Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung und Gruppenschutz im Betriebsrat
Leitsatz (amtlich)
- Die Verteilung der nach § 38 Abs. 1 BetrVG gebotenen Freistellungen auf die im Betriebsrat vertretenen Gruppen richtet sich nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren.
- Nach § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG i.d.F. des Gesetzes vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2312) steht eine von der gesetzlichen Verteilung der Freistellungsplätze abweichende Zuordnung auf die im Betriebsrat vertretenen Gruppen nicht (mehr) zur Disposition des Betriebsrats oder einer in ihm vertretenen Gruppe.
- Haben sich weniger Mitglieder einer Gruppe bereiterklärt, sich von der Arbeit freistellen zu lassen, als Freistellungen auf die Gruppe entfallen, so gehen die nicht genutzten Freistellungen auf die andere Gruppe über.
Normenkette
BetrVG § 38 Abs. 2 S. 3 n.F., § 19; ZPO § 81
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Beschluss vom 27.03.1991; Aktenzeichen 15 TaBV 115/90) |
ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 27.09.1990; Aktenzeichen 2 BV 78/90) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des beteiligten Betriebsrates gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. März 1991 – 15 TaBV 115/90 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Antragsteller sind Mitglieder des für die Filiale D… der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 7) gebildeten Betriebsrates (Beteiligter zu 6). Sie fechten die vom Betriebsrat am 18. Mai 1990 durchgeführte Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder an, die sie für rechtswidrig halten.
Der Betriebsrat wurde im Frühjahr 1990 neu gewählt. Es fand eine gemeinsame Wahl (§ 14 Abs. 2 BetrVG) mit zwei Listen statt. In den aus 15 Mitgliedern bestehenden Betriebsrat sind über die DAG-Liste zehn Mitglieder gewählt worden. Die übrigen fünf Mitglieder des Betriebsrates, die Antragsteller, sind über die HBV-Liste gewählt worden. Dem Betriebsrat gehören zwölf Angestellte und drei Arbeiter an. Zum Vorsitzenden wurde ein Arbeiter aus der Liste der DAG gewählt.
In der Betriebsratssitzung vom 18. Mai 1990 stand die Wahl der drei von der Arbeit freizustellenden Betriebsratsmitglieder an. Dabei ging der Betriebsrat davon aus, daß unter Zugrundelegung von § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG alle drei Freistellungen der Gruppe der Angestellten zustünden. Dies wurde unter Anwendung des Höchstzahlverfahrens nach d'Hondt ermittelt. Die der DAG nahestehenden Mitglieder der Gruppe der Angestellten machten darauf den Vorschlag, zugunsten der Gruppe der Arbeiter auf eine der drei Freistellungen zu verzichten. Die Antragsteller, von denen vier zur Gruppe der Angestellten zählen, hielten eine Abstimmung darüber für nicht zulässig. Sie gaben hierzu eine Protokollerklärung ab und beteiligten sich aus Protest nicht an der Abstimmung. Die verbliebenen acht Angestellten stimmten mit 8 : 0 Stimmen für den Verzicht.
Sodann wurde abgestimmt, wer freigestellt werden sollte. Hieran nahmen alle Betriebsratsmitglieder teil. Zunächst wurde beschlossen, aus der Gruppe der Arbeiter Herrn D… freizustellen (10 : 5 Stimmen). Sodann wurde über die verbliebenen zwei Freistellungen aus der Gruppe der Angestellten beschlossen. Hierfür lagen zwei Wahlvorschläge vor. Auf den DAG-Vorschlag mit zwei Bewerbern entfielen zehn Stimmen, auf den Vorschlag der Antragsteller fünf. Die Zuteilung der Freistellungen wurde nach dem Höchstzahlverfahren (d'Hondt) vorgenommen. Da die zweithöchste Teilzahl (5) doppelt vorhanden war, wurde das Los gezogen. Der Losentscheid fiel zu Lasten der HBV-Liste.
Die Antragsteller haben mit ihrem am 1. Juni 1990 eingereichten Antrag geltend gemacht, die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden und deshalb entsprechend § 19 BetrVG anfechtbar:
Die Verteilung der Freistellungen auf die Gruppen sei durch die Novelle vom 20. Dezember 1988 in § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zwingend geregelt, so daß ein Verzicht zugunsten einer anderen Gruppe nicht möglich sei. Den Gruppen fehle es bereits an der Legitimation zu einem derartigen Verzicht. Zwar könne der persönliche Verzicht jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe auf Freistellung dazu führen, daß die nicht wahrgenommene Freistellung der anderen Gruppe zufalle. Daraus folge jedoch nicht das Recht, durch Beschluß der Gruppe eine andere Aufteilung der Freistellungen herbeizuführen, da beide Sachverhalte nicht vergleichbar seien.
Selbst wenn man eine andere Verteilung der Freistellungen durch Beschluß für möglich halte, sei die Wahl hier fehlerhaft gewesen, weil ein solcher Beschluß nur im Einvernehmen aller Mitglieder der verzichtenden Gruppe möglich sei und dieses Einvernehmen hier nicht vorgelegen habe.
Durch die Aufteilung der Entscheidungen auf zwei Wahlgänge sei zudem gegen § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verstoßen worden. Es hätte über alle drei Freistellungen in einem einzigen Wahlgang abgestimmt werden müssen.
Die Antragsteller haben beantragt,
die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder vom 18. Mai 1990 für unwirksam zu erklären.
Der beteiligte Betriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, das vorliegende Verfahren sei unzulässig. § 19 BetrVG sei hier nicht analog anwendbar, da es sich bei der Bestimmung der freizustellenden Mitglieder um Akte der Geschäftsführung und nicht um Wahlen handele. Ebenso wie andere Geschäftsführungsbeschlüsse des Betriebsrates seien auch diese Entscheidungen nur eingeschränkt rechtlich überprüfbar. Soweit die Verzichtsentscheidung der Gruppe der Angestellten angegriffen werde, sei ein Zusammenhang mit den Wahlvorschriften des BetrVG nicht erkennbar.
Der Antrag sei jedoch auch unbegründet. Die Wahl der freizustellenden Mitglieder sei rechtsfehlerfrei verlaufen. Die Mehrheitsgruppe sei befugt, zugunsten der Minderheitsgruppe auf eine Freistellung zu verzichten; dies könne zur Durchsetzung des Gruppenschutzes – wie hier – geradezu geboten sein. Anderenfalls hätte der Vorsitzende des Betriebsrates nicht freigestellt werden können. Wegen der Bedeutung des Gruppenschutzes im Betriebsverfassungsgesetz könne es auch nicht darauf ankommen, ob durch den Verzicht der Minderheitenschutz innerhalb der Gruppe berührt sei. Es sei fraglich, ob ein solcher Beschluß nur im Einvernehmen aller Gruppenmitglieder ergehen könne; auf den persönlichen Verzicht jedes Mitglieds der Gruppe könne es jedenfalls nicht ankommen, da die Freistellungschance kein Recht der betroffenen Mitglieder sei. Im übrigen sei die Entscheidung einstimmig gefallen; die Stimmenthaltungen der Antragsteller müßten als nicht abgegebene Stimmen angesehen werden.
Die beteiligte Arbeitgeberin hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben dem Antrag stattgegeben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der beteiligte Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrages. Die Antragsteller beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde. Sie halten die Rechtsbeschwerde des beteiligten Betriebsrates bereits für unzulässig und tragen dazu vor: Weder bei der Einlegung des Rechtsmittels noch beim Ablauf der Rechtsmittelfrist habe ein Beschluß des Betriebsrates vorgelegen, gegen die ergangene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vorzugehen. Der Beschluß sei erst später gefaßt worden. Der Verfahrensbevollmächtigte des beteiligten Betriebsrates habe demnach ohne Vollmacht gehandelt, als er die Rechtsbeschwerde eingelegt und begründet habe.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
I. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates nicht deshalb unzulässig, weil der Betriebsrat erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beschlossen hat, das vorliegende Verfahren weiterzubetreiben und dementsprechend Rechtsbeschwerde einzulegen. Die Antragsteller meinen zu Unrecht, hieraus ableiten zu können, daß der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrates bei der Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht gemäß § 81 ZPO bevollmächtigt gewesen und die Rechtsbeschwerde deshalb unzulässig sei.
Der Betriebsrat hat seinen Verfahrensbevollmächtigten bereits in den Vorinstanzen Verfahrensvollmacht erteilt. Eine derartige Verfahrensvollmacht (Prozeßvollmacht) ermächtigt gemäß § 81 ZPO zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17. April 1984 – GmS OGB 2/83 –, BGHZ 91, 111, 114 = NJW 1984, 2149). Dazu gehören alle Handlungen, die dem Betreiben des Verfahrens dienen (vgl. BAG Urteil vom 10. August 1977 – 5 AZR 394/76 – AP Nr. 2 zu § 81 ZPO, zu I 1a aa der Gründe). Insbesondere umfaßt die Verfahrensvollmacht auch die Befugnis, Rechtsmittel einzulegen und zu begründen (vgl. statt vieler: BGH Beschluß vom 20. Juni 1984 – V ZB 42/83 – VersR 1984, 789, 790, m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., § 81 Anm. 2 A). Für die Zulässigkeit des Rechtsmittels kommt es nur darauf an, daß der Verfahrensbevollmächtigte (Prozeßbevollmächtigte) im Besitz einer solchen Prozeßvollmacht ist (vgl. GmS OGB, aaO). Dies war aber hier der Fall. Ob der Verfahrensbevollmächtigte im Innenverhältnis bereits bei der Einlegung des Rechtsmittels entsprechend beauftragt war, ist für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels ohne Bedeutung.
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder im Ergebnis zu Recht wegen Verstoßes gegen § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG für unwirksam erklärt.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegegangen, daß die Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG innerhalb der dort vorgesehenen Frist von zwei Wochen nach Abschluß der Wahl durch ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder angefochten werden kann, wenn gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden ist. Das hat der Senat bereits in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluß vom 15. Januar 1992 – 7 ABR 24/91 – entschieden. Die Erwägungen der Rechtsbeschwerde geben dem Senat keinen Anlaß, diese Rechtsprechung aufzugeben. Die Bestimmung des § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ist auch eine wesentliche Wahlvorschrift, deren Nichtbeachtung zur Anfechtbarkeit des Freistellungsbeschlusses führt mit der Folge, daß bei rechtzeitiger Anfechtung die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder für unwirksam zu erklären ist, es sei denn, daß der Fehler auf das Wahlergebnis keinen Einfluß gehabt haben kann. Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller, die als Betriebsratsmitglieder anfechtungsberechtigt sind, den Freistellungsbeschluß des Betriebsrates fristgerecht beim Arbeitsgericht angefochten.
2. Das Landesarbeitsgericht hat die Anfechtung auch mit Recht durchgreifen lassen. Bei der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder ist gegen § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2312) verstoßen worden. Nach dieser Vorschrift sind bei den Freistellungen die Gruppen im Verhältnis ihrer Vertretung im Betriebsrat zu berücksichtigen. Das ist hier nicht geschehen.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß bei der vorliegenden Verteilung der Sitze des Betriebsrates auf die in ihm vertretenen beiden Gruppen alle drei Freistellungen der Gruppe der Angestellten zustehen. Der Betriebsrat besteht aus insgesamt 15 Mitgliedern. Drei Mitglieder gehören der Gruppe der Arbeiter an, 12 der Gruppe der Angestellten. Der Betrieb, in welchem der beteiligte Betriebsrat gewählt worden ist, umfaßt 1001 bis 2000 Arbeitnehmer, so daß gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG drei Betriebsratsmitglieder freizustellen sind. Alle drei Freistellungen entfallen entsprechend dem Höchstzahlverfahren (nach d'Hondt) auf die Gruppe der Angestellten. Dies Höchstzahlverfahren ist hier anzuwenden.
Während für das Personalvertretungsrecht in § 46 Abs. 3 BPersVG ausdrücklich die Anwendung des Höchstzahlverfahrens für die Verteilung der weiteren Freistellungen der Beamten, Angestellten und Arbeiter vorgeschrieben ist, fehlt im Betriebsverfassungsgesetz eine ausdrückliche Regelung, nach welchem Verfahren die Zahl der den beiden im Betriebsrat vertretenen Gruppen der Angestellten und der Arbeiter jeweils zustehenden Freistellungen zu ermitteln ist. Gleiches gilt auch für die Verteilung der Sitze des Betriebsausschusses und der weiteren Ausschüsse des Betriebsrates auf die beiden Gruppen (§ 27 Abs. 2, § 28 Abs. 2 BetrVG). Aus dem Fehlen einer solchen Regelung kann aber nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe es dem Betriebsrat überlassen wollen, welches der möglichen Verfahren er anwenden will, und es damit in Kauf genommen, daß die Verteilung der Freistellungen oder der Sitze in den Ausschüssen des Betriebsrates auf die Gruppen in Grenzfällen je nach dem angewendeten Verfahren unterschiedlich ausfällt. Angesichts des Gruppenschutzes, dem die Regelungen über die Berücksichtigung der Gruppen bei der Zahl der Freistellungen und bei der Zusammensetzung der Ausschüsse des Betriebsrates dienen, kann nicht angenommen werden, daß die Verteilung der Freistellungen und der Ausschußsitze auf die Gruppen – wenn auch nur in Grenzfällen – durch das von ihr zu bestimmende Verfahren zur Disposition der Betriebsratsmehrheit stehen sollte. Vielmehr muß das anzuwendende Verfahren eindeutig feststehen.
Soweit das Betriebsverfassungsrecht an anderer Stelle Regelungen über das anzuwendende Verfahren bei der Ermittlung der Verteilung der Betriebsratssitze enthält, ist das Höchstzahlverfahren nach d'Hondt vorgeschrieben. Das gilt nach § 5 WahlO BetrVG 1972 für die Verteilung der Betriebsratssitze auf die im Betrieb vertretenen Gruppen und nach den §§ 15 und 16 WahlO BetrVG 1972 für die Verteilung der Sitze bei der Gruppenwahl und bei der gemeinsamen Wahl, wenn mehrere Vorschlagslisten zur Wahl stehen. Dagegen werden andere Verfahren wie etwa das System der mathematischen Proportion, wie es von Hare-Niemeyer entwickelt worden ist, weder im Betriebsverfassungsgesetz noch in der hierzu erlassenen Wahlordnung angesprochen. Es ist daher auch im Interesse einer einheitlichen und praktikablen Handhabung in den Betrieben sachgerecht, an die genannten Bestimmungen der Wahlordnung zum BetrVG und an die erwähnte Regelung im Bundespersonalvertretungsgesetz anzuknüpfen und auch bei der Verteilung der Freistellungen auf die im Betriebsrat vertretenen Gruppen nach § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG das Höchstzahlverfahren nach d'Hondt anzuwenden. Die Anwendung des Höchstzahlverfahrens im Rahmen des § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG wird auch im Schrifttum befürwortet (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 38 Rz 26; Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 3. Aufl., § 38 Rz 35; Wiese, GK-BetrVG, Nachtrag zu Bd. I (1991), § 38 Rz 32; Dänzer-Vanotti, AuR 1989, 204, 209 f; ebenso für die Sitzverteilung in den Betriebsratsausschüssen: Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 27 Rz 12; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 27 Rz 21; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 27 Rz 8; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 27 Rz 13; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 27 Rz 8; Stege/Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., § 27 Rz 4).
Nach diesem Berechnungsverfahren stehen, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, der Gruppe der Angestellten im vorliegenden Fall alle drei Freistellungsplätze zu.
3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts erlaubt die Neufassung des § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht mehr, von der hiernach vorzunehmenden Sitzverteilung durch Beschluß der Mehrheitsgruppe zugunsten der Minderheitsgruppe abzuweichen, selbst wenn man – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – für den Beschluß der Mehrheitsgruppe Einstimmigkeit voraussetzt.
a) Bereits der Wortlaut des § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zeigt, daß die Verteilung der Freistellungen auf die Gruppen nicht mehr zur Disposition des Betriebsrates oder auch nur der Gruppen oder der Mehrheitsgruppe steht, denn das Gesetz bestimmt ausdrücklich: “Die Gruppen sind entsprechend dem Verhältnis ihrer Vertretung im Betriebsrat zu berücksichtigen.” Damit hat der Gesetzgeber eine Formulierung gewählt, die schon von ihrem Wortlaut her nur als unausweichliches Gebot zu verstehen ist.
b) Zu demselben Ergebnis führt ein Vergleich der neuen mit der früheren Rechtslage. Die neue Fassung des § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ist durch die Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2312) in das Betriebsverfassungsgesetz eingefügt worden. Zuvor waren bei der Verteilung der Freistellungen die Gruppen nur angemessen zu berücksichtigen (§ 38 Abs. 2 Satz 2 BetrVG a.F.). Dementsprechend wurde in der Literatur zu § 38 BetrVG a.F. allgemein angenommen, der Betriebsrat habe dabei einen mehr oder weniger weiten Beurteilungsspielraum, der nur durch die Norm des § 38 Abs. 2 Satz 2 BetrVG a.F. insoweit eingeschränkt war, als die Gruppen eben “angemessen” zu berücksichtigen waren (vgl. nur Dietz/Richardi, aaO, § 38 Rz 25; ähnlich Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 38 Rz 27). Die Rechtslage hatte in der Praxis zuweilen dazu geführt, daß kleinere Gruppen nicht einmal ihrer Stärke entsprechend bei Freistellungen berücksichtigt wurden. In dem grundsätzlichen Bestreben, den Gruppenschutz innerhalb der Betriebsverfassung zu verstärken (vgl. BT-Drucks. 11/2503, S. 24), hat der Gesetzgeber vorgesehen, die Gruppen nicht mehr nur “angemessen”, sondern zwingend “im Verhältnis ihrer Vertretung im Betriebsrat” zu berücksichtigen (aaO, S. 33). Der Gesetzgeber hat in § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG eine gleichermaßen zwingende Formulierung gewählt wie in § 10 Abs. 1 BetrVG. Darin heißt es: “Arbeiter und Angestellte müssen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht. “Allerdings enthält § 12 Abs. 1 BetrVG eine Öffnungsklausel, wonach die Verteilung der Mitglieder des Betriebsrates auf die Gruppen abweichend von § 10 BetrVG geregelt werden kann, wenn beide Gruppen dies vor der Wahl in getrennten und geheimen Abstimmungen beschließen. Eine solche Öffnungsklausel ist jedoch für die anderweitige Verteilung der Freistellungen nach § 38 BetrVG ebensowenig vorgesehen wie für die Berücksichtigung der Gruppen bei der Wahl in den Betriebsausschuß nach § 27 Abs. 2 BetrVG. Auch dies führt zu dem Schluß, daß es nicht mehr in der Entscheidungsmacht der Gruppen oder gar des Betriebsrates steht, von der gesetzlichen Verteilung der Freistellungen auf die Gruppen abzuweichen.
c) In der Literatur wird allerdings, wenn auch mit gewissen Modifizierungen hinsichtlich der Einzelheiten, die Ansicht vertreten, daß zumindest die Mehrheitsgruppe beschließen könne, auf eine Freistellung zugunsten der Minderheitsgruppe zu verzichten (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, aaO, § 38 Rz 27; Dänzer-Vanotti, AuR 1989, 204, 209 f.; Wiese, GK-BetrVG, Nachtrag zu Bd. I (1991), § 38 Rz 32a). Dem steht jedoch der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen. Danach können die Gruppen als solche ebensowenig wie der Betriebsrat beschließen, ihr zustehende gesetzliche Freistellungen im Sinne des § 38 BetrVG nicht zu nutzen und sie der anderen Gruppe zur Verfügung zu stellen. Ob dies auch für zusätzliche, die gesetzliche Quote überschreitende Freistellungen gilt, kann hier offen bleiben.
4. Von der Frage des Verzichts auf eine gesetzlich zustehende Freistellung durch einen Beschluß der Gruppe oder des Betriebsrates ist die Frage zu trennen, welche Rechtsfolgen es hat, wenn sich innerhalb einer Gruppe des Betriebsrates weniger Gruppenmitglieder zur Freistellung bereitfinden, als Freistellungen auf diese Gruppe entfallen.
a) Die Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes von der Arbeit nach § 38 BetrVG setzt sein Einverständnis voraus (vgl. Wiese, GK-BetrVG, Nachtrag zu Bd. I (1991), § 38 Rz 29; Dietz/Richardi, aaO, § 38 Rz 31; Galperin/Löwisch, aaO, § 38 Rz 23; Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, aaO, § 38 Rz 46; Stege/Weinspach, aaO, § 38 Rz 7 a; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 38 Rz 31). Dementsprechend hängt es vom Willen jedes einzelnen Mitglieds des Betriebsrates ab, ob es sich freistellen läßt oder nicht. Gegen seinen Willen kann kein Betriebsratsmitglied wirksam freigestellt werden. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß jedes Betriebsratsmitglied in der Regel bereit sein wird, sich von der Arbeit freistellen zu lassen. Insbesondere Gründe der eigenen beruflichen Entwicklung können es einem Betriebsratsmitglied angeraten sein lassen, sich nicht nach § 38 BetrVG völlig von der Arbeit freistellen zu lassen, sondern zur Erledigung auf ihn entfallender Betriebsratstätigkeit nur jeweils im erforderlichen Umfang Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG in Anspruch zu nehmen. Dies kann zur Folge haben, daß innerhalb einer Gruppe des Betriebsrates weniger Betriebsratsmitglieder bereit sind, sich gemäß § 38 BetrVG freistellen zu lassen, als Freistellungen auf die Gruppe entfallen.
b) Ergibt sich, daß weniger Betriebsratsmitglieder zur Freistellung bereit sind als nach dem Gesetz Freistellungen auf die Gruppe entfallen, so gehen die nicht genutzten Freistellungen auf die andere Gruppe im Betriebsrat über. Nutzen die Mitglieder der anderen Gruppe diese auf ihre Gruppe übergegangenen oder ohnehin entfallenden Freistellungen ebenfalls nicht, so kommt es insgesamt zu einer geringeren Zahl von Freistellungen. Angesichts der Regelung in § 38 Abs. 1 BetrVG, wonach entsprechend der dortigen Staffel eine Mindestzahl von Betriebsratsmitgliedern freizustellen ist, wäre es mit dem Gesetz nicht vereinbar, von einer Gruppe nicht genutzte Freistellungen im Rahmen der gesetzlichen Mindestzahl entfallen zu lassen, ohne daß die andere Gruppe Gelegenheit hätte, die nicht genutzten Freistellungen für ihre dazu bereiten Mitglieder in Anspruch zu nehmen. Denn die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern hat insgesamt zum Ziel, eine wirksame Betriebsratsarbeit zu ermöglichen und dadurch die volle Funktionsfähigkeit des Betriebsrates zu gewährleisten. Damit wäre es aber nicht vereinbar, von vornherein nur deswegen eine geringere Zahl von Betriebsratsmitgliedern freizustellen, weil eine der beiden Gruppen im Betriebsrat nicht in der Lage ist, die auf sie entfallenden Freistellungen voll auszunutzen.
5. Gemessen an diesen Voraussetzungen erweisen sich die Freistellungsentscheidungen des beteiligten Betriebsrates als rechtsfehlerhaft und deshalb als anfechtbar. Zwar ist der Betriebsrat im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß alle Freistellungen im Rahmen des § 38 Abs. 1 BetrVG gemäß § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG der Gruppe der Angestellten zustehen. Indessen liegen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen es möglich gewesen wäre, eine an sich auf die Gruppe der Angestellten entfallende Freistellung einem Mitglied der Gruppe der Arbeiter zuzuweisen. Es waren aus der Gruppe der Angestellten nicht lediglich zwei Betriebsratsmitglieder bereit, sich freizustellen zu lassen, so daß die Angestelltengruppe von der Möglichkeit einer dritten Freistellung keinen Gebrauch hätte machen können. Damit ist es bei der gesetzlichen Verteilung der Freistellungen geblieben und keine der auf die Gruppe der Angestellten entfallenden Freistellungen auf die Gruppe der Arbeiter übergegangen.
III. Insgesamt war der Rechtsbeschwerde daher der Erfolg zu versagen, ohne daß es auf die anderen vom Landesarbeitsgericht erörterten Gesichtspunkte ankommt, aus denen es die Unwirksamkeit der umstrittenen Freistellungsentscheidung hergeleitet hat.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Kremhelmer, Schliemann, Neumann, Dr. Sponer
Fundstellen
Haufe-Index 838619 |
BAGE, 53 |
NZA 1992, 946 |
RdA 1992, 286 |