Rz. 8e
Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund eines Menschen dar. Bei den Kontextfaktoren unterscheidet man zwischen
- Umweltfaktoren (Um- und Mitwelt) und
- Person-bezogene Faktoren (z. B. Einstellungen, Bildung, Lebensstil, Religion, Beruf des behinderten Menschen).
2.5.5.1 "Umweltfaktoren"
Rz. 8f
Die "Umweltfaktoren" bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten, ab. Zu den umweltbezogenen Kontextfaktoren zählt nicht nur der Kontakt zu der Familie und zur Nachbarschaft, sondern auch die Möglichkeit der Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben. Die umweltbezogenen Kontextfaktoren berücksichtigen ferner u. a.
- den Umfang und die Art der Unterstützung durch die Familienangehörigen, Hilfs- und Pflegepersonen etc.,
- die individuellen Einstellungen der Familie und der sonstigen Bezugspersonen,
- die Hilfen und Dienste "fremder" Menschen und
- die äußeren Lebensumstände und -besonderheiten (z. B. Verhältnisse am Arbeitsplatz, Wohnung in der 3. Etage ohne Aufzug).
Die Umweltfaktoren können positive oder negative Effekte (Förderfaktoren oder Faktoren, die hemmen) sowohl auf den Teilhabebedarf als auch auf den Rehabilitations- und sonstigen Teilhabeprozess haben.
Ein 5-jähriges Kind leidet an Diabetes. Bei ihm muss zweimal am Tag Insulin gespritzt werden. Die beiden ausländischen Eltern kümmern sich um die Gesundheit des Kindes wenig, da nach ihrer Kultur schwerkranke Kinder nicht zu unterstützen sind. Nach deren Auffassung zählt ihr Kind jetzt zu den schwerkranken Kindern. Weil die Eltern das Kind beim Spritzen des Insulins nicht mehr unterstützen und der Diabetes immer wieder entgleist, wird das Kind regelmäßig in kurzen zeitlichen Abständen im Krankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen. Das Kind kann wegen der Krankenhausaufenthalte und der geschwächten Gesundheit nicht mehr regelmäßig den Kindergarten besuchen und auch nicht regelmäßig mit anderen Kindern spielen.
Lösung:
Wenn sich an der familiären Situation nichts ändert, wird sich nicht nur der Gesundheitszustand des Kindes verschlechtern, sondern auch dessen soziale Aktivitäten. Das Kind gilt deshalb als behindert.
Anmerkung des Autors: z. B. durch sozialmedizinische Nachsorgeleistungen (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) muss an den Einstellungen der Eltern gearbeitet werden.
Bezüglich weiterer Ausführungen – insbesondere wegen der positiven oder negativen Folgen der Umweltfaktoren – wird auf die Ausführungen zu Rz. 8h verwiesen.
2.5.5.2 Person-bezogene Kontextfaktoren
Rz. 8g
"Person"-bezogene Kontextfaktoren – also Kontextfaktoren, die in der Person des Betroffenen begründet sind – sind Eigenschaften und Attribute des betroffenen Menschen. Zu den personbezogenen (= in der jeweiligen Person des Betroffenen begründeten) Kontextfaktoren zählen also die Umstände, die sich auf den betrachteten Menschen als Individuum selbst beziehen. Zu den maßgeblichen Faktoren zählen die
- soziodemografischen und biografischen Faktoren (z. B. Alter, Nationalität, Bildung, Familienstand, Wohnsituation, sozioökonomischer Status),
- genetischen Faktoren (z. B. Geschlecht, genetische Marker),
- Faktoren des Alters und der Alterung (z. B. Entwicklungsalter, soziales Alter, Leistungsalter, biologisches Alter),
- physischen Faktoren (z. B. Körperbaudimensionen und -proportionen wie Fettanteil usw.),
- psychischen Faktoren (z. B. Einstellungs- und Verhaltensmerkmale, Persönlichkeitsakzentuierungen, Intelligenz, Motive, Interessen),
- Lebensstil- und Schutzfaktoren der Gesundheit (z. B. Ernährung, Bewegung, Einstellungsfaktoren, soziale Kompetenz, Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit),
- anderen Gesundheitsprobleme und Interventionen (z. B. zurückliegende Krankheiten, Verletzungen, deren Folgen, Interventionen, Operationen).
Bezüglich weiterer Ausführungen – insbesondere wegen der positiven oder negativen Folgen der "person"-bezogenen Kontextfaktoren – wird auf die Ausführungen zu Rz. 8h verwiesen.
2.5.5.3 Auswirkungen von umwelt- und "person"-bezogenen Kontextfaktoren
Rz. 8h
Die umweltbezogenen (Rz. 8f) und die "person"-bezogenen Kontextfaktoren (Rz. 8g) können sich letztendlich auf den Rehabilitationsverlauf und die Teilhabe
- negativ (z. B. Migrations-/Sprachprobleme, fehlende Teilzeitarbeitsplätze, das Suchtverhalten fördernde Bezugspersonen, mangelnde Motivation, sonstige Barrieren) oder
- positiv (z. B. Förderfaktoren wie gute Unterstützungsbereitschaft der Familienangehörigen, gute Ausbildung, noch jung, behindertengerechte Wohnung bereits vorhanden)
auswirken. Daher sind bei der Beurteilung der funktionalen Gesundheit eines Menschen stets seine positiven oder negativen Kontextfaktoren zu berücksichtigen. Die umwelt- und personbezogenen Kontextfaktoren können somit die Partizipation/Teilhabe fördern oder erschweren bzw. unmöglich machen (z. B. fehlender Wille, sich gesundheitlich zu verändern). Besteht zwar ein grundsätzliches Reha-Potenzial, das jedoch aufgrund der individuellen Kontextfaktoren nicht ausschöpfbar ist, besteht keine Reha-Fähigkeit.
Beispiel 1:
Ein Mann leidet seit 20 Jahren unter Alkoholabhängigkeit. Sein Körper ist inzwischen sehr i...