Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaub für studentische Hilfskräfte
Leitsatz (redaktionell)
Studenten, die nach einer mehrwöchigen Einarbeitung als Sitz- und Sonderwachen in einer Intensivstation eines Universitätsklinikums für geeignet gehalten und in den Kreis der zukünftig zu Sitzwachen heranzuziehenden studentischen Hilfskräfte aufgenommen werden, stehen in einem dauernden Teilzeitarbeitsverhältnis. Sie haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Urlaub entsprechend ihrer im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten jährlich zu leistenden Arbeit.
Normenkette
BGB §§ 157, 133; BUrlG §§ 1, 3; BGB § 251 Abs. 1, § 287 S. 2, § 280 Abs. 1, § 620 Abs. 1, § 284 Abs. 1, § 249 S. 1, § 286 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 04.10.1991; Aktenzeichen 13 Sa 12/91) |
ArbG Gießen (Entscheidung vom 24.10.1990; Aktenzeichen 3 Ca 249/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen nicht gewährten Urlaubs.
Das beklagte Land beschäftigt auf der neurochirurgischen Intensivstation des Klinikums der Universität in G - neben dem hauptamtlichen Pflegepersonal eingearbeitete studentische Hilfskräfte als sogenannte Sitz- und Sonderwachen. Der Dienst der Studenten wird durch Dienstpläne geregelt, die auf dafür anberaumten Treffen der Studenten von diesen ohne Mitwirkung der Verwaltung des Klinikums untereinander ausgehandelt und erstellt werden. Dabei werden - ohne daß das beklagte Land seinen Personalbedarf ausdrücklich konkret mitteilt - jeder Dienstperiode (Nacht, Feiertag, Samstag, Sonntag) drei Studentinnen oder Studenten zugeordnet, die für diese Zeit einsatzbereit sind. Dabei wird ein von einem Mitarbeiter des beklagten Landes im November 1988 auf der Grundlage vorheriger Unterlagen entwickeltes Formular benutzt, das ausgefüllt im Stationszimmer ausgehängt wird und dort zur Kenntnis des Pflegedienst- und Schichtleiters gelangt. Während des Semesters wird der Dienstplan für die Dauer eines Monats, während der Semesterferien in Form mehrerer Monatspläne für deren Dauer im voraus aufgestellt. Die Pläne werden nicht stets wie ausgehandelt durchgeführt. Es ist möglich, daß die Studenten die Dienste untereinander tauschen. Die Durchführung der Sitz- und Sonderwachen wird von den Krankenpflegern und Krankenschwestern des sogenannten Außendienstes unterschriftlich bestätigt. Nach Ablauf eines Monats wird sie noch einmal durch die Pflegedienstleitung oder den Stationsarzt schriftlich bestätigt. Auf dieser Grundlage veranlaßt die Verwaltung des Klinikums die Auszahlung der Vergütung.
Die Klägerin ist Medizinstudentin. Sie ist für die Arbeit als Sitz- und Sonderwache vom 7. November bis 25. November 1988 während der Dauer von 125 Stunden eingearbeitet, dann für geeignet befunden und ab 4. Dezember 1988 vielfach eingesetzt worden. Sie hat für die Jahre 1988 bis 1990 beim beklagten Land erfolglos verschiedene Ansprüche geltend gemacht, darunter im November 1989 den Urlaubsanspruch für 1989 i. H. von 18 Tagen. Mit der im Juni 1990 erhobenen Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz für nicht gewährten Urlaub.
Sie hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin
452,16 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich
daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 7. Juni
1990 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter, während das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung. Die Klägerin hat in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis im Jahr 1989 einen unabdingbaren Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz erworben, dessen Umfang noch zu bestimmen ist.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Rechtsbeziehungen der Parteien beschränkten sich nach den beiderseits erkennbaren Interessen und dem darauf beruhenden Parteiwillen auf den jeweiligen Sitzwacheneinsatz. Es hat dabei wesentliche Umstände des Einzelfalles nicht gewürdigt, so daß sein Urteil auch einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Beurteilung nicht standhält, wenn die Vereinbarung der Parteien als nichttypischer Vertrag zu bewerten sein und die Auslegung des Landesarbeitsgerichts daher nur einem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab unterliegen sollte (vgl. dazu Senatsurteil vom 18. Februar 1992 - 9 AZR 611/90 - EzA § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 98, zu II 2 c der Gründe, m. w. N).
a) Das Landesarbeitsgericht hat lediglich geprüft, ob zwischen den Parteien mit der Übergabe des Formulars oder erst mit dem jeweiligen Dienstantritt eine arbeitsrechtliche Beziehung zustande gekommen ist. Es hat dabei die Tatsache gänzlich unberücksichtigt gelassen, daß die Klägerin nach einer Kontaktaufnahme mit der Verwaltung des Klinikums und/oder dem Pflegepersonal der Station(en) in der Neurochirurgie für eine Einarbeitung angenommen, drei Wochen lang eingewiesen und beobachtet und danach von den zuständigen Mitarbeitern des beklagten Landes für geeignet gehalten und in den Kreis der studentischen Hilfskräfte aufgenommen worden ist.
b) Dieser Nachweis der Qualifikation wird vom Landesarbeitsgericht auch bei der rechtlichen Bewertung des tatsächlichen Vorgangs "Überlassung des vom Pflegepersonal entworfenen Formulars" übersehen. So nimmt es zu Unrecht an, das beklagte Land habe sich erkennbar die Möglichkeit vorbehalten müssen, aus den im Dienstplan eingetragenen Personen eine sachgerechte Auswahl zu treffen und Arbeitsverträge nur mit solchen abzuschließen, die nicht nur dienstbereit, sondern den besonderen Anforderungen gewachsen seien. Mit der Aufnahme einer drei Wochen lang getesteten studentischen Hilfskraft in den Kreis der Sitzwachen entfiel zukünftig eine gesonderte Prüfung der Qualifikation vor Beginn einer jeden Sitzwache oder eines neuen monatlichen Dienstplanes.
c) Die Überlegungen des Landesarbeitsgerichts, es sei nicht einzusehen, daß das beklagte Land eine zeitlich weiträumige Rechtsbindung habe eingehen sollen, wenn es seine Ziele bereits durch die Begründung kurzfristiger Arbeitsverhältnisse vollständig erreichen könne, sind nicht zwingend. Wäre das so nicht erklärte Interesse einer Partei bei der Auslegung von Willenserklärungen zu berücksichtigen, könnte nur noch in Ausnahmefällen der Abschluß längerfristiger oder unbefristeter Arbeitsverhältnisse mit tageweiser Teilzeitarbeit oder Arbeitsverhältnisse mit kapazitätsorientierter variabler Arbeitszeit festgestellt werden.
2. Der Senat, der daher die ausdrücklichen Erklärungen der Parteien und die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls (§§ 133, 157 BGB) selbst würdigen kann, sieht in der Erklärung des beklagten Landes, vertreten durch das dazu autorisierte Pflegepersonal, die Klägerin nach deren Einarbeitung und der Feststellung ihrer Eignung in den Kreis der studentischen Hilfskräfte aufzunehmen, das Angebot auf Abschluß eines Arbeitsvertrages, das die Klägerin sogleich, spätestens mit dem ersten Dienstantritt angenommen hat. Inhalt des Arbeitsverhältnisses ist die Verpflichtung der Klägerin, in Absprache mit den ebenfalls arbeitsberechtigten Kommilitonen in den Stationen I bis III der neurochirurgischen Klinik in den Nächten der Wochentage, an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen Wachdienst zu leisten, sowie die Verpflichtung der Beklagten, dafür eine Vergütung von (zuletzt) 11,-- DM zu zahlen. Für den Abschluß eines Arbeitsverhältnisses ist es unschädlich, daß die wöchentliche oder monatliche Arbeitsmenge und die Lage der Arbeitszeit nicht näher festgelegt worden ist. Die Parteien waren sich darüber einig, daß - wie üblich bei den studentischen Hilfskräften - die Lage der Arbeitszeit und die monatliche Arbeitsmenge dem einseitigen Bestimmungsrecht der Klägerin und ihrer Kommilitonen unterliegen sollte. Soweit den Studenten gestattet war, im Bedarfsfall den ausgehandelten Sitzplan untereinander zu ändern oder kurzfristig abzusagen, sind auch diese (üblichen) Arbeitsbedingungen Inhalt der vertraglichen Vereinbarung geworden.
Diese Rechtsauffassung steht nicht im Widerspruch zu der vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts in den Rechtsstreitigkeiten der Parteien in seinen Urteilen vom 13. Januar 1993 - 5 AZR 54/92 - und - 5 AZR 56/92 - vorgenommenen Würdigung. Der Fünfte Senat hat erkannt, daß ein Vertrag spätestens mit der Eintragung der Sitzwachen in den Monatsplan und der stillschweigenden Billigung durch das Personal des beklagten Landes zustande gekommen ist und damit Lohnfortzahlungsansprüche wie Annahmeverzugsansprüche gegeben waren. Er konnte deshalb dahingestellt sein lassen, ob das beklagte Land durch die Ausgabe des Formulars und die damit angebotene Beschäftigungsmöglichkeit gegenüber dem Kreis arbeitsbereiter und für diese Tätigkeit geeigneter Studenten schon von sich aus den Abschluß eines Arbeitsvertrages angeboten hat. Mit der Frage, ob nicht bereits zuvor ein Arbeitsvertrag geschlossen worden ist, brauchte sich der Fünfte Senat nach seiner Rechtsauffassung nicht auseinanderzusetzen.
3. Der Vertrag der Parteien enthält weder eine Befristung auf die Dauer einzelner Arbeitseinsätze noch auf die Dauer eines oder dreier Monate. Die Erklärung des beklagten Landes am Ende der Einarbeitungs- und Testzeit enthält keinerlei Hinweise auf eine vertragliche Bindung nur auf bestimmte Zeiten. Das vom Landesarbeitsgericht bei der Abgrenzung von Monatsarbeitsverhältnissen zu Tagesarbeitsverhältnissen herangezogene Interesse des Landes an kurzfristigen rechtlichen Beziehungen anstelle eines Dauerschuldverhältnisses ist so lange unbeachtlich, als es nicht Inhalt der Willenserklärungen und dem Erklärungsempfänger damit nicht deutlich wird. Das vermeintliche Interesse von Studenten, sich wegen der wechselnden Inanspruchnahme durch das Studium nur für einen begrenzten Zeitraum arbeitsrechtlich binden zu können (BAGE 65, 86, 95 = AP Nr. 136 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG Urteil vom 30. Oktober 1991 - 7 AZR 653/90 - n. v.) mag als Sachgrund für ein unbestritten befristet abgeschlossenes Arbeitsverhältnis anzuerkennen sein. Fraglich bleibt, ob es bei der Auslegung von Willenserklärungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages ebenso berücksichtigt werden kann, wenn darauf weder ausdrücklich hingewiesen worden ist noch sonstige Umstände dafür sprechen. Davon kann aber jedenfalls dann nicht ohne weiteres ausgegangen werden, wenn der Arbeitnehmer sich nicht allein verpflichtet, sondern Mitglied einer Gruppe wird, der es gestattet ist, manche Mitglieder zeitweise von der Arbeitseinteilung auszunehmen oder vorgesehene Dienste zu tauschen, um so der für Studenten notwendigen Flexibilität Rechnung zu tragen.
Die Auffassung des Senats steht nicht im Widerspruch zu den Erkenntnissen des Siebten Senats vom 18. August 1982 (- 7 AZR 353/80 - n. v.) und vom 13. Februar 1985 (- 7 AZR 345/82 - n. v.). In beiden Fällen gab es keine Erklärungen der vorliegenden Art, die den Schluß auf den Abschluß eines dauerhaften Arbeitsverhältnisses zugelassen hätten.
4. Der Senat kann den im Dauerarbeitsverhältnis entstandenen unabdingbaren Urlaubsanspruch der Klägerin für 1989 nicht berechnen, weil das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen zum Umfang der Arbeitsverpflichtungen der Klägerin im Jahr 1989 getroffen hat. Deshalb war der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. In der erneuten Berufungsverhandlung wird das Landesarbeitsgericht folgendes zu beachten haben:
a) Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist mit Ablauf des Kalenderjahres 1989, spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 1990 erloschen. Da die Klägerin das beklagte Land rechtzeitig im November 1989 gemahnt hatte, ihr Urlaub zu gewähren, befand sich das beklagte Land mit der damals noch erfüllbaren Schuld in Verzug. So entstand anstatt des Urlaubsanspruchs ein Schadensersatzanspruch, §§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1, 287 Satz 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB. Der Anspruch ist in Freizeit zu gewähren, § 249 Satz 1 BGB, solange das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht. Geldersatz kommt nach § 251 Abs. 1 BGB nur in Betracht, wenn die Naturalrestitution des § 249 Satz 1 BGB nicht möglich ist, d. h. das Arbeitsverhältnis der Parteien zwischenzeitlich beendet ist. Sollte das nicht zutreffen, kann die Klage mit dem bisherigen Antrag keinen Erfolg haben.
b) Ist die Klägerin in der Zwischenzeit ausgeschieden, hat das Landesarbeitsgericht festzustellen, an wieviel Tagen die Klägerin im Jahr 1989 zur Arbeit verpflichtet war. Diese Zahl ist zu der Anzahl der Tage, an denen Vollzeitbeschäftigte arbeitsverpflichtet waren, in ein Verhältnis zu setzen (Senatsurteil vom 14. Januar 1992 - 9 AZR 148/91 - EzA BUrlG § 13 Nr. 52 = BB 1992, 995). Die sich dann ergebende Verhältniszahl (Bruch) ist mit dem gesetzlichen Urlaubsanspruch für Vollzeitbeschäftigte (18 Tage bei sechs Arbeitstagen und 15 Tage bei fünf Arbeitstagen in der Woche) zu multiplizieren.
c) Für den auf diese Weise ermittelten Urlaubsanspruch ist dann entsprechend § 11 Abs. 1 BUrlG das fortzuzahlende Urlaubsentgelt zu berechnen. Dieser Betrag ist zugleich die Schadensersatzsumme.
Dr. Leinemann Dr. Reinecke Dörner
Schodde Oberhofer
Fundstellen
Haufe-Index 441811 |
BAGE 72, 147-152 (LT1) |
BAGE, 147 |
BB 1993, 1148 |
BB 1993, 220 |
DB 1993, 1781-1782 (LT1) |
DStR 1993, 1035 (K) |
NJW 1994, 958 |
NJW 1994, 958-959 (LT) |
EzB AWbG, NRW § 1 Nr 61 (S1) |
NZA 1993, 988 |
NZA 1993, 988-990 (LT1) |
AP § 1 BUrlG (LT1), Nr 20 |
AR-Blattei, ES 1640 Nr 355 (LT1) |
ArztR 1994, 33 (K) |
ArztR 1995, 62 (K) |
EzA § 1 BUrlG, Nr 20 (LT1) |
EzBAT, SR 2y BAT Nr 36 (LT1) |
FuL 1994, 194 (K) |
MDR 1993, 992 (LT1) |
PersV 1994, 553 (L) |