Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung – Berechnung bei Wechsel von Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung. Bemessung einer Sozialplanabfindung bei Wechsel von einer Teilzeit- in eine Vollzeitbeschäftigung im Laufe eines Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Die Grenzen des weiten Spielraums, den die Betriebspartner bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung und der Ausgestaltung der darauf gerichteten Ausgleichsmaßnahmen haben, sind nicht überschritten, wenn bei der Bemessung einer Sozialplanabfindung Zeiten der Teilzeit- und der Vollzeitbeschäftigung anteilig berücksichtigt werden.
2. Eine solche Regelung verstößt auch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder § 2 BeschFG 1985.
Orientierungssatz
1. Die Betriebspartner haben bei der Aufstellung eines Sozialplans einen weiten Spielraum für die Bestimmung des angemessenen Ausgleichs der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer.
2. Die anteilige Berücksichtigung von früheren Zeiten der Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung bei der Bestimmung der Höhe einer Sozialplanabfindung überschreitet die Grenzen dieses Spielraums nicht.
3. Neben dem Rückgriff auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit zur pauschalen Bewertung der mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteile können die Betriebspartner auch nach Zeiten der Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung differenzieren.
4. Eine solche Regelung ist sachlich gerechtfertigt und verstößt nicht gegen § 2 BeschFG 1985.
Normenkette
BetrVG §§ 112, 75; BeschFG 1985 § 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. September 2000 – 4 Sa 1984/99 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe einer Sozialplanabfindung.
Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Juni 1976 zunächst 15 Jahre lang halbtags, sodann ca. sieben Jahre lang bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Vollzeit beschäftigt. Er erhielt zuletzt eine Vergütung in Höhe von 5.627,00 DM brutto im Monat. Bei der Beklagten besteht ein Interessenausgleich vom 25. August 1998 bezüglich des Abbaus von mehreren hundert Arbeitsplätzen, auf Grund dessen das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. März 1999 betriebsbedingt gekündigt worden ist. Nach dem Sozialplan vom 25. August 1998 steht dem Kläger eine Abfindung zu; § 3 des Sozialplans lautet wie folgt:
„§ 3
Abfindungszahlungen
(1) Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis bei D. aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wird und die zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens das 54. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erhalten folgende Abfindungszahlungen. …
Der Abfindungsbetrag errechnet sich nach folgender Formel:
Jahre der Betriebszugehörigkeit × Monatsgehalt × 2,0 |
Der Höchstbetrag der Abfindungssumme beträgt DM 250.000,– brutto
Monatsgehalt wird definiert als das letzte monatliche Bruttogrundgehalt × 13:12.
Dienstjahr wird definiert als vollendete ununterbrochene Dienstjahre und Monate zum Ende der jeweiligen Kündigungsfrist. … Soweit der Beschäftigte teilweise voll- und teilzeit beschäftigt war, werden diese Zeiten und die entsprechenden Gehälter anteilig gerechnet.
…”
Unter Berücksichtigung des letzten Satzes von § 3 Abs. 1 des Sozialplans errechnete die Beklagte eine Abfindung von 190.829,00 DM und zahlte diese an den Kläger aus. Nach der Sozialplanformel ergäbe sich, wenn die Zeiten der Teilzeitbeschäftigung voll und nicht nur anteilig berücksichtigt würden, eine Abfindung von 268.220,00 DM.
Mit der Klage begehrt der Kläger die Differenz zum Höchstbetrag der Sozialplanabfindung von 250.000,00 DM, also 59.171,00 DM brutto. Er meint, die abfindungsmindernde Berücksichtigung der Zeit seiner Halbtagsbeschäftigung sei unzulässig. Eine Differenzierung gegenüber Vollzeitbeschäftigten sei nicht sachgerecht. Die Teilzeitarbeit liege auch schon längere Zeit zurück. Der nach dem Zweck des Sozialplans auszugleichende Verlust des Arbeitsplatzes bewerte sich nach der zuletzt innegehabten Stellung. Maßgeblich sei die Höhe des Einkommens, das ihm mit dem durch die Betriebsänderung verbundenen Verlust des Arbeitsplatzes entgehe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 59.171,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen daraus seit dem 1. April 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Sozialplan differenziere in zulässiger Weise nach der Art der Beschäftigung. Die Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt. Für die Frage, welcher Verlust auszugleichen sei, müsse auf die gesamte Zeit des Arbeitsverhältnisses abgestellt werden. Außerdem sei eine höhere Abfindung schon deswegen nicht einklagbar, weil dies zu einer mehr als nur geringfügigen Ausweitung des Gesamtvolumens des Sozialplans führen würde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein weiterer Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan vom 25. August 1998 nicht zu. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage daher abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die der Berechnung der Sozialplanabfindung zugrunde liegende Bestimmung in § 3 Abs. 1 letzter Satz des Sozialplans sei nicht zu beanstanden. Sie verstoße weder gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen § 2 BeschFG. Die aus der Vorschrift folgende Ungleichbehandlung des Klägers im Vergleich zu solchen Arbeitnehmern, die während ihrer gesamten Betriebszugehörigkeit vollbeschäftigt waren, sei nach dem Zweck der Leistung, einen Ausgleich oder die Milderung zukünftig zu erwartender Nachteile auf Grund der Betriebsänderung zu schaffen und damit als Überbrückungshilfe bis zu einem neuen Arbeitsverhältnis oder längstens bis zum Bezug von Altersruhegeld zu dienen, sachlich gerechtfertigt. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die Betriebspartner bei der Aufstellung eines Sozialplans einen weiten Ermessensspielraum haben. Angesichts dessen seien keine Gesichtspunkte zu erkennen, daß die streitige Sozialplanbestimmung den Normzweck des § 112 BetrVG verfehle oder für sie keine billigenswerten Gründe bestanden hätten.
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
II. Die Beklagte hat den Abfindungsanspruch des Klägers nach dem Sozialplan erfüllt. Zutreffend hat sie nach § 3 Abs. 1 letzter Satz des Sozialplans bei 15 Jahren Halbtagsbeschäftigung des Klägers und 7 Jahren Vollzeitbeschäftigung den Abfindungsbetrag mit 190.829,00 DM berechnet. Insoweit besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.
III. § 3 letzter Satz des Sozialplans ist wirksam.
1. Er verstößt nicht gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben die Betriebspartner bei der Aufstellung eines Sozialplans grundsätzlich einen weiten Spielraum für die Bestimmung des angemessenen Ausgleichs für die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Sie haben innerhalb der Grenzen von Recht und Billigkeit darüber zu befinden, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer ausgleichen oder mildern wollen(vgl. Senat 15. Dezember 1998 – 1 AZR 332/98 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 126 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 103, zu 2 c dd der Gründe mwN; BAG 31. Juli 1996 – 10 AZR 45/96 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 103 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 86, zu II 2 a der Gründe mwN; 24. Januar 1996 – 10 AZR 155/95 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 98 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 83, zu 2 b der Gründe). Sie können von einem Nachteilsausgleich auch gänzlich absehen und bei ihrer Regelung nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden(vgl. Senat 28. September 1988 – 1 ABR 23/87 – BAGE 59, 359, 365, zu B II 2 der Gründe mwN; BAG 31. Juli 1996 – 10 AZR 45/96 – aaO, zu II 2 a der Gründe). Die Betriebspartner sind insbesondere nicht gehalten, alle erdenkbaren Nachteile zu entschädigen. Der Inhalt des Sozialplans muß aber – nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung – dem Normzweck von § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechen, die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder doch zu mildern, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen(BAG 31. Juli 1996 – 10 AZR 45/96 – aaO, zu II 2 a der Gründe mwN). Die Sozialplanabfindung hat danach eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion hinsichtlich der – künftigen – Nachteile, die durch eine geplante Betriebsänderung entstehen können(BAG 9. November 1994 – 10 AZR 281/94 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 78, zu II 2 c der Gründe).
Auch wenn danach der Zweck der Abfindung auf die durch die Betriebsänderung verursachte künftige Lage des Arbeitnehmers bezogen ist, hat es das Bundesarbeitsgericht in ebenfalls ständiger Rechtsprechung für vereinbar mit § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gehalten, wenn bei der Festsetzung der Höhe von Sozialplanabfindungen die Dauer der Betriebszugehörigkeit zugrunde gelegt wird. Zwar ist das vergangenheitsbezogene Kriterium der Betriebszugehörigkeit nicht vorrangig ausschlaggebend dafür, welche Nachteile ein Arbeitnehmer durch eine Betriebsänderung in der Zukunft erleidet. Es erscheint indessen nicht sachwidrig, wenn die Betriebsparteien von einer mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit zunehmenden Verengung der Qualifikation des Arbeitnehmers auf die spezifischen Bedürfnisse des bisherigen Beschäftigungsbetriebs und einer entsprechenden Minderung der Chancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt ausgehen. Auch ist nicht zu verkennen, daß der Sozialplan seine Befriedungsfunktion nur erfüllen kann, wenn die Maßstäbe für die Bemessung der unterschiedlichen Abfindungen der betroffenen Belegschaft vermittelt werden können. Angesichts der Unsicherheit über den Umfang der im Einzelfall zu erwartenden Nachteile hat der Rückgriff auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit den Vorzug hoher Transparenz und Praktikabilität. Hierdurch wird die Sozialplanabfindung noch nicht zu einer Entschädigung für den Verlust eines Besitzstandes oder zu einer – nachträglichen – Vergütung in der Vergangenheit für den Betrieb geleisteter Dienste(vgl. BAG 16. März 1994 – 10 AZR 606/93 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 75 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 73, zu II 2 a der Gründe).
Insofern ist es auch nicht als Verstoß gegen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG angesehen worden, wenn bei der Berechnung der Sozialplanabfindung solche Zeiten nicht angesetzt werden, in denen der Arbeitnehmer nicht für den Betrieb tätig war(vgl. BAG 30. März 1994 – 10 AZR 352/93 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 76 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 74, zu II 3 der Gründe). Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat angenommen, daß dann, wenn die Betriebspartner die Betriebszugehörigkeitszeit bei der Bemessung der Abfindung völlig außer Betracht lassen können, sie auch die Befugnis haben, die Betriebszugehörigkeitszeiten modifiziert zu berücksichtigen(BAG 16. März 1994 – 10 AZR 606/93 – aaO, zu II 2 a der Gründe).
b) Nach diesen Grundsätzen bestehen gegen die Bestimmung in § 3 Abs. 1 letzter Satz des Sozialplans keine Bedenken. Zwar ist die unterschiedliche Berücksichtigung von früheren Zeiten der Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung bei der Bestimmung der Höhe der Sozialplanabfindung vergangenheitsbezogen. Die Grenzen des weiten Spielraums, den die Betriebspartner bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung und der Ausgestaltung der darauf gerichteten Ausgleichsmaßnahmen haben, sind aber nicht überschritten. Neben dem Rückgriff auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit zur pauschalen Bewertung der mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteile können die Betriebspartner auch nach Zeiten der Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung differenzieren. Eine Teilzeitbeschäftigung, die Raum für eine anderweitige Beschäftigung oder Ausbildung läßt, mag zu einer weniger starken Bindung des Arbeitnehmers an den Betrieb führen als eine Vollzeitbeschäftigung und damit auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt weniger einengen.
2. Mit diesen Erwägungen ist auch ein Verstoß gegen § 2 BeschFG 1985 zu verneinen.
§ 2 Abs. 1 BeschFG 1985 verbietet es dem Arbeitgeber, einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich zu behandeln. Wie ausgeführt, ist die Ungleichbehandlung des zu Beginn seines Arbeitsverhältnisses 15 Jahre lang teilzeitbeschäftigten Klägers gegenüber durchgehend vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bei der Bemessung der Sozialplanabfindung sachlich gerechtfertigt.
IV. Ist danach ein Anspruch des Klägers auf die geltend gemachte weitere Sozialplanabfindung nicht gegeben, kommt es auf die übrigen Erwägungen der Beklagten
hinsichtlich der Ausweitung des Volumens des Sozialplans nicht an.
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Schmidt, Federlin, Peter, Berg
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.08.2001 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 666388 |
DB 2002, 153 |
NWB 2001, 2984 |
NWB 2002, 625 |
ARST 2001, 286 |
ARST 2002, 117 |
FA 2001, 313 |
FA 2002, 90 |
NZA 2002, 451 |
SAE 2002, 228 |
ZAP 2002, 383 |
ZIP 2002, 94 |
ZTR 2002, 293 |
AP, 0 |
AuA 2001, 424 |
AuA 2002, 85 |
EzA-SD 2002, 10 |
EzA |
NZI 2002, 54 |
ZInsO 2002, 94 |
ZMV 2001, 241 |
AUR 2001, 348 |
AUR 2002, 78 |
RdW 2002, 148 |
PP 2002, 31 |
b&b 2002, 52 |