für den Betrieb maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen, ist eine reine Ordnungsvorschrift. Sie konkretisiert nicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Eine Begünstigung des einzelnen Arbeitnehmers ergibt sich aus ihr nur als Rechtsreflex (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 8 Rz 1 bis 3, mit weiteren Nachweisen).
b) Anders liegen die Dinge, soweit es um die Aushändigung der VBL-Satzung an die Klägerin geht. Nach § 21 Abs. 2 Buchst. f der VBL-Satzung war die Beklagte verpflichtet, ihren Arbeitnehmern die von der Anstalt zur Verfügung gestellten Druckschriften auszuhändigen und gegebenenfalls zu erläutern. Diese Bestimmung begründet nicht nur eine Pflicht des Arbeitgebers gegenüber der Anstalt, sondern auch gegenüber den Arbeitnehmern (vgl. Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, § 21 B Anm. 2).
Dem Landesarbeitsgericht kann nicht gefolgt werden, soweit es annimmt, die Beklagte habe die Erfüllung dieser Pflicht bewiesen. Das Landesarbeitsgericht verkennt nicht, daß es, nachdem die Klägerin behauptet hatte, sie habe die Satzung nicht erhalten, Sache der Beklagten war, die Erfüllung der Aushändigungspflicht zu beweisen. Dem hat die Beklagte jedoch nicht schon durch den Nachweis genügt, daß die Satzung in ihrem Betrieb üblicherweise den Arbeitnehmern ausgehändigt wird. Nachdem die Klägerin weiterhin bestritt, die Satzung erhalten zu haben, mußte nicht sie Tatsachen vortragen und beweisen, durch die das Beweisergebnis über die ständige Praxis im Betrieb der Beklagten erschüttert wurde. Vielmehr mußte die Beklagte beweisen, daß auch im Falle der Klägerin nach der üblichen Praxis verfahren wurde, etwa durch Vorlage eines von der Klägerin unterzeichneten Empfangsbekenntnisses. Eine tatsächliche Vermutung für die Aushändigung ist nicht begründet. Im Gegensatz zum Landesarbeitsgericht ist somit davon auszugehen, daß die Beklagte der Klägerin die Satzung nicht ausgehändigt hat.
III. Die Vertragsverletzung der Beklagten war jedoch für den Schaden der Klägerin nicht ursächlich.
1. Ursächlich ist das Unterbleiben einer hinreichenden Belehrung dann, wenn diese nicht hinzugedacht werden kann, ohne daß auch das schädigende Verhalten entfällt (Urteil des Senats vom 18. Dezember 1984 - 3 AZR 168/82 -, zu 2 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; Münchner Kommentar- Grunsky, BGB, vor § 249 Rz 92 mit weiteren Nachweisen). Hiervon ist allerdings regelmäßig auszugehen, wenn der Geschädigte umfassend belehrt wird. Es muß unterstellt werden, daß jedermann bei ausreichender Information sein Eigeninteresse in vernünftiger Weise wahrt. Für eine abweichende Beurteilung ist der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig (BGH Urteil vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73 - NJW 1973, 1688; Urteil vom 30. September 1981 - IV a ZR 288/80 - ZIP 1981, 1213).
2. Aber im Falle der Klägerin bestehen Besonderheiten: Die Aushändigung der VBL-Satzung an die Klägerin kann hinzugedacht werden, ohne daß das rentenschädigende Eigenverhalten der Klägerin ausgeschlossen werden könnte. Unterstellt man, die Klägerin hätte die Möglichkeit der rückwirkenden Versicherung erkannt, so könnte die Frage, wie die Klägerin ihr Eigeninteresse in vernünftiger Weise gewahrt hätte, nicht nur in dem von der Klägerin jetzt behaupteten Sinne beantwortet werden. Im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses, am 1. Juni 1970, befand sich die Klägerin in einer beruflichen Lage, die es keineswegs nahelegte, die mit Kosten verbundene rückwirkende Versicherung ab dem 1. Dezember 1969 deshalb durchzuführen, um die günstigere Versorgungsstaffel nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VBL-Satzung erreichen zu können. Im Hinblick auf das bisherige berufliche Verhalten der Klägerin, die nach 16-jähriger Unterbrechung erst von 1967 an wieder arbeitete und dies nur im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse während des Winters und des Frühjahrs tat, war nicht sicher, daß die Klägerin eine gesamtversorgungsfähige Zeit erreichen würde, die mindestens ebenso lang sein würde, wie die Zeit von der Vollendung ihres 50. Lebensjahres bis zum Eintritt des Versicherungsfalls (§ 41 Abs. 2 Satz 3 VBL-Satzung). Im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses bestanden keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin bereits in Kürze ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit anstreben und somit ihr berufliches Verhalten grundlegend ändern würde. Jedenfalls hat die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen, die diesen Schluß rechtfertigten. Dann aber konnte auch ein Absehen von der rückwirkenden Versicherung als eine vernünftige Entscheidung erscheinen. Dafür spricht ferner, daß es zunächst sehr ungewiß war, ob die Klägerin im Zeitpunkt des Versicherungsfalls pflichtversichert und damit überhaupt Inhaberin eines Anspruchs auf Versorgungsrente sein würde (vgl. § 37 Abs. 1 Buchst. a VBL-Satzung). In der konkreten Lage, in der die Klägerin sich am 1. Juni 1970 befand, waren somit beide Verhaltensweisen, die rückwirkende Versicherung und deren Unterlassen, denkbar. Erst später konnte im Rückblick erkannt werden, daß die rückwirkende Versicherung vernünftiger gewesen wäre. Die Nichtaushändigung der Satzung ist somit für den geltend gemachten Schaden nicht ursächlich geworden.
Allerdings trifft regelmäßig den Schädiger die Beweislast dafür, daß der Schaden auch bei vertragsgemäßer Aufklärung eingetreten wäre, weil der Geschädigte sich über dabei hervortretende Bedenken hinweggesetzt haben würde (vgl. BGH, ZIP 1981, 1213, 1215). Aber diese Beweislastregel kann hier nicht eingreifen. Der vorliegende Fall ist nämlich dadurch gekennzeichnet, daß in den Monaten Juni bis August 1970, in denen die rückwirkende Versicherung ab 1. Dezember 1969 hätte durchgeführt werden müssen, noch nicht erkennbar war, die Klägerin werde dadurch den letztlich eingetretenen Schaden verhindern können. Erst als ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit begründet wurde (1. April 1973) und damit feststand, daß die zwischen dem 1. Juni 1970 und dem Beginn des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit angefallenen Zeiten der Arbeitslosigkeit insgesamt kürzer waren als die gesamtversorgungsfähige Zeit, die durch die rückwirkende Versicherung hätte hinzugewonnen werden können, wurde deutlich, daß es für die Klägerin günstiger gewesen wäre, wenn sie von der Möglichkeit der rückwirkenden Versicherung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 der VBL-Satzung Gebrauch gemacht hätte.
Dr. Dieterich Schaub Dr. Peifer
zugleich für den
ehrenamtl. Richter
Dr. Hromadka, des-
sen Amtszeit inzwi-
schen geendet hat.
Lichtenstein
Fundstellen
Haufe-Index 438707 |
RdA 1986, 134 |
AP § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen (LT1-2), Nr 12 |
EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht, Nr 41 (LT1-2) |
EzBAT § 8 BAT Fürsorgepflicht, Nr 9 (LT1-2) |
VersR 1986, 691-692 (LT1-2) |