Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats bei wiederholter Kündigung aus demselben Grund
Leitsatz (redaktionell)
Scheitert eine Kündigung, zu der der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist und der er ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hat, an dem fehlenden Zugang an den Kündigungsgegner, so ist vor einer erneuten Kündigung eine nochmalige Anhörung des Betriebsrats dann entbehrlich, wenn sie in engem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen und auf denselben Sachverhalt gestützt wird.
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 06.12.1988; Aktenzeichen 11 Sa 84/88) |
LAG Berlin (Entscheidung vom 06.12.1988; Aktenzeichen 11 Sa 54/88) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 20.05.1988; Aktenzeichen 11 Ca 818/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Wirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen der Beklagten.
Der Kläger war seit dem 21. Juni 1983 bei der Beklagten als Stukkateur beschäftigt. Mit Schreiben vom 7. Oktober 1985 und 10. August 1987 rügte die Beklagte angebliche Leistungsmängel und Unpünktlichkeiten des Klägers. In letzterem Schreiben sprach sie darüber hinaus eine "Änderungskündigung" (Streichung der Zulage von 3,15 DM pro Stunde) aus und drohte für den Fall weiterer Vorfälle der gerügten Art die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an.
Im Oktober 1987 beabsichtigte die Beklagte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zu kündigen. Nach Anhörung des in ihrem Betrieb gewählten Betriebsobmannes verfaßte sie unter dem 27. Oktober 1987 ein Schreiben, in dem sie wegen näher geschilderter Leistungsmängel und verspäteten Arbeitsantritts die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 10. November 1987 erklärte, und gab dieses Schreiben zur Post. Nachdem der Kläger erklärt hatte, kein Kündigungsschreiben erhalten zu haben, sprach die Beklagte am 13. November 1987 zunächst mündlich nochmals eine ordentliche Kündigung aus.
Mit Schreiben vom 16. November 1987, das dem Kläger am folgenden Tag zuging, erklärte sie nochmals die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 1987. Das Schreiben lautet auszugsweise wie folgt:
"...da Sie es mit der Pünktlichkeit und Zuver-
lässigkeit, zur Arbeit zu erscheinen, nie so
genau genommen haben, ist es auch nicht verwun-
derlich, daß Sie am Freitag, dem 6.11.87, nach
der Frühstückspause mit Kollegen anstatt zu
arbeiten, lieber im Tabakwarengeschäft Ihrer
Baustelle Alkohol tranken.
Am 27.10.87 wurde das Arbeitsverhältnis ordnungs-
gemäß zum 10.11.87 gekündigt.
Nun erklären Sie, daß Sie nie das Kündigungs-
schreiben erhalten haben.
Diese Aussage entspricht nicht der Wahrheit...
Sie erhalten nun als Kopie nochmals das Kündigungs-
schreiben vom 27.10.87.
Wir wiederholen hiermit die am Freitag, dem
13.11.87 nochmals mündlich ausgesprochene Kündi-
gung, so daß Ihr letzter Arbeitstag der 30.11.87
ist."
Mit der am 24. November 1987 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die beiden im November ausgesprochenen Kündigungen gewandt. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe den Betriebsobmann vor der im Oktober beabsichtigten Kündigung nicht ausreichend von dem Kündigungssachverhalt unterrichtet und ihn vor Ausspruch der beiden nachfolgenden Kündigungen nicht nochmals angehört. Er hat weiter geltend gemacht, beide Kündigungen seien sozial ungerechtfertigt und beantragt
festzustellen, daß sein Arbeitsver-
hältnis weder durch die fristgerechte
mündliche Kündigung vom 13. November
1987 noch durch die fristgerechte Kündi-
gung mit Schreiben vom 16. November 1987
aufgelöst worden ist, sondern fortbe-
steht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, der Kläger habe seit Beginn des Jahres 1987 wiederholt unentschuldigt gefehlt, seine Arbeitszeiten nicht eingehalten und mehrfach unzureichende Arbeitsleistungen erbracht. Zudem habe er seinen Urlaub am 19. Oktober 1987 um einen Tag überzogen. Am 27. Oktober 1987 habe er seine Arbeit verspätet zur Frühstückspause aufgenommen. Am 6. November 1987 habe er gemeinsam mit zwei Kollegen die Frühstückspause überzogen.
Sie habe den Betriebsobmann vor Absendung des Kündigungsschreibens vom 27. Oktober 1987 ausreichend über die Kündigungsgründe unterrichtet. Der Betriebsobmann habe überdies aus eigener Anschauung die Unpünktlichkeit sowie die unzureichenden Arbeitsleistungen des Klägers gekannt und keine Einwände gegen die Kündigung erhoben.
Nachdem der Kläger den Erhalt des Kündigungsschreibens vom 27. Oktober 1987 bestritten habe, habe sie wegen der Nachweisproblematik nicht auf dieser Kündigung bestanden, sondern am 13. November mündlich und sicherheitshalber mit Schreiben vom 16. November 1987 neu zum 30. November 1987 gekündigt. Zuvor habe sie den Betriebsobmann erneut davon unterrichtet, daß der Kläger den Erhalt des Kündigungsschreibens vom 27. Oktober bestreite und daß erneut gekündigt werde.
Der Kläger hat die gegen ihn zur Rechtfertigung der beiden Kündigungen erhobenen Vorwürfe im wesentlichen bestritten.
Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage abgewiesen. Es hat angenommen, die Kündigungen seien sozial gerechtfertigt. Auch sei der Betriebsobmann vor der Kündigung ordnungsgemäß gehört worden. Die Beklagte habe ihn am 27. Oktober 1987 von ihrer Kündigungsabsicht unterrichtet und ihm die Kündigungsgründe, die ihm bereits bekannt gewesen seien, mitgeteilt. Er sei auch mit der Kündigung einverstanden gewesen. Einer erneuten Anhörung vor den Kündigungen vom November 1987 habe es deshalb nicht bedurft, weil die Beklagte lediglich die Kündigung vom 27. Oktober 1987 wegen des fehlenden Zugangs wiederholt habe. Im übrigen ergebe sich aus ihrem Vorbringen, daß sie den Betriebsobmann vor Ausspruch dieser Kündigungen unterrichtet habe.
Mit seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, angegriffen würden lediglich die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Anhörung des Betriebsobmannes, insbesondere zur Entbehrlichkeit einer erneuten Anhörung vor den beiden Kündigungen vom November 1987. Die Beweisaufnahme habe ergeben - insoweit werde die erstinstanzliche Entscheidung nicht angegriffen -, daß vor Ausspruch der - dann nicht zugegangenen - Kündigung vom 27. Oktober 1987 der Betriebsobmann ordnungsgemäß angehört worden sei. Jedoch habe es, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, vor den nachfolgenden Kündigungen seiner erneuten Anhörung bedurft. Bei diesen handele es sich um eigenständige, aufgrund eines neuen Willensentschlusses ausgesprochene Kündigungserklärungen. Nach dem Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 16. November 1987 habe die Beklagte nicht die Kündigung vom 27. Oktober 1987, sondern die Kündigung vom 13. November 1987 wiederholt. Des weiteren sei in dem Kündigungsschreiben ein neuer Kündigungsgrund - die Verlängerung der Frühstückspause am 6. November 1987 - angeführt worden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein noch die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 13. und 16/17. November 1987. Die revisionsrechtliche Nachprüfung der beiden Kündigungen beschränkt sich auf die Frage ihrer Unwirksamkeit wegen fehlender Anhörung des Betriebsobmanns nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.
1. Erklärt der klagende Arbeitnehmer in der Tatsacheninstanz ausdrücklich, er stütze seinen Klageantrag nicht oder nicht mehr auf das Kündigungsschutzgesetz, so ist grundsätzlich davon auszugehen, daß er damit seinen Klagevortrag (auch) seinem tatsächlichen Inhalt nach beschränkt. In diesem Fall ist es den Tatsacheninstanzen verwehrt, das Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt des Kündigungsschutzgesetzes zu prüfen (BAGE 5, 200 = AP Nr. 1 zu § 70 PersVG Kündigung, zu I der Gründe; ferner BAGE 10, 322 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, zu 1 der Gründe; für den umgekehrten Fall der Beschränkung des tatsächlichen und rechtlichen Vortrags des Arbeitnehmers auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung: Senatsurteil vom 14. Oktober 1982 - 2 AZR 811/79 - AP Nr. 36 zu § 613 a BGB, zu A IV der Gründe).
2. Vorliegend hat der Kläger in der Berufungsbegründung ausdrücklich vorgetragen, angegriffen werde lediglich die Würdigung des Arbeitsgerichts zur Anhörung des Betriebsobmanns, insbesondere zur Entbehrlichkeit einer erneuten Anhörung vor den beiden Kündigungen vom November 1987. Mit dieser Beschränkung seines Berufungsangriffs hat er eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er die Entscheidung des Arbeitsgerichts zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung hinnehme und damit seine Klage nicht mehr auf das Kündigungsschutzgesetz stützen wolle.
II. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht die Anhörung des Betriebsobmanns vor der im Oktober 1987 beabsichtigten Kündigung als ausreichend auch für die Kündigungen vom November 1987 angesehen und dies im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Betriebsobmann sei bereits zu der beabsichtigten Kündigung vom 27. Oktober 1987 ordnungsgemäß angehört worden und habe ihr zugestimmt. Ihre Wirkung als Voraussetzung für eine nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wirksame Kündigungserklärung habe diese Anhörung nicht durch den Ausspruch der Kündigung vom 27. Oktober 1987 verloren. Zwar sei eine schriftliche Kündigung im Sinne des § 102 BetrVG bereits ausgesprochen, wenn sie den Machtbereich des Arbeitgebers verlasse. Da die Kündigungserklärung wegen des fehlenden Zugangs jedoch keine Rechtswirkungen habe entfalten können, sei die Anhörung nicht verbraucht worden. Der Kündigungsausspruch bestimme nur den Zeitpunkt, bis zu welchem das Anhörungsverfahren abgeschlossen sein müsse. Dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, allein durch Bestreiten des Zugangs die Wiederholung eines ordnungsgemäßen Anhörungsverfahrens erzwingen zu können, sei mit Sinn und Zweck des § 102 BetrVG nicht vereinbar.
Auch die zwischen Zustimmung des Betriebsobmanns zur Kündigung vom 27. Oktober 1987 und dem Ausspruch und Zugang der Kündigungen am 13. und 16. November 1987 liegende Zeitspanne erfordere wegen des unveränderten Kündigungssachverhaltes keine erneute Anhörung. Soweit der Kläger meine, der Sachverhalt könnte sich verändert haben, seien dies hypothetische Überlegungen, da er keine tatsächlichen Veränderungen behauptet habe.
Die Anhörung habe auch nicht wegen des Hinzutretens eines neuen Kündigungsgrundes wiederholt werden müssen. Die im Kündigungsschreiben erwähnte "Bummelei" des Klägers am 6. November 1987 stelle keinen neuen Kündigungsgrund, sondern nur einen wiederholten Fall der Arbeitsbummelei dar, die bereits Gegenstand der Anhörung gewesen sei. Selbst ein neuer Kündigungsgrund würde die Anhörung nicht unwirksam machen, sondern nur seine Berücksichtigung für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ausschließen.
III. Diese Würdigung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
1. Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß die Beklagte am 13. November 1987 mündlich und - vorsorglich - am 16. November 1987 schriftlich eine erneute Kündigung erklärt hat. Das folgt aus ihrem eigenen Vortrag in der Vorinstanz, nachdem der Kläger den Zugang der KÜndigung vom 27. Oktober 1987 bestritten habe, habe sie wegen der Nachweisproblematik nicht auf dieser Kündigung bestanden, sondern "am 13. November mündlich und sicherheitshalber mit dem Schreiben vom 16. November neu zum 30. November" gekündigt. Danach wollte sie weder die erste Kündigung durch erneuten Zugang wirksam werden lassen noch bestätigen, d.h. diese Kündigung als gültig anerkennen, sondern mündlich und vorsorglich schriftlich jeweils eine neue Kündigung erklären.
2. Das Berufungsgericht hat die Würdigung des Arbeitsgerichts übernommen, der Betriebsobmann sei zu der beabsichtigten Kündigung vom Oktober 1987 ordnungsgemäß angehört worden. Diese auch vom Kläger in der Berufungsbegründung ausdrücklich gebilligte und von der Revision nicht beanstandete Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht hat ferner in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht festgestellt, daß der Betriebsobmann dieser Kündigung zugestimmt habe. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat gebunden, nachdem hiergegen kein Verfahrensangriff erhoben worden ist (§ 561 Abs. 2 ZPO).
3. Die Beklagte hat die beiden späteren Kündigungen auf denselben Sachverhalt wie die beabsichtigte erste Kündigung gestützt. Der in dem Kündigungsschreiben vom 16. November 1987 erwähnte Vorfall vom 6. November 1987 stellt nach der vorliegenden Begründung der Beklagten keinen weiteren Grund für die späteren Kündigungen dar.
Das folgt allerdings, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, nicht schon daraus, daß es sich nur um einen wiederholten Fall der "Arbeitsbummelei" handelt, die bereits Gegenstand der Anhörung gewesen ist. Den Kündigungsgrund bilden Tatsachen und nicht Wertungen des Kündigenden. Wiederholen sich gleichartige Geschehensabläufe, wie hier das von der Beklagten als "Arbeitsbummelei" gewertete Fernbleiben von der Arbeit bzw. der verspätete Arbeitsantritt, so werden sie allein durch die gleichartige Wertung nicht zu einer Einheit mit der Folge, daß von ihr auch weitere gleichartige Geschehensabläufe erfaßt werden und diesen keine selbständige Bedeutung mehr zukommt.
Vielmehr ergibt die Auslegung des Kündigungsschreibens vom 16. November 1987, daß die Beklagte den neuerlichen Vorfall nicht als eigenen und weiteren Grund zur Rechtfertigung der erneuten Kündigungen anführen wollte. Der erste Absatz des Schreibens enthält lediglich die Feststellung, daß der Kläger schon immer unpünktlich und unzuverlässig gewesen sei und deshalb auch der erneute Fall von Arbeitsbummelei nicht überrasche. Nach dieser einleitenden Feststellung und den anschließend begründeten Zweifeln an der Einlassung des Klägers zur Frage des Zugangs des ersten Kündigungsschreibens wiederholt die Beklagte die am 13. November 1987 mündlich ausgesprochene (zweite) Kündigung ohne erkennbare Bezugnahme auf den eingangs erwähnten Vorfall. Diese Auslegung konnte der Senat selbst vornehmen, weil ihm das Urkundenmaterial in gleicher Geschlossenheit wie dem Berufungsgericht vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 418/55 - AP Nr. 6 zu § 550 ZPO).
Auch unter Berücksichtigung des Vortrages des Klägers ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, die bestätigte mündliche Kündigung könnte tragend auf diesen weiteren Vorfall gestützt gewesen sein.
4. Unter diesen Voraussetzungen bedurfte es zu den beiden späteren Kündigungen keiner erneuten Anhörung des Betriebsobmanns mehr.
a) Das Bundesarbeitsgericht hat bisher noch nicht entschieden, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen bei Wiederholung einer Kündigung, zu der der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist, von einer erneuten Anhörung abgesehen werden darf.
aa) In dem Urteil vom 18. September 1975 - 2 AZR 594/74 - (BAGE 27, 273 = AP Nr. 6 zu § 102 BetrVG 1972) hat der Senat die früher (BAGE 26, 27 = AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972) erwogene Möglichkeit verworfen, die nachträgliche Stellungnahme des Betriebsrats zu einer nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksamen Kündigung könne je nach den Umständen geeignet sein, das Anhörungsverfahren für eine neue Kündigung zu ersetzen. Unter Berufung auf die kollektive Schutzfunktion der gesetzlichen Regelung hat der Senat u.a. auch darauf hingewiesen, daß selbst dann, wenn der Arbeitgeber zu einer beabsichtigten neuen Kündigung dem Betriebsrat denselben Sachverhalt und dieselben Kündigungsgründe vortragen würde, auch bei gleicher Besetzung des Betriebsrats ein anderes Votum zur Kündigung aufgrund neuer im kollektiv- oder individualrechtlichen Schutzbereich liegender Überlegungen nicht ausgeschlossen sei. Es widerspreche der Schutzfunktion des Anhörungsverfahrens, wenn die Anhörung auch wirksam zu einer Kündigung erfolgen könnte, für die es gar nicht eingeleitet worden sei.
bb) In dem Urteil vom 22. September 1983 - 2 AZR 136/82 - (nicht veröffentlicht; mitgeteilt in KR-Etzel, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rz 118 a) hat der Senat ausgesprochen, vor einer erneuten Kündigung bedürfe es einer erneuten Anhörung des Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber eine frühere Kündigung vor Abschluß des hierfür eingeleiteten Anhörungsverfahrens erklärt habe und diese deshalb nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei. Mit dem Ausspruch der ersten, wenn auch unwirksamen Kündigung habe der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen verwirklicht und damit das Anhörungsverfahren im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des § 102 Abs. 1 BetrVG einseitig abgebrochen. Das Anhörungsverfahren sei gegenstandslos geworden, eine Stellungnahme des Betriebsrats habe sich erübrigt. Eine Stellungnahme sei auch gar nicht mehr möglich gewesen, weil der Betriebsrat, entgegen dem Zweck des Anhörungsverfahrens, auf die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers keinen Einfluß mehr habe nehmen können. Da schon zu der ersten Kündigung kein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren vorliege, könne der Arbeitgeber auf dieser Grundlage auch keine erneute Kündigung aussprechen.
b) Der Senat hat in dem Urteil vom 22. September 1983 offen gelassen, ob in Ausnahmefällen von einer erneuten Anhörung des Betriebsrats abgesehen werden könne. Eine solche könne nur in Betracht kommen, wenn die Rechte des Betriebsrats gewahrt blieben, der Zweck des Anhörungsverfahrens erfüllt sei und sich ein erneutes Anhörungsverfahren somit lediglich als eine überflüssige Förmelei darstellen würde. Der Senat bejaht diese Frage nunmehr unter den hier vorliegenden Voraussetzungen.
Nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und dem Zweck des Anhörungsverfahrens, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers Einfluß zu nehmen, kann grundsätzlich ein Anhörungsverfahren nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist. Scheitert die Kündigung, zu der der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist und der er vorbehaltlos zugestimmt hat, an dem fehlenden Zugang und spricht der Arbeitgeber deshalb in engem zeitlichen Zusammenhang und aus denselben Gründen eine neue Kündigung aus, ist anzunehmen, daß der Betriebsrat auch der erneuten Kündigung zugestimmt hätte. Die Berufung auf das Fehlen einer erneuten Anhörung ist deshalb rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB).
Der Senat hat bereits von dem Grundsatz, daß der Arbeitgeber, der außerordentlich und vorsorglich ordentlich kündigen will, den Betriebsrat zu beiden beabsichtigten Kündigungen anhören muß, weil die ordnungsgemäße Anhörung auch voraussetzt, daß der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Art der beabsichtigten Kündigung mitteilt, eine Ausnahme dann zugelassen, wenn der lediglich zur außerordentlichen Kündigung angehörte Betriebsrat dieser ausdrücklich und vorbehaltslos zugestimmt hat und auch aus sonstigen Umständen nicht zu ersehen ist, daß der Betriebsrat im Falle der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung einer ordentlichen entgegengetreten wäre (BAGE 30, 176 = AP Nr. 15 zu § 102 BetrVG 1972). Auch bei jener Fallgestaltung liegen rechtlich zwei Kündigungen vor, zu denen der Betriebsrat nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ("vor jeder Kündigung zu hören") gehört werden muß.
Die Gründe, die der Senat für die Entbehrlichkeit einer Anhörung zu der vorsorglich erklärten bzw. umgedeuteten ordentlichen Kündigung angeführt hat, treffen auch für Fälle der vorliegenden Art zu. Auch hier spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, daß der Betriebsrat der erneuten, auf denselben Sachverhalt gestützten Kündigung zugestimmt hätte. Es ist deshalb kein sachlicher Grund ersichtlich, die erneute Kündigung an § 102 BetrVG scheitern zu lassen. Die Rechte des Betriebsrats und die Belange des betroffenen Arbeitnehmers werden hierbei nicht beeinträchtigt. Der Betriebsrat, der der ersten Kündigung zustimmt, läßt Überlegungen, die gegen die Kündigung gerichtet sind, außer Betracht. Der Arbeitnehmer findet bei ihm keine Unterstützung.
Hillebrecht Triebfürst Bitter
Brocksiepe Dr. Wolter
Fundstellen
Haufe-Index 438257 |
BB 1990, 1701 |
BB 1990, 1701-1702 (LT1) |
DB 1990, 1974-1975 (LT1) |
NJW 1990, 2489 |
NJW 1990, 2489-2491 (LT1) |
EBE/BAG 1990, 125-127 (LT1) |
BetrVG, (6) (LT1) |
ARST 1990, 142-143 (LT1) |
NZA 1990, 748-751 (LT1) |
RdA 1990, 311 |
RzK, III 1a 40 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 783/90 (S) |
ZTR 1990, 490 (L1) |
AP § 102 BetrVG 1972 (LT1), Nr 55 |
AP § 102 BetrVG 1972 (LT1, Nr 55 |
EzA § 102 BetrVG 1972, Nr 78 (LT1) |