Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung - Erwerbsunfähigkeit - Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Seit der Änderung des Bundes-Angestelltentarifvertrags durch den 55. Änderungstarifvertrag vom 09. Januar 1987 ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Urlaub nach § 51 Abs 1 Satz 3 BAT abzugelten, wenn das Arbeitsverhältnis infolge der Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente endet und der Angestellte über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Urlaubsanspruch verfallen würde, arbeitsunfähig ist (Bestätigung der im Urteil des Senats vom 22. Oktober 1991 - 9 AZR 433/90 = BAGE 68, 373 = AP Nr 57 zu § 7 BUrlG Abgeltung vertretenen Auffassung).
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 05.03.1992; Aktenzeichen 13 Sa 1212/91) |
ArbG Gießen (Entscheidung vom 17.07.1991; Aktenzeichen 3 Ca 586/90) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Abgeltung restlichen Erholungsurlaubs.
Die Klägerin war beim beklagten Land als Unterrichtsschwester an der Kinderkrankenpflegeschule der Universität G beschäftigt. Arbeitsvertraglich war auf die jeweils geltenden Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) Bezug genommen. Die Klägerin war seit dem 2. März 1990 arbeitsunfähig erkrankt. Am 30. September 1990 endete das Arbeitsverhältnis aufgrund der Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente. Auch nach dem Ausscheiden hat die Klägerin ihre Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Abgeltung von 28 Urlaubstagen aus dem Jahre 1990. Sie hat zuletzt beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an sie
5.491,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem die-
sem Betrag entsprechenden Nettobetrag ab Rechts-
hängigkeit (31.12.1990) zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§ 72 Abs. 1 ArbGG).
Es ist zwar nicht unbedenklich, wenn das Landesarbeitsgericht abweichend von den Zulassungsgründen nach § 72 Abs. 2 ArbGG ausführt, es habe die Revision "auf ausdrücklichen Antrag der Klägerin zugelassen, um der Klägerin die Möglichkeit zu geben, ihren Rechtsstandpunkt, den sie durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts noch nicht voll berücksichtigt sieht, durch das Revisionsgericht nochmals überprüfen zu lassen". Gleichwohl ist der Senat an diese Zulassung gebunden (§ 72 Abs. 3 ArbGG); denn nur im Fall der Nichtzulassung ist eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts gesetzlich vorgesehen (§ 72 a ArbGG).
II. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Abgeltungsanspruch für ihren Resturlaub von 28 Tagen.
1. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1990 wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 59 BAT) ist ein Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin nach § 51 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und 3 BAT entstanden. Der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers (ständige Rechtsprechung seit BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zuletzt Urteil vom 26. Mai 1992 - 9 AZR 172/91 - AP Nr. 58 zu § 7 BUrlG Abgeltung).
2. Der Anspruch ist jedoch erloschen, weil er wegen der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht erfüllbar war.
a) Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG kann nur erfüllt werden, wenn der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses jedenfalls für die Dauer seines Urlaubs seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Die Erfüllbarkeit des den Urlaubsanspruch ersetzenden Urlaubsabgeltungsanspruchs setzt die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers voraus. Wer arbeitsunfähig krank ist, kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht mehr befreit werden (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt Senatsurteil vom 26. Mai 1992 - 9 AZR 172/91 - aaO).
b) Für den tarifvertraglichen Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 51 Abs. 1 BAT gilt nichts anderes. Zwar enthielt die bis zum 31. Dezember 1986 geltende Fassung in § 51 Abs. 1 Satz 3 BAT eine von § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende Bestimmung, nach der Urlaub auch dann abzugelten war, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden konnte (BAGE 45, 203 und 62, 252 = AP Nr. 16 und 49 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Mit dem 55. Änderungstarifvertrag vom 9. Januar 1987 sind die tariflichen Sonderregelungen jedoch aufgehoben worden (BAGE 62, 331 = AP Nr. 51 zu § 7 BUrlG Abgeltung; Urteil vom 12. Dezember 1989 - 8 AZR 141/89 - ZTR 1990, 249 und BAGE 68, 373 = AP Nr. 57 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Diese Auffassung entspricht auch der einhelligen Meinung des Schrifttums (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Januar 1994, § 51 Rz 11; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand November 1993, § 51 Erl. 3 e; Crisolli/Tiedtke/Ramdohr, BAT, Stand November 1993, § 51 Erl. 1 a; PK-Rzadkowski, BAT, § 51 Rz 11; Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Stand Oktober 1993, § 51 Erl. 2; Fieberg, ZTR 1988, 113, 116; Peltzer, NZA 1988, 493, 494).
Entgegen der Ansicht der Revision ist daran festzuhalten. Die Revision verkennt den sozialversicherungsrechtlichen Begriff Erwerbsunfähigkeit. In den hier maßgeblichen Jahren 1990 und 1991 galt nach § 1247 Abs. 2 RVO als erwerbsunfähig, wer infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen konnte. § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI hat mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261) am 1. Januar 1992 § 1247 RVO abgelöst. Im wesentlichen ist die bisherige Definition der Erwerbsunfähigkeit übernommen worden. Sowohl nach altem wie auch nach neuem Recht kann ein erwerbsunfähiger Arbeitnehmer durchaus in der Lage sein, zumindest für die Dauer des Urlaubs eine ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeitsleistung zu erbringen. Der sozialrechtliche Begriff Erwerbsunfähigkeit setzt somit nicht voraus, daß der Arbeitnehmer seine bisherige vertraglich geschuldete Tätigkeit überhaupt nicht mehr ausüben kann (BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAGE 61, 362 = AP Nr. 48 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Die vereinzelt im Schrifttum vertretene Auffassung, Erwerbsunfähigkeit schließe generell aus, daß die geschuldete Arbeitsleistung noch erbracht werden kann (Künzl, BB 1987, 687, 689), ist abzulehnen. Sie verkennt, daß Art und Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung von der im Einzelfall getroffenen arbeitsvertraglichen Vereinbarung abhängen.
c) Die Klägerin war unstreitig seit dem 2. März 1990 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krank und hat auch nach dem Ausscheiden die Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt. Der Urlaubsabgeltungsanspruch war somit nicht erfüllbar. Er ist spätestens am 30. Juni 1991 erloschen (§ 47 Abs. 7 Unterabs. 2 Satz 2 und Unterabs. 4 BAT).
III. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Dr. Leinemann Dörner Düwell
Matthiessen Fieberg
Fundstellen
Haufe-Index 441787 |
BB 1994, 1218 |
BB 1994, 1218-1219 (LT1) |
NZA 1994, 853 |
NZA 1994, 853-854 (LT1) |
ZTR 1994, 339 (LT1) |
AP § 47 BAT (LT1), Nr 17 |
EzA-SD 1994, Nr 12, 13-14 (LT1) |
EzA § 7 BUrlG, Nr 93 (LT1) |
EzBAT § 51 BAT, Nr 21 (LT1) |
PersV 1994, 554 (L) |