Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des paritätischen Personalausschusses bei Kündigungen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Betriebsrat kann gemäß § 28 Abs 1 BetrVG seine Mitwirkungsrechte bei Kündigungen nach § 102 BetrVG auf einen von ihm gebildeten Personalausschuß übertragen (Bestätigung des Senatsurteils vom 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 = BAGE 27, 209 = AP Nr 4 zu § 102 BetrVG 1972).
2. Betriebsrat und Arbeitgeber können daneben gemäß § 28 Abs 3 BetrVG paritätische Personalausschüsse für Arbeiter und Angestellte bilden. Der Betriebsrat kann seinen Mitgliedern in diesen paritätischen Ausschüssen ebenfalls seine Mitwirkungsrechte nach § 102 BetrVG zur selbständigen Wahrnehmung übertragen, wenn er ausschließlich – und zwar alle – Mitglieder in die paritätischen Ausschüsse entsendet, die auch dem Personalausschuß angehören. Hört der Arbeitgeber nur den paritätischen Ausschuß zu einer beabsichtigten Kündigung an, so ist diese wenigstens dann nicht wegen Verletzung von § 102 BetrVG unwirksam, wenn sämtliche Mitglieder des Betriebsrats im paritätischen Ausschuß der Kündigung zugestimmt haben.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 08.12.1982; Aktenzeichen 2 Sa 1404/82) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 27.07.1982; Aktenzeichen 3 Ca 158/82) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die von der Beklagten mit Schreiben vom 2. März 1982 ausgesprochene und dem Kläger am 4. März 1982 zugegangene außerordentliche Kündigung als umgedeutete ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 1982 aufgelöst hat.
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, trat am 23. August 1972 als Arbeiter in den Dienst der Beklagten, die ihn in ihrem Werk Bochum beschäftigte. Dort besteht ein 35-köpfiger Betriebsrat. Der Kläger wurde der Halbzeug- und Stabstahlzurichterei des Walzwerkes zugewiesen. Er arbeitete hier als zweiter Ofenmann. Er gehörte einer Wechselschicht an.
Am Freitag, dem 12. Februar 1982, hatte der Kläger Spätschicht. Er wurde etwa gegen 21.00 Uhr von dem Ofenarbeiter K, der Nachtschicht hatte, abgelöst. Hierbei kam es zwischen dem Kläger und dem Arbeitskollegen K zu einer Auseinandersetzung, deren Verlauf und Art strittig sind. Der für diesen Bereich zuständige Vorgesetzte teilte der Personalabteilung schriftlich mit, der Arbeitskollege K habe sich zu Nachtschichtbeginn bei dem Kläger über die durchzuführenden Arbeiten im Bereich der Warmbehandlung informieren wollen. Der Kläger habe K an seinem Arbeitsanzug und ins Gesicht gefaßt. Knecht habe den Kläger von sich gestoßen und sich Handgreiflichkeiten verbeten. Daraufhin habe der Kläger dem Arbeitskollegen K ohne ersichtlichen Grund ins Gesicht geschlagen. K sei weggelaufen und habe seinen Helm verloren. Es werde um entsprechende Maßnahmen gebeten.
Der Betriebsrat des Bochumer Werkes der Beklagten hatte in seiner Sitzung vom 21. April 1981 eine Geschäftsordnung beschlossen. Nach Nr. 4 dieser Geschäftsordnung hat der Betriebsrat für die selbständige Erledigung von verschiedenen Aufgaben weitere Ausschüsse gebildet, darunter einen Personalausschuß, der die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten wahrnehmen sollte, also auch das Anhörungsrecht bei Kündigungen gemäß § 102 BetrVG. Diesem Personalausschuß wies der Betriebsrat am 21. April 1981 die Betriebsratsmitglieder E und W als Angestelltenvertreter und die Betriebsratsmitglieder F, Fl, P und Ko als Arbeitervertreter zu. Anläßlich der Besetzung seiner Ausschüsse beschloß der Betriebsrat folgendes:
„Die Mitglieder der nach der Geschäftsordnung gebildeten Ausschüsse sind gleichzeitig Mitglieder der entsprechenden paritätisch von Arbeitgeber und Betriebsrat besetzten Ausschüsse. Sie haben auch in diesen Ausschüssen die ihnen durch die Geschäftsordnung übertragenen Befugnisse zur selbständigen Erledigung.”
Schon seit 1968 besteht in dem Bochumer Werk der Beklagten ein sogenannter paritätischer Personalausschuß für Arbeiter und für Angestellte. In dem für Arbeiter zuständigen paritätischen Personalausschuß ist der Betriebsrat durch die Betriebsratsmitglieder, die auch dem Personalausschuß angehören, also die Betriebsratsmitglieder F, Fl, P und Ko, vertreten. Der für Arbeiter zuständige paritätische Personalausschuß führte am 2. März 1982 eine Sitzung durch, an der alle Mitglieder mit Ausnahme von Ko und B von Arbeitgeberseite teilnahmen. Ausweislich des Protokolls der Sitzung beschlossen die anwesenden Mitglieder des Personalausschusses – es fehlte je ein Vertreter des Betriebsrates und des Arbeitgebers – e i n s t i m m i g, der Kündigung des Klägers zuzustimmen.
Am 4. März 1982 erhielt der Kläger, der tariflich eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende hatte, nachfolgendes Kündigungsschreiben der Beklagten vom 2. März 1982:
„Aufgrund des Vorfalles vom 12. Februar 1982, bei dem Sie ungerechtfertigt einen Arbeitnehmer angegriffen und verletzt haben, sehen wir uns außerstande, das Arbeitsverhältnis mit Ihnen fortzusetzen. Wir kündigen daher mit sofortiger Wirkung. Der Betriebsrat ist angehört und hat zugestimmt.”
Mit der am 5. März 1982 eingereichten Klage hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht. Er hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die am 4. März 1982 zugegangene Kündigung nicht aufgelöst worden ist, sondern das Arbeitsverhältnis über den 31. Mai 1982 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Kläger habe durch eine Schlägerei mit seinem Arbeitskollegen K den Betriebsfrieden so nachhaltig gestört, daß zumindest eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Als K den Kläger habe ablösen wollen, habe dieser in aufdringlicher Weise das Gesicht des Arbeiters K getätschelt. Obwohl K sich das verbeten habe, habe der Kläger weiter „gefummelt”. Daraufhin habe K den Kläger von sich gestoßen. Nunmehr habe der Kläger den Arbeitskollegen K einige Male heftig ins Gesicht geboxt und hierbei gesagt: „Du bist ja doof, Du gehörst in eine Anstalt”. K habe sich weiteren Angriffen und Schlägen durch Weglaufen entzogen.
Der Kläger hat erwidert, er habe seinen Arbeitskollegen K weder geschlagen noch durch Äußerungen beleidigt. Es sei überhaupt nicht zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen. Es habe sich vielmehr um einen Spaß zwischen ihm und K gehandelt. Im übrigen sei die Umwandlung der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung zu Unrecht erfolgt. Auch sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Allenfalls hätte die Beklagte Veranlassung gehabt, eine Abmahnung auszusprechen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit der Kläger sich gegen die außerordentliche Kündigung zur Wehr gesetzt hat, im übrigen hat es die außerordentliche in eine ordentliche Kündigung umgedeutet und den weitergehenden Antrag des Klägers abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers, mit der er die Ansicht vertreten hat, das Arbeitsverhältnis bestehe auch über den 31. Mai 1982 hinaus fort, zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Feststellung weiter, daß das Arbeitsverhältnis auch durch eine ordentliche Kündigung nicht beendet worden ist, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
A.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, der Kläger habe den Arbeitskollegen K beleidigt und gedemütigt, indem er geäußert habe, er sei in der psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt gewesen, er habe ihn getreten und in das Gesicht geschlagen. Das Berufungsgericht hat angenommen, bei dieser Sachlage sei eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Einer Abmahnung habe es bei einer solchen Störung des Betriebsfriedens nicht bedurft. Zwar habe die Beklagte eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen, jedoch sei diese zu Recht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet worden. Die Rechte des Betriebsrats seien gewahrt. Zwar sei nicht der Betriebsrat und auch nicht der gemäß § 28 Abs. 1 BetrVG gebildete Personalausschuß beteiligt worden, sondern der nach § 28 Abs. 3 BetrVG gebildete paritätische Personalausschuß für Arbeiter, das sei aber unschädlich, weil die in diesen Ausschuß entsandten Betriebsratsmitglieder gleichzeitig Mitglieder des Personalausschusses seien und ihnen die Befugnisse im Personalausschuß auch für den paritätischen Ausschuß zur selbständigen Erledigung übertragen worden seien. Der paritätische Personalausschuß sei zwar nur zur außerordentlichen Kündigung gehört worden, das sei aber rechtlich unbedenklich, weil die Mitglieder des Betriebsrats in diesem Ausschuß der Kündigung ohne Vorbehalt zugestimmt hätten.
B.
Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist im wesentlichen zu folgen.
I.
Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Umdeutung der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung durch das Arbeitsgericht sei rechtlich unbedenklich, ist nicht zu beanstanden. Sie wird auch von der Revision nicht angegriffen. Eine Umdeutung nach § 140 BGB ist dann rechtlich möglich, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger auch erkennbar gewesen ist (BAG 27, 263 = AP Nr. 10 zu § 626 BGB Druckkündigung). Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, daß der Wortlaut des Kündigungsschreibens – „sehen wir uns nicht in der Lage, das Arbeitsverhältnis mit Ihnen fortzusetzen …” – in Verbindung mit dem schweren Vorwurf der Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen dem Kläger die Gewißheit gab, die Beklagte wolle sich auf jeden Fall von ihm trennen. Die Beklagte hat auch im Prozeß erklärt, sie hätte, wenn sie nur die Möglichkeit der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung in Betracht gezogen hätte, hilfsweise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen. Dies ist auch erforderlich, weil für den mutmaßlichen Parteiwillen in erster Linie die subjektiven Vorstellungen der Parteien zu berücksichtigen sind (BAG Urteil vom 14. August 1974 - 5 AZR 497/73 - AP Nr. 3 zu § 13 KSchG 1969; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 265 m.w.N.).
II.
Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Kündigung nicht wegen Verletzung von § 102 BetrVG rechtsunwirksam ist.
Das Verfahren bei der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung des Klägers ist zwar ungewöhnlich, aber mit dem Betriebsverfassungsgesetz vereinbar.
1. Der Betriebsrat hat nach § 28 Abs. 1 BetrVG neben dem Betriebsausschuß mehrere weitere Ausschüsse gebildet und dem Personalausschuß u.a. das Beteiligungsrecht nach § 102 BetrVG übertragen. Daß der Betriebsrat sein Mitwirkungsrecht nach § 102 BetrVG einem weiteren Ausschuß übertragen kann, ist seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - (BAG 27, 209 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972) allgemeine Ansicht.
2. Die Beklagte hat aber nicht diesen Ausschuß zur beabsichtigten Kündigung angehört, sondern einen paritätischen Ausschuß. Dem Berufungsgericht ist jedoch darin zu folgen, daß vorliegend auch dieser Umstand nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
a) Nach § 28 Abs. 3 BetrVG können Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsame Ausschüsse bilden, die in der Regel paritätisch besetzt sind. Ihnen können – wie sich aus der Verweisung auf § 28 Abs. 1 BetrVG ergibt – in gleichem Umfang wie den vom Betriebsrat gebildeten Ausschüssen bestimmte Mitwirkungsrechte zur selbständigen Erledigung übertragen werden (Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 28 Rz 27; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 28 Rz 14 und 15; Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG, § 28 Rz 12; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 28 Rz 4; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 28 Rz 35). Das ist auch im vorliegenden Falle geschehen. Der Betriebsrat hat in den paritätischen Personalausschuß für Arbeiter die gewerblichen Arbeitnehmer aus dem Personalausschuß entsandt und in den paritätischen Ausschuß für Entgelt- und Personalfragen der Angestellten die Angestellten aus dem Personalausschuß. Den Mitgliedern beider paritätischer Ausschüsse sind vom Betriebsrat die Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen worden, die sie bereits als Mitglieder des Personalausschusses hatten. Wenn der Betriebsrat seine Mitwirkungsrechte in dieser Weise delegiert, bestehen dagegen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, auch wenn auf diese Weise dem eigentlichen Personalausschuß wesentliche Funktionen entzogen werden. Immerhin können die Betriebsratsmitglieder der beiden paritätischen Ausschüsse einen Beschluß des Personalausschusses herbeiführen, wenn sie sich mit der Arbeitgeberseite nicht einigen können oder eine Beratung zwischen Angestellten und Arbeitern in Abwesenheit des Arbeitgebers für erforderlich halten. Die Frage, ob Vorkehrungen getroffen werden müssen, um sicherzustellen, daß ein Beschluß im paritätischen Ausschuß nur dann getroffen wird, wenn die Mehrheit der Betriebsratsmitglieder zugestimmt hat (so Dietz/Richardi, aaO), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da auch a l l e anwesenden drei Betriebsratsmitglieder der Kündigung ohne Vorbehalt zugestimmt haben.
b) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, die Tatsache, daß Betriebsrats- und Arbeitgebervertreter gemeinsam über die Kündigung beraten und beschlossen haben, sei rechtlich unschädlich, weil die Arbeitgeberseite die Betriebsratsmitglieder weder veranlaßt hat, sofort eine Stellungnahme abzugeben, noch davon abgehalten hat, sich in Abwesenheit des Arbeitgebers zu beraten (BAG Urteil vom 24. März 1977 - 2 AZR 289/76 - AP Nr. 12 zu § 102 BetrVG 1972).
3. Der paritätische Ausschuß ist auf Initiative der Beklagten an der beabsichtigten Kündigung des Klägers auch der Form des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechend beteiligt worden.
Das Berufungsgericht hat auch zutreffend angenommen, der paritätische Ausschuß habe sich auch gerade mit der Tätlichkeit des Klägers befaßt. Die Formulierung, der Kläger habe „seinen Einwand, der Personalausschuß habe der beabsichtigten Kündigung wegen Unzufriedenheit der Beklagten mit der Arbeitsleistung zugestimmt … nicht zu beweisen vermocht”, scheint zwar dafür zu sprechen, daß das Landesarbeitsgericht die Beweislast verkannt hat. Wie sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Würdigung des Beweisergebnisses durch das Berufungsgericht ergibt, ist es aufgrund der Zeugenaussagen und des Protokolls der Ausschußsitzung vom 2. März 1982 zu der Überzeugung gelangt, im Ausschuß sei als Kündigungsgrund die Auseinandersetzung des Klägers mit dem Arbeitnehmer K behandelt worden. Das Mitglied des paritätischen Ausschusses W habe nämlich bekundet, eigentlicher Gegenstand der Besprechung seien die tätlichen Auseinandersetzungen gewesen, nur nebenbei seien kurz die schlechten Arbeitsleistungen erörtert worden. Die Richtigkeit dieser Aussage werde b e l e g t durch das Protokoll der Sitzung, nach dem einziger Tagesordnungspunkt die dem Kläger vorgeworfene Tätlichkeit gewesen ist und in dieser Sitzung der Kläger und drei Zeugen gerade zu dieser tätlichen Auseinandersetzung gehört worden sind.
4. Der paritätische Ausschuß ist zwar nur zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, die dann auch ausgesprochen worden ist, gehört worden. Dies berührt aber die Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung nicht, weil die vom Betriebsrat entsandten Mitglieder des paritätischen Ausschusses der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ohne Vorbehalt zugestimmt haben (BAG 30, 176).
III.
Dem Landesarbeitsgericht kann auch darin gefolgt werden, daß die Kündigung sozial gerechtfertigt ist.
1. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u.a. BAG 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG und BAG 29, 49 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Dieser beschränkten Nachprüfung hält das Urteil stand.
2. An die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung ist der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden, weil die Revision insoweit keine durchgreifenden Prozeßrügen erhoben hat. Von einer näheren Begründung wird insoweit gemäß § 565 a ZPO abgesehen. Es ist also bei der rechtlichen Überprüfung davon auszugehen, daß der Kläger den Arbeitskollegen K empfindlich beleidigt hat, indem er ihn als „Arschloch” bezeichnet und ihm gesagt hat, er sei verrückt, er sei in Eickelborn (in einer psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt) gewesen. Außerdem ist der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, daß der Kläger den Arbeitskollegen getreten und ihn ins Gesicht geschlagen hat, als dieser weglaufen wollte.
3. Entgegen der Auffassung der Revision scheitert die Kündigung auch nicht an der fehlenden Abmahnung.
a) Einer vorherigen vergeblichen Abmahnung bedarf es nach dem in § 326 Abs. 1 BGB enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken in der Regel bei Störungen im Leistungsbereich. Darunter werden alle Störungen im Bereich der gegenseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag – Arbeitsleistung und Vergütungspflicht – verstanden (KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 96).
Beleidigungen und Tätlichkeiten fallen nicht unter den Leistungsbereich. Hierbei handelt es sich vielmehr um Verletzung von Nebenpflichten, die zu einer Störung im Betriebsbereich führen. Auch hier – ebenso wie bei Störungen im Vertrauensbereich (vgl. dazu KR-Hillebrecht, aa0, Rz 99) – kann nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausnahmsweise eine Abmahnung erforderlich sein, wenn das Arbeitsverhältnis durch die Vertragsverletzung noch nicht zu stark belastet ist und der Arbeitgeber damit rechnen kann, die Abmahnung werde zu einem vertragsgemäßen Verhalten in der Zukunft führen (vgl. BAG Urteil vom 3. Februar 1982 - 7 AZR 907/79 - AP Nr. 1 zu § 72 BPersVG und KR-Hillebrecht, aaO, Rz 100 für betriebliche Störungen im Leistungsbereich).
b) Eine Abmahnung ist jedoch – selbst bei Störungen im Leistungsbereich – entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage oder willens ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Auch besonders schwere Verstöße bedürfen keiner Abmahnung, weil hier der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewußt sein muß, daß er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 58; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 333; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 1 Rz 90 a, m.w.N. und KR-Hillebrecht, aaO, Rz 98).
Die unprovozierten Beleidigungen durch den Kläger und insbesondere die Tätlichkeit ist eine derart grobe Pflichtverletzung, daß eine Abmahnung vorliegend entbehrlich gewesen ist. Der Arbeitgeber hat eine Verpflichtung gegenüber allen Arbeitnehmern, dafür Sorge zu tragen, daß sie unbelästigt ihrer Arbeit nachgehen können und nicht Tätlichkeiten ausgesetzt werden. Dieser Verpflichtung kann der Arbeitgeber nur gerecht werden, wenn er unprovozierte Körperverletzungen in Fällen der vorliegenden Art mit einer Kündigung ahndet.
4. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe keine Interessenabwägung vorgenommen, zumindest nicht alle erheblichen Tatsachen bei der Interessenabwägung berücksichtigt, ist ebenfalls unbegründet. Wie sich aus den Seiten 21 und 22 der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils ergibt, hat das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung des Lebensalters, der Betriebszugehörigkeit und der Unterhaltsberechtigten des Klägers die Kündigung für sozial gerechtfertigt gehalten, weil es das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung der betrieblichen Ordnung und eines reibungslosen Arbeitsablaufs höher eingeschätzt hat. Im Grunde rügt die Revision nicht eine unvollständige oder fehlende Interessenabwägung, sondern sie will die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts durch eine ihr günstigere ersetzt haben. Damit kann die Revision aber keinen Erfolg haben, weil sie keinen Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Interessenabwägung darlegt.
C.
Dementsprechend war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Hillebrecht, Dr. Röhsler, Dr. Weller, Brocksiepe, Brenne
Fundstellen
Haufe-Index 60068 |
BB 1985, 1599-1599 (LT1-2) |
DB 1985, 340-341 (LT1-2) |
NZA 1985, 96-96 (LT1-2) |
AP, (LT1-2) |
AR-Blattei, Abmahnung Entsch 10 (T) |
AR-Blattei, ES 20 Nr 10 (T) |
EzA, (LT1-2) |
ZfA 1985, 571-571 (T) |