Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlussfrist. Geltendmachung eines Anspruchs. Teilweise Parallelsache zu BAG 10. Juli 2003 – 6 AZR 283/02 – ZTR 2003, 625. Geltendmachung eines Anspruchs vor Fälligkeit. tarifliche Ausschlussfrist
Leitsatz (amtlich)
Eine ordnungsgemäße Geltendmachung eines Anspruchs nach § 63 Abs. 1 BMT-G II innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit setzt voraus, dass der Anspruch bereits entstanden ist. Auf die Fälligkeit des Anspruchs kommt es nicht an.
Orientierungssatz
- Nach § 63 Unterabs. 1 BMT-G II verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Für eine ordnungsgemäße Geltendmachung kommt es auf die Fälligkeit des erhobenen Anspruchs nicht an.
- Noch nicht entstandene Ansprüche können nach § 63 Unterabs. 1 BMT-G II nicht wirksam geltend gemacht werden.
- Die Geltendmachung eines Anspruchs ist keine Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Für deren Auslegung gelten die §§ 133, 157 BGB entsprechend.
Normenkette
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) § 63; BGB §§ 133, 157; ZPO §§ 139, 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2002 – 8 Sa 991/01 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Schlußurteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Juli 2001 – 15a Ca 3083/00 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 143,63 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24. März 2000 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die weitergehende Berufung und die weitergehende Revision der Klägerin werden zurückgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 56/100 und die Beklagte 44/100 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Verfall von Vergütungsansprüchen.
Die Klägerin ist seit dem 1. August 1992 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 16 Stunden in einer von der Beklagten betriebenen Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber als Pförtnerin mit Sonderaufgaben tätig. Sie leistet monatlich unterschiedlich viele Nachtdienste. Nach dem Arbeitsvertrag vom 23. Februar 1994 gelten für das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrags für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 31. Januar 1962. In § 63 BMT-G II heißt es:
“Ausschlußfrist
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Arbeiter oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist.
Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs aus, um die Ausschlußfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen.”
§ 26a Abs. 1 BMT-G II regelt:
“(1) Der Lohn ist für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. eines jeden Kalendermonats (Zahltag) für den laufenden Kalendermonat auf ein von dem Arbeiter eingerichtetes Girokonto im Inland zu zahlen. …
Der Teil des Lohnes, der nicht
a) zum Monatsgrundlohn,
b) zu den etwaigen für den Kalendermonat zustehenden ständigen gegebenenfalls pauschalierten Lohnzuschlägen und
c) zu sonstigen für den Kalendermonat pauschalierten Lohnbestandteilen
gehört, bemißt sich nach der Arbeitsleistung des Vorvormonats.
…”
Mit Schreiben vom 5. Dezember 1997 ordnete die Beklagte für die ab dem 1. Januar 1998 zu leistenden Nachtdienste Bereitschaftsdienst an und beabsichtigte, diese nur noch zur Hälfte als Arbeitszeit zu werten. Im Antwortschreiben vom 17. Dezember 1997 vertrat die Klägerin die Auffassung, die Nachtdienste seien in vollem Umfang Arbeitszeit. In einem weiteren Schreiben vom 30. Dezember 1997 behielt sie sich die Wahrung ihrer Rechte vor. Die Beklagte glich die von der Klägerin ab dem 1. Januar 1998 geleisteten Nachtdienste zur Hälfte in Freizeit aus. Im Schreiben der Klägerin vom 19. April 1998 heißt es:
“Somit mache ich hiermit ausdrücklich geltend, daß mir die gesamten Arbeitsbedingungen zustehen, auf die sich mein Arbeitsverhältnis durch langjährige Übung konkretisiert hat, insbesondere
…
• Bewertung von Nacht- und Wochenenddienst als Arbeitszeit statt als Bereitschaft und entsprechende Entlohnung, für die Zeiten der Bereitschaft biete ich volle Arbeitsleistung an;
…
Ferner mache ich hiermit entgangenen Lohn geltend, nämlich die Differenz zwischen dem mir zustehenden Lohn und der Bezahlung für Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst, sowie Schichtlohnzuschlag.
Ich erwarte, daß Sie mir innerhalb von 2 Wochen mitteilen, daß die geltend gemachten Ansprüche anerkannt werden, andernfalls muß gerichtliche Geltendmachung erfolgen.
…”
Die Klägerin hat in einer Aufstellung für die Monate Januar 1998 bis Februar 2000 insgesamt 60 Nachtdienste und die jeweils beanspruchte Vergütung aufgeführt. Die Beklagte hat die Vergütungsbeträge nicht bestritten. In ihrer eigenen Aufstellung fehlen die von der Klägerin angegebenen Nachtdienste vom 15. Januar 1998 und 1. November 1999.
Die Klägerin hat gemeint, für die von Januar 1998 bis Februar 2000 geleisteten und nur zur Hälfte durch Freizeit abgegoltenen 60 Nachtdienste stünden ihr 5.743,84 DM brutto zu. Ihr Vergütungsanspruch sei nicht nach § 63 BMT-G II verfallen. Sie habe ihn mit den Schreiben vom 17. und 30. Dezember 1997 sowie vom 19. April 1998 rechtzeitig geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.743,61 DM brutto nebst 4 % Zinsen ab dem 24. März 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat nach Anerkennung eines Betrages in Höhe von 2.242,84 DM brutto beantragt, die weitergehende Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe die tarifliche Ausschlussfrist nur für die Vergütungsansprüche auf Grund der in den Monaten Januar und Februar 1998 sowie Juli 1999 bis Februar 2000 geleisteten 23 Nachtdienste gewahrt. Vor Entstehen und Fälligkeit der Ansprüche habe sie diese nach § 63 BMT-G II nicht wirksam geltend machen können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe des anerkannten Betrages stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter und beantragt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 1.789,92 Euro brutto. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist überwiegend erfolglos. Der Klägerin steht Vergütung in Höhe von 143,63 Euro brutto zu. Hinsichtlich der weitergehenden Vergütungsansprüche ist die Revision unbegründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Vergütung der am 16. März 1998, 2. April 1998 und 13. April 1998 geleisteten Nachtdienste, die von der Beklagten nur zur Hälfte in Freizeit ausgeglichen worden sind (§ 611 Abs. 1 BGB).
1. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts steht dem Vergütungsanspruch die Ausschlussfrist des § 63 Unterabs. 1 BMT-G II nicht entgegen. Nach dieser Tarifvorschrift verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Arbeiter oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Die Klägerin hat mit dem Schreiben vom 19. April 1998 die tarifliche Ausschlussfrist für den Vergütungsanspruch wegen der ab dem 16. März 1998 bis zum 13. April 1998 geleisteten Nachtdienste gewahrt.
a) Die Geltendmachung eines Anspruchs ist keine Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf deren Auslegung die §§ 133, 157 BGB entsprechend anzuwenden sind (BAG 20. Februar 2001 – 9 AZR 46/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 11 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 139, zu II 2a der Gründe). Ob eine Handlung einer Partei zur Geltendmachung eines Anspruchs ausreicht, ist grundsätzlich von den Tatsacheninstanzen festzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat das individuelle Schreiben der Klägerin vom 19. April 1998 als Geltendmachung iSd. Ausschlussfrist genügen lassen. Diese Auslegung ist in der Revisionsinstanz ebenso wie die Auslegung nichttypischer Vertragserklärungen nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist (st. Rspr., vgl. BAG 16. Januar 2003 – 6 AZR 325/01 – AP BBiG § 10 Nr. 13, zu I 1b der Gründe; 5. Juni 2002 – 7 AZR 241/01 – BAGE 101, 262, 270; 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – BAGE 96, 237, 241 mwN).
b) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Auslegung des Landesarbeitsgerichts stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfordert eine Geltendmachung keine Substantiierung, sondern nur eine Spezifizierung des Anspruchs, die der Gegenseite eine Prüfung der gegen sie erhobenen Forderung erlaubt (BAG 20. Februar 2001 – 9 AZR 46/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 11 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 139, zu II 3a der Gründe; 20. Juni 2002 – 8 AZR 488/01 – EzA BGB § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 11, zu II 2e aa der Gründe). Diesen Anforderungen genügt das Schreiben der Klägerin vom 19. April 1998. Mit dem Hinweis zur Bewertung der Nachtdienste als Arbeitszeit hat sie den erhobenen Vergütungsanspruch konkret bezeichnet. Sie hat ausdrücklich entgangenen Lohn verlangt und damit deutlich gemacht, dass sie von der Beklagten Zahlung erwartet. Einer konkreten Angabe zur Höhe der Forderung bedurfte es nicht. Die Höhe des erhobenen Anspruchs war der Beklagten bekannt.
2. Der Vergütungsanspruch war bei der Geltendmachung am 19. April 1998 bereits entstanden. Die rechtserzeugenden Tatsachen waren auf Grund der am 16. März 1998, 2. April 1998 und 13. April 1998 geleisteten Nachtdienste bereits eingetreten. Bei einer Bewertung der Nachtdienste als Arbeitszeit in vollem Umfang kam allerdings entsprechend der bisherigen Praxis auch ein weitergehender Freizeitausgleich in Betracht. Über die Vergütung der nicht vollständig durch Freizeit abgegoltenen Nachtdienste waren sich die Parteien jedoch einig.
3. Der Vergütungsanspruch war allerdings am 19. April 1998 noch nicht fällig. Die Klägerin leistete monatlich unterschiedlich viele Nachtdienste. Die Vergütung hierfür ist weder ein für den Kalendermonat pauschalierter Lohnzuschlag noch ein pauschalierter Lohnbestandteil iSv. § 26a Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 BMT-G II. Nach § 26a Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 iVm. Unterabs. 2 Satz 1 BMT-G II ist die Vergütung für den am 16. März 1998 geleisteten Nachtdienst erst am 15. Mai 1998 und die Vergütung für die am 2. und 13. April 1998 geleisteten Nachtdienste erst am 15. Juni 1998 fällig geworden.
4. Auf die Fälligkeit des Anspruchs kommt es für die ordnungsgemäße Geltendmachung eines Anspruchs nach § 63 Unterabs. 1 BMT-G II nicht an. Bereits entstandene Ansprüche können auch schon vor ihrer Fälligkeit wirksam geltend gemacht werden.
a) Aus dem Wortlaut der Bestimmung, auf den es für die Tarifauslegung zunächst ankommt (st. Rspr., BAG 27. Juni 2002 – 6 AZR 209/01 – AP BAT § 29 Nr. 18, zu A II 2a der Gründe; 27. Juni 2002 – 6 AZR 378/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 18, zu A IV 1 der Gründe), folgt nicht, dass eine Geltendmachung frühestens nach Fälligkeit des Anspruchs erfolgen kann. Der Rechtsbegriff der Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger die Leistung fordern kann. Damit legt der Wortlaut der Tarifnorm lediglich den Zeitpunkt fest, zu dem ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Wahrung der Ausschlussfrist spätestens geltend gemacht werden muss. Ein Wille der Tarifvertragsparteien, nach dem die Anmeldung eines zwar entstandenen, jedoch noch nicht fälligen Anspruchs zur Wahrung der Ausschlussfrist unzureichend sein soll, hat im Wortlaut der Tarifbestimmung keinen Niederschlag gefunden.
b) Sinn und Zweck der Tarifbestimmung bestätigen dieses Auslegungsergebnis.
aa) Die Ausschlussfrist soll die Parteien des Arbeitsverhältnisses zur alsbaldigen Geltendmachung und Klärung ihrer Ansprüche veranlassen (Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Stand April 2003 § 63 Erl. 1; vgl. auch Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Mai 2003 § 70 Erl. 1). Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit (BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 405/97 – AP BAT-O § 70 Nr. 1, zu VI 2b bb der Gründe). Eine verspätete Anmeldung oft zweifelhafter oder rückwirkend schwer feststellbarer Ansprüche soll vermieden werden. Ausschlussfristen bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt, Beweise sichert oder vorsorglich Rücklagen bilden kann (vgl. BAG 26. Februar 2003 – 5 AZR 223/02 – AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 13 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 163, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3a der Gründe). Der öffentliche Arbeitgeber soll zudem in der Lage sein, notwendige Haushaltsmittel so zu veranschlagen, dass Nachforderungen in engen Grenzen gehalten werden können.
bb) Das Ziel einer zügigen Klärung der wechselseitigen Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis erfordert es nicht, einen Anspruch erst nach Eintritt der Fälligkeit geltend zu machen. Behauptet der Anspruchsteller schon vor Fälligkeit, dass der von einer Norm zur Entstehung des Anspruchs vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht ist, kann sich der Anspruchsgegner ebenso wie bei einem fälligen Anspruch auf die erhobene Forderung einstellen und sich Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs verschaffen. In einem solchen Fall handelt es sich nicht um die bloße Ankündigung eines möglichen Anspruchs. Es ist nicht ungewiss, ob und gegebenenfalls wann und in welchem Umfang ein Anspruch überhaupt entsteht; lediglich die Leistung kann erst künftig verlangt werden. Die von der Ausschlussfrist bezweckte rasche Klärung des Anspruchs kann zudem bei einer Geltendmachung vor Fälligkeit in der Regel noch schneller erreicht werden.
c) Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang stützt das Auslegungsergebnis. § 63 Unterabs. 1 BMT-G II bildet mit der in § 63 Unterabs. 2 BMT-G II getroffenen Regelung eine Einheit. In dieser Vorschrift haben die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs ausreicht, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen. Daraus wird der Wille der Tarifvertragsparteien deutlich, dass Ansprüche aus einem bestimmten, ständig gleichen Grundbestand schon vor ihrem Entstehen und Eintritt der Fälligkeit geltend gemacht werden können. Die Auslegung, dass trotz Verwirklichung des von der Anspruchsgrundlage vorausgesetzten Tatbestandes ein Anspruch nur nach Eintritt der Fälligkeit ordnungsgemäß geltend gemacht werden kann, stünde damit nicht im Einklang.
d) Eine andere Auslegung würde zudem zu Wertungswidersprüchen zur gerichtlichen Geltendmachung künftiger Leistungen führen. Nach § 257 und § 259 ZPO kann Klage auf künftige Leistung bei einer nicht von einer Gegenleistung abhängigen Geldforderung (§ 257 ZPO) oder bei Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung (§ 259 ZPO) erhoben werden. Sind die Voraussetzungen einer Klage auf künftige Leistung erfüllt, kann der Anspruchsteller entstandene Ansprüche vor Eintritt der Fälligkeit gerichtlich geltend machen. Hinge die Wirksamkeit der Geltendmachung nach § 63 Unterabs. 1 BMT-G II von der Fälligkeit des Anspruchs ab, könnte der Anspruchsteller zwar nach § 257 ZPO oder § 259 ZPO Klage auf künftige Zahlung erheben, den Anspruch jedoch noch nicht zur Wahrung der Ausschlussfrist ordnungsgemäß außergerichtlich geltend machen. Ein solches Ergebnis kann vernünftigerweise von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt sein.
5. Mit dieser Auslegung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1990 (– 6 AZR 37/89 – BAGE 66, 154, 166) und der Entscheidung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Mai 2001 (– 8 AZR 366/00 – AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 136, zu II 3a der Gründe), wonach die Geltendmachung nach Fälligkeit des Anspruchs zu erfolgen hat. Beide Entscheidungen betrafen nicht die in § 63 Unterabs. 1 BMT-G II, sondern die in § 70 BAT geregelte Ausschlussfrist. Ob bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach diesen Tarifvorschriften auf Grund ihrer Wortgleichheit identische Rechtsfragen zu beurteilen sind, kann dahingestellt bleiben. Maßgebend ist, dass in beiden Entscheidungen die Begründung, vor Fälligkeit des Anspruchs könne eine fristwahrende Geltendmachung nicht erfolgen, nicht tragend war. Die damals zur Entscheidung stehenden Ansprüche waren im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung entweder nicht entstanden oder wegen Ablaufs des in § 70 Abs. 1 BAT bestimmten Zeitraums verfallen. Hinzu kommt, dass der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht daran festhält, nur fällige Ansprüche könnten fristwahrend geltend gemacht werden. Er nimmt nunmehr an, dass Ausschlussfristen grundsätzlich auch durch eine Geltendmachung vor Fälligkeit des Anspruchs gewahrt werden können (BAG 20. Juni 2002 – 8 AZR 488/01 – EzA BGB § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 11, zu II 2e dd der Gründe; 13. Februar 2003 – 8 AZR 236/02 – AP BGB § 613a Nr. 244 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 162, zu II 1 der Gründe).
Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass ein Vergütungsanspruch für einen Nachtdienst am 15. Januar 1998 und am 1. November 1999 nicht dargelegt worden ist und den Vergütungsansprüchen für die ab dem 23. April 1998 bis Juni 1999 geleisteten Nachtdienste die tarifliche Ausschlussfrist entgegensteht.
1. Hinsichtlich der Nachtdienste am 15. Januar 1998 und am 1. November 1999 hat die Klägerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts eine darauf gerichtete Verpflichtung zur Ableistung der Dienste und deren Erfüllung nicht substantiiert vorgetragen. Ihre Rüge, nach der das Landesarbeitsgericht bei der Feststellung der Zahl der von ihr in der fraglichen Zeit zu leistenden Nachtdienste seine Aufklärungs- und Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt hat, ist unzulässig. Nach § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO muss die Revisionsbegründung, wenn die Revision darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben. Rügt der Revisionskläger die Verletzung des richterlichen Fragerechts und der Aufklärungspflicht, hat er anzugeben, was er auf einen entsprechenden Hinweis vorgebracht hätte. Dabei ist der unterbliebene Vortrag vollständig nachzuholen, damit feststellbar ist, ob der behauptete Verfahrensverstoß möglicherweise kausal für das Urteil war (BAG 12. April 2000 – 5 AZR 704/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 72, zu II 1a der Gründe; 5. Juli 1979 – 3 AZR 197/78 – BAGE 32, 56, 66). Daran fehlt es. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, welche konkreten Angaben sie gemacht hätte, wenn das Landesarbeitsgericht sie darauf hingewiesen hätte, ihren bisherigen Vortrag zu substantiieren und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen.
2. Der Anspruch auf Vergütung der ab dem 23. April 1998 bis zum Juni 1999 geleisteten Nachtdienste ist verfallen (§ 63 Unterabs. 1 BMT-G II).
a) In ihren Schreiben vom 17. und 30. Dezember 1998 hat die Klägerin der Beklagten ihre Rechtsauffassung zur Bewertung der Nachtdienste als Arbeitszeit in vollem Umfang mitgeteilt und sich die Wahrung ihrer Rechte vorbehalten, jedoch noch keine Ansprüche angemeldet. Das reicht zur Geltendmachung eines Anspruchs nicht aus (vgl. BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 405/97 – AP BAT-O § 70 Nr. 1, zu VI 2b bb der Gründe).
b) Bei der schriftlichen Geltendmachung am 19. April 1998 waren Vergütungsansprüche für die erst danach geleisteten Nachtdienste noch nicht entstanden. Eine fristwahrende Anmeldung eines Anspruchs setzt jedoch nach § 63 Unterabs. 1 BMT-G II voraus, dass der Anspruch nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bereits besteht (BAG 10. Juli 2003 – 6 AZR 283/02 – ZTR 2003, 625, zu 3 der Gründe; 20. Juli 1989 – 6 AZR 774/87 – ZTR 1990, 155, zu II 3 der Gründe). Daran ist festzuhalten.
aa) Die Tarifbestimmung knüpft an “Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” an. Die Verwendung des Wortes “Ansprüche” zwingt zu der Annahme, dass die rechtserzeugenden Anspruchsvoraussetzungen nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bei der Geltendmachung bereits erfüllt sein müssen. Fehlt es daran, liegt noch kein Anspruch vor, der geltend gemacht werden könnte. Zudem verdeutlicht der Tarifbegriff in § 63 Unterabs. 1 BMT-G II “verfallen”, dass der Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis bei seiner Geltendmachung bereits entstanden sein muss. Das Verfallen eines Anspruchs bedeutet, dass der Anspruch untergeht oder erlischt. Dies ist vor seinem Entstehen nicht möglich.
bb) Eine die tarifliche Ausschlussfrist wahrende Geltendmachung vor dem Entstehen des Anspruchs widerspräche auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Sind die rechtserzeugenden Tatsachen nach der Behauptung des Anspruchstellers noch nicht eingetreten, ist ungewiss, ob und gegebenenfalls wann und in welchem Umfang Ansprüche überhaupt entstehen. Die von der Ausschlussfrist bezweckte rasche Klärung der Ansprüche ist nicht möglich. Ohne Bedeutung ist, dass die von der Klägerin geleisteten Nachtdienste überwiegend unstreitig sind und insoweit lediglich Meinungsverschiedenheiten über deren Einordnung als Arbeitszeit bestanden. Von einer tariflichen Ausschlussfrist erfasste Ansprüche verfallen auch dann, wenn über die rechtserzeugenden Tatsachen kein Streit besteht. Die Tarifvertragsparteien haben wegen des mit der Ausschlussfrist verfolgten Zwecks, Ansprüche rasch zu klären, nicht danach differenziert, ob der zur Entstehung des Anspruchs vorausgesetzte Tatbestand oder die Bewertung der rechtserzeugenden Tatsachen streitig ist. Hinzu kommt, dass für den öffentlichen Arbeitgeber Klarheit über die einzustellenden Haushaltsmittel auch dann bestehen muss, wenn nicht Tatsachen, sondern die damit einhergehenden Rechtsfolgen unterschiedlich beurteilt werden.
cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus § 63 Unterabs. 2 BMT-G II nichts anderes. Diese Tarifvorschrift bestimmt, dass für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs ausreicht, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen. Die Regelung setzt damit ebenso wie § 63 Unterabs. 1 BMT-G II voraus, dass die “einmalige Geltendmachung” einen bereits entstandenen Anspruch betrifft. Ist ein solcher Anspruch ordnungsgemäß geltend gemacht worden, lässt die Tarifvorschrift diese Geltendmachung für denselben Sachverhalt aus Gründen der Vereinfachung auch für später fällig werdende Leistungen ausreichen. Jedoch hat das Landesarbeitsgericht mit Recht erkannt, dass sich die von der Klägerin beanspruchten Leistungen nicht aus “demselben Sachverhalt” ergeben. Dies ist der Fall, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage Ansprüche aus einem bestimmten Tatbestand herzuleiten sind (BAG 17. Mai 2001 – 8 AZR 366/00 – AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 136, zu II 3c der Gründe; 20. Juli 1989 – 6 AZR 774/87 – ZTR 1990, 155, zu IV der Gründe). Daran fehlt es. Die Klägerin hat monatlich unterschiedlich viele Nachtdienste geleistet. Darauf beruhende Vergütungsansprüche sind damit nicht aus einem bestimmten, ständig gleichen Grundtatbestand entstanden wie zB ständige Zulagen oder Gehaltsansprüche bei unrichtiger Eingruppierung (BAG 20. Juli 1989 – 6 AZR 774/87 – aaO, zu IV der Gründe). Es handelt sich um sogenannte unständige Bezüge, die § 63 Unterabs. 2 BMT-G II nicht erfasst (BAG 10. Juli 2003 – 6 AZR 283/02 – ZTR 2003, 625, zu 4 der Gründe).
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Gebert, Erika Holzhausen
Fundstellen
Haufe-Index 1123005 |
BAGE 2005, 100 |
BB 2004, 1860 |
DB 2005, 1011 |
EBE/BAG 2004, 1 |
ZTR 2004, 264 |
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 6 |
EzA |
RiA 2004, 215 |
ZfPR 2004, 240 |
AUR 2004, 164 |
BAGReport 2004, 211 |
Tarif aktuell 2004, 12 |