Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer Betriebsvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber kann eine Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Altersversorgung, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten kündigen (§ 77 Abs 5 BetrVG). Eine Nachwirkung (§ 77 Abs 6 BetrVG) tritt nicht ein.
2. Die aufgrund der gekündigten Betriebsvereinbarung erworbenen Besitzstände der betroffenen Arbeitnehmer werden kraft Gesetzes nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes geschützt. Je stärker in Besitzstände eingegriffen wird, desto gewichtiger müssen die Änderungsgründe sein.
3. Die Änderungsgründe sind ebenso abzustufen wie bei der Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch eine neue Betriebsvereinbarung (BAG Urteil vom 17.3.1987 3 AZR 64/84 = BAGE 54, 261 = AP Nr 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung).
a. Der bereits erdiente und nach den Grundsätzen des § 2 BetrAVG errechnete Teilbetrag kann nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden.
b. Zuwächse, die sich aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben, können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden, soweit sie zeitanteilig erdient sind.
c. Für Eingriffe in Zuwachsraten, die noch nicht erdient sind, genügen sachliche Gründe.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 5
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 03.09.1987; Aktenzeichen 9 Sa 567/86) |
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 13.05.1986; Aktenzeichen 3 Ca 255/86) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten eine höhere Betriebsrente.
Der Kläger, geboren am 22. September 1922, trat am 20. Januar 1938 im Alter von 15 Jahren in die Dienste der Beklagten. Vom 1. Oktober 1941 bis zum 4. Dezember 1949 war das Arbeitsverhältnis durch Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft unterbrochen. Anschließend war der Kläger wieder bei der Beklagten beschäftigt. Am 30. September 1985 trat er im Alter von 63 Jahren unter Inanspruchnahme des flexiblen Altersruhegeldes in der gesetzlichen Rentenversicherung in den Ruhestand. Die Beklagte zahlt ihm seither eine monatliche Betriebsrente von 100,-- DM. Damit ist der Kläger nicht einverstanden. Er vertritt die Auffassung, ihm stehe eine Betriebsrente von monatlich 144,-- DM zu. Die Differenz hat er für die Zeit vom 1. Oktober 1985 bis zum 30. April 1986 als Rückstände (sieben Monate zu 44,-- DM = 308,-- DM) und für die Zeit ab 1. Mai 1986 als laufende monatliche Leistung verlangt.
Die betriebliche Altersversorgung ist bei der Beklagten in einer Pensionsordnung vom 28. November 1967 geregelt, die als Betriebsvereinbarung bezeichnet und vom Vorstand der Beklagten sowie von dem damaligen Vorsitzenden des Betriebsrats "als Vertreter der Werksangehörigen" unterzeichnet ist.
Die Pensionsordnung sieht u.a. eine Altersversorgung für Werksangehörige vor, die nach einer Wartezeit von zehn Jahren "infolge Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren .. aus den Diensten der Firma ausscheiden" (§ 1). Als Wartezeit, die der Kläger vollendet hat, gilt eine Zeit von zehn ununterbrochenen Dienstjahren (§ 3).
Die Höhe der Versorgung (§ 6 in der letzten Fassung) richtet sich nach der Zahl der anrechnungsfähigen Dienstjahre. Für jedes volle Dienstjahr werden 3,-- DM gezahlt, für jedes angefangene halbe Jahr 1,50 DM. § 13 der Pensionsordnung enthält unter Hinweis auf das Bundessteuerblatt die allgemeinen und besonderen steuerunschädlichen Leistungsvorbehalte, die es dem Arbeitgeber erlauben, die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn es dem Unternehmen nicht mehr zugemutet werden kann, die bisherigen Zusagen aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte geriet in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im November 1977 wurde das Versorgungswerk für neu eintretende Arbeitnehmer geschlossen. Im Jahre 1980 kündigten die Banken die Kredite. Der Vorstand der Beklagten wurde abberufen. Es kam zu Verhandlungen über eine Unternehmenssanierung, an denen auch der Betriebsrat beteiligt wurde. Der Pensions-Sicherungs-Verein wurde eingeschaltet. Hinsichtlich der Pensionsordnung konnte keine Einigung erreicht werden. Am 28. Juli 1983 richtete der Vorstand an die Werksangehörigen "vertreten durch ihren Betriebsratsvorsitzenden" folgendes Schreiben:
"Die Betriebsvereinbarung vom 28. November 1967 über die Altersversorgung für Werksangehörige "Pensionsordnung" wird hiermit fristlos gekündigt.
Die Geschäftsleitung stellt die zugesagten Leistungen aus dieser Betriebsvereinbarung "Pensionsordnung" vom 28.11.1967 nach § 13 dieser Vereinbarung ein.
Begründung: Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens hat sich nachhaltig so wesentlich verschlechtert, daß ihm eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann, ohne die Existenz des Unternehmens zu gefährden."
Hiervon abweichend richtete der Vorstand am 25. Oktober 1983 an alle Arbeitnehmer folgende Mitteilung:
"Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung ist die bestehende Pensionsordnung des Unternehmens am 28.7.1983 mit Zustimmung des Aufsichtsrates gekündigt worden. Wir geben Ihnen zur Kenntnis, daß nach dem Zeitpunkt der Kündigung kein Zuwachs mehr zur betrieblichen Altersversorgung erfolgt.
Der Betriebsratsvorsitzende hat von der Kündigung Kenntnis genommen."
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm für 48 Dienstjahre (20. Januar 1938 bis 30. September 1985) die volle Rente von 3,-- DM pro Jahr. Die kriegsbedingte Unterbrechung sei unbeachtlich. Die Kündigung der Betriebsvereinbarung mindere seinen Anspruch nicht. Der allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten und Sanierungsbemühungen reiche nicht aus.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
1. 308,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem
21. Februar 1986,
2. monatlich am 1. eines jeden Monats,
beginnend mit dem Monat Mai 1986 bis
zum Ablauf seines Sterbemonats 144,-- DM
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung der Pensionsordnung sei wirksam. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats habe nicht bestanden. Die Kürzung der Versorgung um die jährlichen Zuwächse sei ebenfalls wirksam. Sie habe sich am Rande des Konkurses befunden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe eines Betrages von 138,-- DM monatlich stattgegeben. Dagegen hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Diese blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verlangt der Kläger weiterhin eine Betriebsrente in Höhe von monatlich 144,-- DM.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Die Begründung des Berufungsgerichts, mit der es die Klage abgewiesen hat, überzeugt nicht. Für eine abschließende Entscheidung des Senats fehlt es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen.
I. Der Streit der Parteien betrifft allein die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, ihren Arbeitnehmern ab 1984 weitere Zuwächse in Höhe von 3,-- DM pro Dienstjahr zu versagen.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Es ist deshalb rechtskräftig entschieden, daß die Beklagte dem Kläger vom 1. Oktober 1985 an eine monatliche Betriebsrente von 138,-- DM schuldet. Es ist nur noch darüber zu befinden, ob die Betriebsrente in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 30. September 1985 um weitere 6,-- DM angewachsen ist.
Daß der Kläger sämtliche Voraussetzungen der Pensionsordnung erfüllt und ihm daher eine betriebliche Altersrente in Höhe von 3,-- DM pro Dienstjahr zusteht, ist unstreitig. Die Beklagte bestreitet auch nicht mehr, daß der Kläger 48 Dienstjahre erreicht hat. Sie macht ferner nicht geltend, sie sei berechtigt, die Rente des Klägers zeitanteilig oder versicherungsmathematisch zu kürzen, weil der Kläger vor Erreichen der in der Pensionsordnung vorausgesetzten Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.
II. Der Begründung des Berufungsgerichts, mit der es ein weiteres Anwachsen der Anwartschaft verneint hat, kann der Senat nicht folgen.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht in der Pensionsordnung eine Betriebsvereinbarung gesehen. Das entspricht der übereinstimmenden Rechtsauffassung der Parteien. Die Ordnung ist schriftlich niedergelegt sowie vom Arbeitgeber und dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden unterschrieben worden (§ 77 Abs. 2 BetrVG). Die Pensionsordnung ist ausdrücklich als Betriebsvereinbarung bezeichnet. Die Formulierung, der Betriebsratsvorsitzende handle als Vertreter der Werksangehörigen, bringt nur eine fehlerhafte Rechtsansicht zum Ausdruck; sie läßt unbeachtet, daß der Betriebsrat nicht Vertreter der Belegschaft im rechtsgeschäftlichen Sinn ist, sondern selbständiges, zum Abschluß von Betriebsvereinbarungen berechtigtes Organ der Betriebsverfassung.
2. Bedenken bestehen jedoch gegen die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Betriebsvereinbarung durch ihr Schreiben vom 28. Juli 1983 gekündigt.
Zwar hat die Beklagte das Wort "kündigen" gebraucht. Andererseits beruft sich die Beklagte aber im zweiten Absatz ihres Schreibens auf die in § 13 der Pensionsordnung niedergelegten Leistungsvorbehalte. Das deutet darauf hin, daß sie von dem dort vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch machen wollte. Dafür spricht aber auch die von der Beklagten gegebene Begründung: Ihre wirtschaftliche Lage habe sich so wesentlich verschlechtert, daß ihr nicht zugemutet werden könne, die zugesagten Leistungen aufrechtzuerhalten. Schließlich hat sie ihren Arbeitnehmern gegenüber in der Mitteilung vom 25. Oktober 1983 erklärt, die "Kündigung" solle nur das Entstehen weiterer Zuwächse verhindern. Diese Umstände sprechen eher gegen eine Kündigung, da mit einer "Kündigung" vom 28. Juli 1983 - aus der Sicht der Beklagten - die Pensionsordnung als Anspruchsgrundlage weggefallen wäre. Die von der Beklagten angestrebte Wirkung, die Beseitigung der Zuwächse, ließe sich auch erreichen, wenn sie nur von ihrem vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hätte. Dabei wäre die Pensionsordnung im übrigen als Rechtsgrundlage für Ansprüche der Arbeitnehmer unangetastet geblieben.
Die Möglichkeit, daß die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 28. Juli 1983 keine Kündigung sondern nur einen Teilwiderruf erklärt hat, hat das Berufungsgericht nicht in Betracht gezogen. Das Berufungsgericht wird deshalb erneut prüfen müssen, was gemeint war, eine Kündigung der Betriebsvereinbarung oder der in der Betriebsvereinbarung vorbehaltene teilweise Widerruf von Zusagen.
Dabei kann der Senat nicht ausschließen, daß die Beklagte jedes in Betracht kommende Mittel zur Lösung aus ihren Versorgungsverbindlichkeiten ergreifen wollte. Im Rechtsstreit hat sich die Beklagte sowohl auf ein Recht zur Kündigung als auch auf ein Recht zum Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage berufen.
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Die Unterscheidung in der Wahl des Mittels zur Lösung von den bestehenden Versorgungsverbindlichkeiten kann für den Rechtsstreit entscheidungserheblich werden. Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung und der arbeitgeberseitige Widerruf von Versorgungszusagen sind unter verschiedenen Voraussetzungen möglich. Beide Gestaltungsmittel führen auch zu unterschiedlichen Rechtsfolgen.
1.a) Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung kann der Arbeitgeber erklären, ohne daß das Gesetz ihm hierfür eine Begründung abverlangt (§ 77 Abs. 5 BetrVG; ebenso Blomeyer, DB 1985, 2506, 2507). Insbesondere braucht der Arbeitgeber keine wirtschaftliche Notlage darzulegen.
b) Was die Rechtsfolgen der Kündigung betrifft, kann der Senat dem Berufungsgericht weitgehend folgen. Die Kündigung hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu einer Nachwirkung der Betriebsvereinbarung geführt. Eine Nachwirkung (§ 77 Abs. 6 BetrVG und § 4 Abs. 5 TVG) käme hier deswegen nicht in Betracht, weil der Betriebsrat die Fortgeltung nicht erzwingen könnte (vgl. statt aller: Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 77 Rz 46 und 48). Der Arbeitgeber kann mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob er Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gewähren will, welche Mittel er dafür einsetzen will, wie die Durchführung der Versorgung geregelt sein soll und schließlich, wie er begünstigte Gruppen abstrakt gegeneinander abgrenzt (BAG Beschluß vom 12. Juni 1975 - 3 ABR 66/74 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung).
Der Auffassung, eine Nachwirkung trete jedenfalls hinsichtlich der zur Zeit der Beendigung der Betriebsvereinbarung bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (Blomeyer/Otto, BetrAVG, Einleitung Rz 198; Blomeyer, DB 1985, 2506, 2508, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Literatur), kann sich der Senat für den - hier vorliegenden - Fall nicht anschließen, daß der Arbeitgeber mit seiner Kündigung, die Ansprüche der Arbeitnehmer völlig beseitigen will. Der Hinweis darauf, daß jede Versorgungsordnung einen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmten Leistungsplan enthält, ändert nichts daran, daß in diesen Fällen nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Raum mehr für einen mitbestimmungspflichtigen Verteilungsschlüssel besteht. Ein Spruch der Einigungsstelle, der eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen könnte, kommt nicht mehr in Betracht. Ein erzwingbarer Leistungsplan wäre gegenstandslos (vgl. auch BAG Urteil vom 9. Februar 1989 - 8 AZR 310/87 -, zu I 2 b) der Gründe, zum Ablauf einer Betriebsvereinbarung über Urlaubsgeld, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Auffassung Blomeyers führte zudem bei anderen freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen zu Wertungswidersprüchen. Kündigte etwa ein Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung über eine Werkskantine oder einen Werkskindergarten, so hätte die vorhandene Belegschaft kraft der Nachwirkung einen Anspruch auf Benutzung, die neu eintretenden Arbeitnehmer aber nicht.
Auch der Ansicht Hanaus (NZA, 1985 Beilage Nr. 2, Seite 10 f.) kann der Senat nicht folgen. Hanau nimmt an, Betriebsvereinbarungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung enthielten eine Abrede über die Nachwirkung der nicht mitbestimmungspflichtigen Teile. Das mag im Einzelfall zutreffen, läßt sich aber nicht als stillschweigende Vereinbarung für alle Fälle annehmen. Im übrigen braucht hier nicht entschieden zu werden, ob mit Hanau von der Zulässigkeit einer Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung, etwa bezogen nur auf den Leistungsplan, auszugehen ist. Im Streitfall hat die Beklagte mit ihrer Erklärung vom 28. Juli 1983 die Versorgungsrechte der noch aktiven Arbeitnehmer völlig beseitigen wollen.
Im übrigen läßt sich ein Schutz der Arbeitnehmer vor dem nachträglichen Entzug schon teilerdienter Versorgungsrechte auch nicht mit dem Hinweis begründen, die Kündigung der Betriebsvereinbarung wirke ohnehin erst für die Zukunft und erfasse deshalb nur später eintretende Arbeitnehmer. Diese Auffassung würde ebenfalls zu dem bereits dargestellten widersprüchlichen Ergebnis im Vergleich zu anderen betrieblichen Sozialleistungen führen. Sie läßt auch außer Betracht, daß mit der Beendigung der wirksam gekündigten Betriebsvereinbarung nachträglich die Rechtsgrundlage für diejenigen Leistungen entfällt, die, wie bei Versorgungsanwartschaften, noch nicht einmal zu fälligen Ansprüchen geführt haben. Die Annahme, es entstünden dann individuelle Ansprüche schuldrechtlicher Art, mag für bereits im Ruhestand lebende ehemalige Arbeitnehmer zutreffen (Großer Senat des BAG, BAGE 3, 1, 10 = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG), läßt sich aber nicht auf noch bestehende Arbeitsverhältnisse übertragen. Der Arbeitgeber, der eine Betriebsvereinbarung über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung schließt, wählt gerade nicht das Mittel des Vertrags als Regelungsinstrument.
c) Andererseits führt die Kündigung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ohne weiteres zum Wegfall der Aussicht, durch weitere Betriebstreue eine höhere Betriebsrente verdienen zu können. Diese Anwartschaft wird kraft Gesetzes geschützt. Der Ablauf der Geltungsdauer einer Betriebsvereinbarung sagt deshalb noch nichts darüber aus, ob und in welchem Umfange eventuelle Versorgungsbesitzstände der Arbeitnehmer, die aufgrund der Betriebsvereinbarung entstanden waren, geschützt werden müssen.
Diese Frage kann im Falle der Kündigung nicht anders behandelt werden als im Falle der Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung. Der einzige Unterschied besteht darin, daß bei der Kündigung von einem einseitigen Lösungsrecht Gebrauch gemacht wird, während bei einer inhaltsgleichen Ablösung Arbeitgeber und Betriebsrat die alte Regelung gemeinsam aufheben. Wenn aber schon die Änderung einer Betriebsvereinbarung durch eine spätere Betriebsvereinbarung der gesetzlichen Billigkeitskontrolle unterliegt, dann muß das erst recht gelten, wenn der Arbeitgeber von dem einseitigen Lösungsmittel der Kündigung Gebrauch macht. Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes müssen auch in diesem Fall beachtet werden. Daraus folgt: Der Umfang des Eingriffs muß sich auf der Seite des Arbeitgebers danach richten, wie gewichtig die Gründe sind, die ihn zur Kündigung veranlassen. Auf der Seite der Arbeitnehmer ist zu unterscheiden, ob es sich um einen Eingriff in den bereits erdienten Teilbetrag einer Anwartschaft handelt, ob zugesagte Berechnungsfaktoren, z.B. der Faktor "ruhegehaltsfähiges Entgelt" zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden sollen (Schutz der sogenannten zeitanteilig erdienten Dynamik), oder ob rein dienstzeitabhängige künftige Steigerungsbeträge entfallen sollen (vgl. im einzelnen BAGE 54, 261 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung). Nach der Kündigung einer Betriebsvereinbarung sind deshalb die Versorgungsbesitzstände der Arbeitnehmer kraft Gesetzes in einem nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu bestimmenden Umfang geschützt.
2. Anders ist die Rechtslage, wenn die Beklagte in Ausübung des vorbehaltenen Widerrufs gehandelt hat. Dann gilt folgendes: Den Widerruf kann der Arbeitgeber nach den üblichen und auch hier geltenden steuerunschädlichen Vorbehalten nur erklären, wenn u.a. seine wirtschaftliche Lage es als unzumutbar erscheinen läßt, ihn an der eingegangenen Verpflichtung festzuhalten. Das ist regelmäßig erst dann der Fall, wenn der Arbeitgeber sich in einer Notlage befindet und damit die Geschäftsgrundlage für das Versorgungsversprechen entfallen ist (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 26. April 1988 - 3 AZR 277/87 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II a und b der Gründe).
Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte auf eine wirtschaftliche Notlage berufen. Sie hat Beweis für die diese Notlage begründenden Tatsachen angetreten. Das Arbeitsgericht hat die angetretenen Beweise nicht erhoben. Es hat die wirtschaftliche Notlage, die der Kläger aber bestritten hatte, als gerichtsbekannt bezeichnet. Das Berufungsgericht hat sich hierzu nicht geäußert. Es hat sich insbesondere die Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht zu eigen gemacht. Die Tatsachen sind mithin nicht aufgeklärt.
Befand sich die Beklagte in einer wirtschaftlichen Notlage (zu den materiellen und formellen Voraussetzungen vgl. die zahlreichen Nachweise aus Rechtsprechung und Schrifttum bei Blomeyer/Otto, BetrAVG, Vorbem. § 7 Rz 72 ff. und Rz 78 ff.), so konnte sie einseitig den in der Betriebsvereinbarung vorbehaltenen Widerruf erklären, mußte aber, da der hier ausgesprochene Teilwiderruf zugleich einen neuen Verteilungsplan enthielt, dazu die Zustimmung ihres Betriebsrats einholen (vgl. auch insoweit Urteil des Senats vom 26. April 1988 - 3 AZR 277/87 -, zu IV der Gründe, sowie das Urteil vom selben Tage - 3 AZR 168/86 -, ebenfalls zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu I 2 und 3 der Gründe). Ob das dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zustehende Mitbestimmungsrecht gewahrt worden ist, hat das Berufungsgericht ebenfalls nicht aufgeklärt.
IV. Für die weitere Behandlung der Sache kann der Senat folgende Hinweise geben:
1. Es spricht viel dafür, daß die Beklagte mit ihren Schreiben vom 28. Juli und 25. Oktober 1983 jede rechtlich in Betracht kommende Möglichkeit ausnutzen wollte, um sich zumindest für die Zukunft von ihren Versorgungsverbindlichkeiten unter Wahrung der erdienten Besitzstände der Arbeitnehmer zu lösen. Es ist bereits festgestellt, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beklagten seit Ende der siebziger Jahre zunahmen, daß die Banken die Kredite kündigten und daß unter Einschaltung des Pensions-Sicherungs-Vereins und unter Ablösung des Vorstands über die Unternehmenssanierung verhandelt wurde. Es liegt nahe, daß die Beklagte in einer solchen Situation mit allen in Betracht kommenden Mitteln versuchte, die Versorgungslast wenigstens für die Zukunft nicht weiter anwachsen zu lassen.
2. Stützt die Beklagte den Teilwiderruf der Versorgungszusagen auf die Vorbehalte in § 13 der Pensionsordnung, so muß geprüft werden, ob sich das Unternehmen in einer existenzbedrohenden, konkursgleichen Notlage befand, die eine Sanierung nur unter Opfer aller Beteiligten einschließlich der Versorgungsberechtigten aussichtsreich erscheinen ließ (BAGE 24, 63 = AP Nr. 154 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG Urteil vom 8. Juli 1972 - 3 AZR 481/71 - AP Nr. 157 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAGE 29, 169 = AP Nr. 175 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Als formelle Voraussetzungen der Anerkennung hat der Senat verlangt, daß der Nachweis der Notlage durch die Betriebsanalyse eines Sachverständigen belegt und ein Sanierungsplan oder wenigstens ein geordnetes Sanierungskonzept aufgestellt wird. Aus diesem muß hervorgehen, daß die Lasten gerecht verteilt sind und eine Überwindung der Krise erreicht werden kann (BAGE 24, 63 = AP Nr. 154 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAGE 50, 210 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG Widerruf). Es ist zu beachten, daß dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Einführung des geänderten Versorgungsplans bei der betrieblichen Altersversorgung zusteht (BAG Urteile vom 26. April 1988 - 3 AZR 277/87 und 3 AZR 168/86 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen).
3. Hat die Beklagte die Betriebsvereinbarung gekündigt, so werden die Anwartschaften der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen geschützt, die für die Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch nachfolgende Betriebsvereinbarung gelten (BAGE 54, 261 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung). Das Berufungsgericht wird eine Billigkeitsprüfung vornehmen und darüber entscheiden müssen, ob die Besitzstände der Arbeitnehmer, gemessen an dem Gewicht des Eingriffsgrundes, nach den Maßstäben des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit hinreichend gewahrt sind. Da die Beklagte nur in die rein dienstzeitabhängigen künftigen Steigerungsraten eingegriffen hat, genügen schon sachliche Gründe, um die Billigkeit der Maßnahme zu rechtfertigen. Es bedurfte dazu im Streitfall nicht der Einschaltung des Trägers der gesetzlichen Insolvenzsicherung, da die künftigen Steigerungsraten ohnehin nicht insolvenzgesichert sind (§ 7 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz in Verb. mit § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG).
Dr. Heither Schaub Griebeling
Dr. Krems Schoden
Fundstellen
Haufe-Index 438741 |
BAGE 61, 323-333 (LT1-3) |
BAGE, 323 |
BB 1990, 781 |
BB 1990, 781-783 (LT1-3) |
DB 1989, 2232-2233 (LT1-3) |
AuB 1991, 123 (T) |
BetrVG, (3) (LT1-3) |
BetrAV 1990, 79-80 (LT1-3) |
EWiR 1989, 1057-1057 (L1-3) |
NZA 1990, 67-69 (LT1-3) |
RdA 1989, 377 |
SAE 1990, 181-184 (LT1-3) |
ZAP, EN-Nr 466/89 (S) |
ZIP 1990, 122 |
ZIP 1990, 122-126 (LT1-3) |
AP § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung (LT1-3), Nr 2 |
AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 226 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 460 Nr 226 (LT1-3) |
EzA § 77 BetrVG 1972, Nr 28 (LT1-3) |
VersR 1990, 442-444 (LT1-3) |