Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung ohne Arbeitsleistung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß der Arbeitnehmer des Baugewerbes einen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung in Höhe des Mindestbetrages von 102 Stundenlöhnen auch dann hat, wenn er im Bezugszeitraum keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat.
2. Hat jedoch der Arbeitnehmer nach langjähriger Arbeitsunfähigkeit und Aussteuerung durch die Krankenkasse zunächst Arbeitslosengeld nach § 105a AFG und später eine Rente beantragt und hat der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet, dann besteht kein Anspruch auf diese tarifliche Sonderzahlung mehr, obwohl das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht.
Orientierungssatz
Auslegung des § 2 des Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27.4.1990.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 16.07.1993; Aktenzeichen 10 Sa 981/92) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 22.05.1991; Aktenzeichen 2 (5) Ca 158/91) |
Tatbestand
Der im Klagezeitraum (1990) 52 Jahre alte Kläger war seit 1969 bei der Beklagten als Zimmererfacharbeiter zu einem Stundenlohn von zuletzt 17,98 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft Tarifbindung die Tarifverträge für das Baugewerbe, u.a. der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 (im folgenden TV-13. Monatseinkommen) Anwendung.
Seit September 1986 war der Kläger fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt. Er wurde im Jahre 1988 von der Krankenkasse ausgesteuert.
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger für das Jahr 1990 das tarifliche 13. Monatseinkommen geltend. § 2 TV-13. Monatseinkommen lautet - soweit vorliegend von Interesse - wie folgt:
(1) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am
30. November des laufenden Kalenderjahres
(Stichtag) mindestens 12 Monate ununterbro-
chen besteht, haben Anspruch auf ein
13. Monatseinkommen.
Es beträgt im Jahre 1990 7,9 v.H.
...
ihres in der Zeit vom 1. Dezember des Vor-
jahres bis zum Stichtag (Berechnungszeit-
raum) erzielten Arbeitsentgelts, mindestens
jedoch das 102-fache ihres in der Lohnta-
belle ausgewiesenen Gesamttarifstundenloh-
nes (Mindestbetrag).
(2) ... .
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für das Jahr 1990 aufgrund dieser Tarifvorschrift ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Stundenlöhnen unabhängig davon zu, daß er während des ganzen Bezugszeitraumes vom 1. Dezember 1989 bis zum 30. November 1990 nicht gearbeitet habe. Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.833,96 DM
brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus erge-
benden Nettobetrag seit dem 15. Dezember 1990 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Anspruch auf das tarifliche 13. Monatseinkommen setze zumindest eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung von zwei Wochen im Bezugszeitraum voraus. Daran fehle es beim Kläger.
Der Kläger sei seit 1986 fortdauernd arbeitsunfähig krank und habe nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse einen Rentenantrag gestellt. Gegenüber dem Arbeitsamt habe sie auf das Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet, um dem Kläger den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß die Beklagte dem Arbeitsamt unter dem 6. April 1988 wie folgt geschrieben hat:
"Herr C. (Kläger) ist bei uns seit dem 14. Novem-
ber 1969 als gehobener Zimmererfacharbeiter be-
schäftigt. Seit dem 1. Oktober 1986 ist Herr C.
arbeitsunfähig krank.
Nach der uns vorliegenden ärztlichen Bescheini-
gung ist Herr C. nach seiner Aussteuerung durch
die Krankenkasse (16. Februar 1988) weiterhin ar-
beitsunfähig. Ein Rentenantrag wurde von ihm ge-
stellt.
Herr C. kann somit seinen Verpflichtungen aus dem
mit uns geschlossenen Arbeitsvertrag, nämlich die
eines gehobenen Zimmererfacharbeiters, nicht mehr
nachkommen. Wir haben somit keine Verfügungsge-
walt mehr über den Arbeitnehmer."
Im Juli 1988 richtete das Arbeitsamt an die Beklagte folgende Anfrage:
"Laut Ihrer am 29. Juni 1988 ausgestellten Ar-
beitsbescheinigung ist das Beschäfigungsverhält-
nis beendet; das Arbeitsverhältnis besteht jedoch
noch weiter. Damit ich die leistungsrechtlichen
Voraussetzungen prüfen kann, bitte ich um Mittei-
lung, ob sie auf das Direktionsrecht (Verfügungs-
gewalt über den Arbeitnehmer) verzichten."
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf das tarifliche 13. Monatseinkommen auch in Höhe des Mindestbetrages von 102 Stundenlöhnen nicht zu.
I. Der Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1992 (- 10 AZR 427/91 - AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation) gerade für den Tarifvertrag über ein 13. Monatseinkommen im Baugewerbe vom 27. April 1990 ausgesprochen, daß auch ein Arbeitnehmer, der während des ganzen maßgeblichen Bezugszeitraumes vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 30. November des laufenden Kalenderjahres arbeitsunfähig krank ist, Anspruch auf das 13. Monatseinkommen in Höhe von 102 Tarifstundenlöhnen hat. Er hat seine Entscheidung damit begründet, daß die tarifliche Regelung für den Anspruch auf das 13. Monatseinkommen allein auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abstellt und sich erst deren Höhe nach dem im Bezugszeitraum verdienten Arbeitsentgelt und damit nach der erbrachten tatsächlichen Arbeitsleistung bemißt, wobei jedoch ein Mindestbetrag in Höhe von 102 Stundenlöhnen auch dann garantiert ist, wenn das im Berechnungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt wegen des Fehlens ausreichender tatsächlicher Arbeitsleistung diesen Betrag nicht ergibt. Er hat weiter im Anschluß an seine Entscheidung vom 5. August 1992 (- 10 AZR 88/90 - AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation, auch zum Abdruck für die Amtliche Sammlung bestimmt) ausgesprochen, daß über die normierten Anspruchsvoraussetzungen hinaus der tariflichen Regelung nicht der Rechtssatz entnommen werden könne, daß Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum sei. Er hat sich in seiner Entscheidung vom 8. Dezember 1993 (- 10 AZR 66/93 - AP Nr. 159 zu § 611 BGB Gratifikation) für den Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für die Angestellten im Baugewerbe vom 27. April 1990 mit dem auch hier von der Beklagten erhobenen Einwand auseinandergesetzt, die Tarifvertragsparteien seien bei ihrer Regelung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, wonach eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung in jedem Falle Voraussetzung für einen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung sei. Er hat diesen Einwand zurückgewiesen und ausgesprochen, daß dann, wenn der Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung überhaupt keine Regelung für die Fälle einer fehlenden tatsächlichen Arbeitsleistung im Bezugszeitraum treffe, nicht auf den Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden könne, nur für den Fall einer fehlenden tatsächlichen Arbeitsleistung im gesamten Bezugszeitraum den Anspruch auf die Sonderzahlung auszuschließen, und eine ausdrückliche Regelung dieses Inhalts lediglich im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu unterlassen.
Von dieser Rechtsprechung geht auch das Landesarbeitsgericht aus. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
II. Gleichwohl steht dem Kläger ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung für Jahr 1990 nicht zu.
Von den bislang entschiedenen Fällen unterscheidet sich der vorliegende Fall durch eine Reihe tatsächlicher Umstände, die es ausschließen, noch von einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Sinne des TV-13. Monatseinkommen auszugehen, von dem der Anspruch auf die Jahressonderzahlung abhängt. Anders als in den bisher entschiedenen Fällen, in denen es aus den unterschiedlichsten Gründen - lange Arbeitsunfähigkeit, Erziehungsurlaub, Einberufung zum Wehrdienst u.ä. - an einer tatsächlichen Arbeitsleistung im Bezugszeitraum fehlte, kommt im vorliegenden Falle hinzu, daß beide Parteien mit einer Reaktivierung des Arbeitsverhältnisses, d.h. mit einer Wiederaufnahme der Arbeit durch den Kläger, nicht mehr gerechnet haben, nachdem der Kläger zunächst Arbeitslosengeld und dann eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt und die Beklagte auf ihr Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet hatte.
1. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings zu Recht ausgeführt, daß der schlichte einseitige Verzicht des Arbeitgebers auf das Direktionsrecht und damit auch auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers noch nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Eine solche Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer selbst, es werde für die Zukunft auf jede Arbeitsleistung verzichtet, kann sich allerdings als Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen, so daß dieses durch Kündigung beendet wird. Eine solche Erklärung hat die Beklagte dem Kläger gegenüber aber nicht abgegeben. Die Verzichtserklärung der Beklagten war vielmehr lediglich eine Antwort auf eine Anfrage des Arbeitsamtes und daher für dieses bestimmt. Selbst wenn der Kläger von dieser Antwort Kenntnis erlangt haben sollte, konnte er diese Beantwortung der Anfrage des Arbeitsamtes nicht als eine an ihn gerichtete Willenserklärung, d. h. als eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses verstehen.
2. Der Kläger hat sich, obwohl sein Arbeitsverhältnis noch nicht beendet war, beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt. Nach § 100 AFG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer u.a. arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und Arbeitslosengeld beantragt hat. Arbeitslos ist nach § 101 AFG schon ein Arbeitnehmer, der u.a. vorübergehend nicht in einem "Beschäftigungsverhältnis" steht. Das hier genannte Beschäftigungsverhältnis ist nicht mit dem Arbeitsverhältnis gleichzusetzen. Ein Arbeitnehmer kann daher "nicht in einem Beschäftigungsverhältnis" auch dann stehen, wenn sein Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht (Eckert, GK-AFG, § 101 Rz 14; Schieckel, AFG, § 101, Anm. III 1.). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer und dessen Arbeitskraft nicht mehr beansprucht - etwa nach einer unwirksamen Kündigung - (Eckert, aaO) oder der Arbeitnehmer diese Verfügungsgewalt nicht länger anerkennt (Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, § 101 Rz 15) oder der Arbeitgeber über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers - gleich aus welchen Gründen - nicht mehr verfügen will (Schieckel, aaO).
Daß der Arbeitnehmer - wie hier der Kläger - der Arbeitsvermittlung wegen seiner nicht nur vorübergehenden Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht mehr zur Verfügung steht, ist nach § 105 a AFG ohne Bedeutung. Der Arbeitnehmer kann gleichwohl Arbeitslosengeld erhalten. Er hat nur auf Aufforderung des Arbeitsamtes innerhalb eines Monats einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation oder auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit zu stellen.
Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, daß auch dann, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber rechtlich noch nicht beendet ist, Arbeitslosengeld beantragt und erhält, das Arbeitsverhältnis durch diesen versicherungsrechtlichen Vorgang nicht berührt, insbesondere rechtlich nicht beendet wird.
3. Gleichwohl werden durch diesen Vorgang die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert, die die Annahme rechtfertigt, daß das Arbeitsverhältnis, so wie es § 2 TV-13. Monatseinkommen voraussetzt, jetzt nicht mehr besteht.
Ist ein Arbeitnehmer längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt und nimmt der Arbeitgeber dies nicht zum Anlaß für eine Kündigung, dann gehen die Arbeitsvertragsparteien in der Regel davon aus, daß das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Krankheit fortgesetzt wird. Wird dem Arbeitnehmer seiner Ansicht nach zu Unrecht gekündigt und beantragt und erhält er Arbeitslosengeld und wendet er sich gleichzeitig gegen diese Kündigung, so bringt er damit deutlich zum Ausdruck, daß er am Arbeitsverhältnis festhalten will. Der Arbeitgeber, der schlicht die Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verweigert, gerät nach § 615 BGB in Annahmeverzug, der jederzeit beendet werden kann. Auch im Falle des Erziehungsurlaubs oder der Einberufung zum Wehrdienst gehen die Parteien des Arbeitsverhältnisses davon aus, daß das Arbeitsverhältnis im Anschluß an diese Zeiten fortgesetzt wird.
In Fällen der vorliegenden Art sind jedoch die Vorstellungen der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses anderer Art. Der Arbeitnehmer, der lange Zeit arbeitsunfähig krank ist, von der Krankenkasse ausgesteuert ist und mit einer Wiederherstellung seiner Gesundheit kaum rechnet, beantragt Arbeitslosengeld, nicht um die Zeit bis zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu überbrücken, sondern für die Zeit, bis ihm eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bewilligt wird. Für ihn ist das fortbestehende Arbeitsverhältnis ohne Bedeutung. Der Arbeitgeber, der auf Anfrage des Arbeitsamtes auf seine Verfügungsgewalt gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet, um diesem den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen, geht dabei ebenfalls davon aus, daß zumindest von diesem Zeitpunkt an eine Wiederbelebung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Frage kommen wird. Mit dem Verzicht auf die Verfügungsgewalt hilft er dem Arbeitnehmer mehr als durch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses, da der Verzicht ab sofort wirkt, der Arbeitnehmer also ab sofort nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis steht, während er bei einer Kündigung erst mit Ablauf der Kündigungsfrist aus diesem ausscheiden und erst von diesem Zeitpunkt an Arbeitslosengeld bekommen könnte.
Das gleichwohl rechtlich noch fortbestehende Arbeitsverhältnis ist daher nur noch formaler Natur und nicht mehr Grundlage irgendwelcher fortbestehender Bindungen der Parteien an dieses Arbeitsverhältnis.
4. Ein solches nur noch formal fortbestehendes Arbeitsverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 TV-13. Monatseinkommen, das am Stichtag 12 Monate ununterbrochen besteht. Auch wenn die Tarifvertragsparteien bei ihrer Regelung - wie dargelegt - bestimmt haben, daß der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen in der Mindesthöhe des 102-fachen Tarifstundenlohnes nicht von einer tatsächlichen Arbeitsleistung im Berechnungszeitraum abhängig sein soll, folgt daraus nicht zwingend, daß sie auch in Fällen der vorliegenden Art von einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausgegangen sind, das den Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen begründet. Eine solche Regelung ergäbe keinen Sinn.
Wollte man annehmen, die Tarifvertragsparteien hätten auch für diese Fallgestaltung dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf das 13. Monatseinkommen gewähren wollen, könnte der Arbeitgeber diese Rechtsfolge doch leicht dadurch vermeiden, daß er das Arbeitsverhältnis rechtzeitig kündigt, wobei eine solche Kündigung regelmäßig sozial gerechtfertigt sein dürfte (vgl. Urteil des Zweiten Senats vom 21. Mai 1992 - 2 AZR 399/91 - AP Nr. 30 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Die tarifliche Regelung würde einen Anspruch begründen, dessen Voraussetzung - Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses am Stichtag - vom Arbeitgeber ohne rechtliche Hindernisse beseitigt werden könnte. Wenn der Arbeitgeber in diesen Fällen bislang von der Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, keinen Gebrauch gemacht hat, so regelmäßig nicht deswegen, weil er eine Wiederaufnahme der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer erwartete und daher am Arbeitsverhältnis festhalten wollte, sondern aus unterschiedlichen sozialen und menschlichen Überlegungen, die es verbieten, dem Arbeitgeber letztlich zum Vorwurf zu machen, das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt zu haben und ihn allein deswegen mit der Pflicht zu belasten, das 13. Monatseinkommen zu zahlen.
5. Der Senat ist sich bewußt, daß diese Sicht es schwierig macht, die Grenze zwischen den Fällen zu ziehen, in denen trotz fehlender Arbeitsleistung im Bezugszeitraum infolge Krankheit die Jahressonderzahlung noch zu gewähren ist und in denen - wie hier - ein Anspruch nicht mehr gegeben ist. Eine bloße langandauernde Arbeitslosigkeit läßt den Anspruch noch nicht entfallen. Auch die nur subjektive Vorstellung oder Erwartung der Arbeitsvertragsparteien, zu einer Reaktivierung des Arbeitsverhältnisses werde es wohl nicht mehr kommen, reicht nicht aus. Es müssen stets tatsächliche Umstände hinzukommen, aus denen sich ergibt, daß das rechtlich an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis tatsächlich nur noch formaler Natur ist und nach dem Willen und den Vorstellungen beider Parteien keine irgendwie gearteten rechtlichen Bindungen im Hinblick auf eine Wiederaufnahme der Arbeit mehr begründen soll.
Damit steht dem Kläger ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung nicht zu. Seine Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Matthes Dr. Freitag Böck
Weidner Schlaefke
Fundstellen
Haufe-Index 436670 |
BB 1994, 2000 |
BB 1995, 359 |
BB 1995, 359-361 (T) |
DB 1995, 1034-1035 (LT1-2) |
EEK, I/1151 (ST1-3) |
IBR 1995, 84 (ST) |
NZA 1995, 899 |
NZA 1995, 899-901 (LT1-2) |
SAE 1995, 325-327 (LT1-2) |
ZAP, EN-Nr 888/94 (S) |
AP § 611 BGB Gratifikation (LT1-2), Nr 168 |
AR-Blattei, ES 370.8 Nr 166 (LT1-2) |
EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 117 (LT1-2) |
PersF 1995, 236-237 (K) |
SGb 1995, 444 (L) |