Entscheidungsstichwort (Thema)
Karenzentschädigung. Ausgleichsklausel im Vergleich. Aufhebungsvertrag. Wettbewerbsverbot. Arbeitsvertragsrecht
Leitsatz (amtlich)
Der Wortlaut einer allgemeinen Ausgleichsklausel in einem gerichtlichen Vergleich, wonach mit der Erfüllung der Vereinbarung sämtliche Ansprüche “hinüber und herüber” aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten und ausgeglichen sein sollen, umfaßt auch Ansprüche aus einem vertraglichen Wettbewerbsverbot. Aus weiteren Umständen wie dem Zustandekommen der Vereinbarung oder dem nachvertraglichen Verhalten kann sich ergeben, daß die Parteien ein Wettbewerbsverbot dennoch aufrechterhalten bzw. nicht auf Ansprüche daraus verzichten wollen.
Orientierungssatz
- Ein gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen einer Erklärung gemäß § 148 SGB III erklärter Verzicht auf ein Wettbewerbsverbot stellt keinen Verzicht iSd. § 75a HGB dar. Ein solcher Verzicht muß dem Arbeitnehmer gegenüber abgegeben werden.
- Prozeßvergleiche können vom Revisionsgericht unbeschränkt und selbständig ausgelegt werden.
- Ausgleichsklauseln sind im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen, um den angestrebten Vergleichsfrieden sicherzustellen.
- Sieht eine allgemeine Ausgleichsklausel vor, daß mit dem Vergleich alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt sein sollen, so sind von diesem Wortlaut grundsätzlich auch Ansprüche aus einem Wettbewerbsverbot erfaßt.
- Die zum Verzicht auf Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung entwickelten Auslegungsregeln sind auf diese Ansprüche nicht anwendbar.
- Dies schließt nicht aus, daß aus weiteren Umständen, zB Art und Inhalt der Vorverhandlungen sowie Verhalten nach Vertragsschluß, auf einen anderen Willen der Parteien geschlossen werden kann.
Normenkette
HGB § 74 ff.; SGB III § 148
Verfahrensgang
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 14. August 2001 – 6 Sa 649/00 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Karenzentschädigung.
Der am 25. April 1943 geborene Kläger war gemäß Dienstvertrag vom 12. April 1979 seit dem 1. Juli 1979 bei der Beklagten als Fachbereichsleiter Kunststoff beschäftigt. Der Jahresverdienst betrug nach Darlegung des Klägers 155.073,30 DM, der Monatsverdienst nach der von der Beklagten erstellten Arbeitsbescheinigung im Februar 1999 11.399,00 DM, im März 1999 11.650,00 DM.
§ 8 des Arbeitsvertrages vom 12. April 1979 lautet:
Ҥ 8 Wettbewerbsverbot
Herr B… verpflichtet sich, noch zwei Jahre nach Beendigung des Dienstverhältnisses keine Stellung bei einem Konkurrenzunternehmen anzunehmen, nicht selbst bei der Gründung eines solchen Unternehmens mitzuwirken, sich nicht daran zu beteiligen und einem solchen Unternehmen nicht mit Rat und Tat behilflich zu sein. Konkurrenz im Sinne dieser Bestimmung ist jede Firma, die gleiche oder ähnliche Waren herstellt oder vertreibt wie die Firma.
Im übrigen gelten für das Wettbewerbsverbot die Bestimmungen der §§ 77 ff. HGB.”
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 9. November 1995 fristlos. Im Prozeß über die fristlose Kündigung wurde deren Rechtsunwirksamkeit rechtskräftig festgestellt. Der Kläger wurde ab 1. Juli 1998 auf einer anderen Stelle eingesetzt. Am 10. August 1998 kündigte die Beklagte zum 31. Dezember 1998. Im Verfahren über die Wirksamkeit der Kündigung schlossen die Parteien am 18. September 1998 folgenden Vergleich:
- “
- Die Parteien sind sich darüber einig, daß das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung vom 10.08.1998 mit Ablauf des 31.03.1999 seine Beendigung finden wird.
- Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgewickelt.
- Der Kläger wird bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Weiterfortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung freigestellt. Eventl. anfallende Urlaubsansprüche werden in diesem Zeitraum in natura eingebracht.
- Die Beklagte verpflichtet sich, die noch ausstehenden Lohn- und Gehaltsansprüche vom 11. November 1995 bis 31. Dezember 1997 in Höhe von 239.423,48 DM (brutto) zu zahlen. Hierbei ist berücksichtigt das an das Arbeitsamt Ansbach beglichene Arbeitslosengeld. Die Zahlung erfolgt mit dem 15. Januar 1999 auf das Konto des Klägers bei der Dresdener Bank Kontonr.: 0481526800, BZ: 760 800 40.
- Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KüSchG, 3 Ziffer 9, 24, 34, 39b EStG in Höhe von 680.000,00 DM zu zahlen. Die Zahlung erfolgt spätestens mit dem 01.10.1998.
- Die Beklagte wird an den Kläger Verzugszinsen für den Verzugslohn für die Zeit von 1995 bis 1997 in Höhe von 38.000,00 DM zahlen, wobei die Zahlung ausdrücklich unter dem Betreff “Verzugszins” bei der Zahlung erfolgen wird. Die Zahlung hat bis zum 01.10.1998 zu erfolgen auf das obige Konto.
- Die Beklagte wird aus den Gehaltsforderungen des Klägers für die Monate Januar und März 1999 eine Einmalzahlung in Höhe von 11.317,00 DM an die Lebensversicherung des Klägers (in Form einer Direktversicherung Nr. 591319-01-02) zahlen. Sollten die Erklärungen seitens der Beklagten zur Übernahme der Direktversicherung durch den Kläger erforderlich sein, wird die Beklagte alle diesbezüglichen Erklärungen abgeben.
- Die Beklagte wird dem Kläger ein wohlwollendes berufsförderndes Zeugnis auf der Grundlage des Entwurfs vom 04.09.1998 unter dem Datum 31. März 1999 ausstellen.
- Die Parteien sind sich darüber einig, daß dem Kläger Ansprüche aus einer unverfallbaren betrieblichen Altersversorgung zustehen. Die Beklagte wird dem Kläger eine Bescheinigung über die Unverfallbarkeit der Ansprüche gem. § 2 Abs. 6 BetrAVG ausstellen.
- Im Falle des Vorversterbens des Klägers wird die Beklagte sämtliche sich aus dieser Vereinbarung ergebenden Zahlungen an die Erben des Klägers leisten.
- Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche der Parteien hinüber und herüber aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten und ausgeglichen. Erledigt sind auch die Verfahren vor dem Arbeitsgericht Bamberg, AZ: 5 Ca 947/98 und 5 Ca 967/96.
- Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der miterledigten Arbeitsgerichtsverfahren werden gegeneinander aufgehoben.”
In den umfangreichen Verhandlungen vor Vergleichsabschluß wurde weder über das Wettbewerbsverbot noch über eine Karenzentschädigung gesprochen.
Nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 9. November 1995 erteilte die Beklagte am 21. November 1995 eine Bescheinigung gem. § 133 AFG, die in der Rubrik 10 “Sonstige Hinweise des Arbeitgebers an das Arbeitsamt” die handschriftliche Eintragung enthält:
“Auf die Einhaltung der Wettbewerbsabrede durch den Arbeitnehmer wird verzichtet, so daß der Arbeitnehmer mit sofortiger Wirkung von der vertraglich vereinbarten Beschränkung frei ist.”
Eine Eintragung mit nahezu identischem Wortlaut findet sich in der Bescheinigung gem. § 312 SGB III vom 3. Mai 1999 an der entsprechenden Stelle. In der Rubrik 4 “Angaben zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses” teilte die Beklagte mit, daß das Arbeitsverhältnis am 10. August 1998 zum 31. März 1999 durch den Arbeitgeber gekündigt worden sei. Weiterhin enthält die Rubrik einen Hinweis auf den “gerichtlichen Vergleich”.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe Karenzentschädigung für zwei Jahre gem. § 74 Abs. 2 HGB zu. Die Beklagte habe weder rechtzeitig, noch ihm – als dem richtigen Adressaten – gegenüber auf das Wettbewerbsverbot verzichtet. Er behauptet, die Arbeitsbescheinigung vom 9. November 1995 habe er nie in Händen gehalten. Während der Vergleichsverhandlungen sei er vom Fortbestand des Wettbewerbsverbots ausgegangen und habe dies akzeptiert. Es habe kein übereinstimmender Wille bestanden, das Wettbewerbsverbot aufzuheben. Weder sei darüber gesprochen worden, noch ließen andere Umstände darauf schließen. Die Abfindung sei für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt worden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.845,56 DM nebst 8,25 % Zinsen aus 6.461,39 DM seit 1. Mai 1999, aus 6.461,39 DM seit 1. Juni 1999, aus 6.461,39 DM seit 1. Juli 1999 und aus 6.461,39 DM seit 1. August 1999 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 51.691,04 DM brutto nebst 8,25 % Zinsen aus 6.461,39 DM seit 1. September 1999, aus 6.461,39 DM seit 1. Oktober 1999, aus 6.461,39 DM seit 1. November 1999, aus 6.461,39 DM seit 1. Dezember 1999, aus 6.461,39 DM seit 1. Januar 2000, aus 6.461,39 DM seit 1. Februar 2000, aus 6.461,39 DM seit 1. März 2000, aus 6.461,39 DM seit 1. April 2000 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 19.384,17 DM nebst 8,25 % Zinsen aus 6.461,38 DM seit 1. Mai 2000, aus 6.461,38 DM seit 1. Juni 2000 und aus 6.461,38 DM seit 1. Juli 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, der Kläger habe die Arbeitsbescheinigung vom 21. November 1995 in Händen gehabt. Sie hat weiterhin behauptet, der Kläger habe im Laufe der Vergleichsverhandlungen vorgerechnet, was er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Leben brauche (Beweis: Rechtsanwalt Aumüller) und dabei eine Karenzentschädigung nicht erwähnt. Daraus und aus dem Umstand, daß nach den langwierigen Verhandlungen im umfangreichen Vergleich ein Schlußstrich unter alle denkbaren Ansprüche gezogen werden sollte, sei zu schließen, daß die Ausgleichsklausel des Vergleichs auch das Wettbewerbsverbot und die Karenzentschädigung habe umfassen sollen. An einem Konkurrenzverbot habe sie erkennbar auch nach der ersten Kündigung im Jahre 1995 kein Interesse gehabt. Auch der Kläger habe nach 1995 nicht etwa Karenzentschädigung verlangt. Jedenfalls sei die Berufung auf das Wettbewerbsverbot treuwidrig.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Karenzentschädigung.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, v. Baumgarten, Trümner
Fundstellen
Haufe-Index 856922 |
BAGE 2004, 103 |
BB 2003, 106 |
DB 2002, 2651 |
NJW 2003, 2700 |
NWB 2003, 21 |
BuW 2003, 173 |
EBE/BAG 2002, 189 |
ARST 2003, 62 |
EWiR 2003, 227 |
FA 2002, 391 |
FA 2003, 155 |
FA 2003, 60 |
NZA 2003, 100 |
SAE 2003, 230 |
StuB 2003, 384 |
ZIP 2002, 2271 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 12 |
EzA |
MDR 2003, 93 |
PERSONAL 2003, 58 |
AA 2003, 14 |
AUR 2003, 36 |
RdW 2003, 248 |
SPA 2003, 6 |