Leitsatz (amtlich)
Ein Abrechnungsbescheid, der einen nach Aufrechnung durch das FA geminderten Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen feststellt, ist ein vollziehbarer Verwaltungsakt.
Orientierungssatz
Parallelentscheidung: BFH, 9.2.1988, VII B 187/87, NV.
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 168, 218 Abs. 1-2, §§ 226, 361; FGO §§ 114, 69 Abs. 3, 2
Tatbestand
I. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) hat gegen die der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) unstreitig zustehenden Erstattungsansprüche aus Umsatzsteuervoranmeldungen wiederholt aufgerechnet. Die Gegenforderung des FA ergibt sich aus Steuerschulden der Antragstellerin und ihres mit ihr zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehemannes wegen der Einkommensteuer 1968 bis 1974 sowie 1976 und 1977. Nach einem Aufteilungsbescheid vom 3.Dezember 1986 entfallen auf die Antragstellerin für die Einkommensteuer 1968 bis 1974 keine Steuerschulden. In einem Abrechnungsbescheid vom 2.Dezember 1986 ging das FA von einem unstreitigen Erstattungsanspruch der Antragstellerin aus der Umsatzsteuervoranmeldung für Oktober 1986 in Höhe von 100 180,60 DM aus; es verrechnete einen Betrag von 2 000 DM für rückständige Umsatzsteuer der Antragstellerin und rechnete in Höhe von 5 000 DM mit Einkommensteuerschulden der Eheleute für 1974 auf, indem es eine frühere Umbuchung in dieser Höhe aufrechterhielt. Das FA wies darauf hin, daß sich die Zulässigkeit der Aufrechnung aus § 44 der Abgabenordnung (AO 1977) ergebe, da die Eheleute Gesamtschuldner der Einkommensteuer seien und die Aufteilung lediglich ein Vollstreckungshindernis bewirke, das eine Verrechnung des Umsatzsteuerguthabens mit den gemeinsamen Einkommensteuerschulden der Eheleute nicht ausschließe.
Die Antragstellerin hat gegen den Abrechnungsbescheid nach erfolglosem Vorverfahren Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Nachdem das FA in den Folgemonaten ebenfalls mit je 5 000 DM aus der Einkommensteuerschuld 1974 der Eheleute gegen die Umsatzsteuererstattungsansprüche der Antragstellerin für die Monate November 1986 bis März 1987 aufgerechnet hatte, erließ es entsprechende Abrechnungsbescheide, gegen die Einspruch eingelegt worden ist.
Die Antragstellerin beantragte beim FG, dem FA durch einstweilige Anordnung zu untersagen, gemäß den Abrechnungsbescheiden monatlich 5 000 DM ihrer Umsatzsteuererstattungsansprüche mit der Einkommensteuerschuld 1974 zu verrechnen, hilfsweise die Vollziehung der Abrechnungsbescheide in Höhe der vom FA erklärten Aufrechnungen von insgesamt 30 000 DM auszusetzen.
Das FG gab dem hilfsweise gestellten Antrag statt, weil nur der Rechtsschutz gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben sei. Es sieht Abrechnungsbescheide als der Aussetzung der Vollziehung fähige Bescheide an, soweit darin --wie im Streitfall-- erstmalig und originär über die Wirksamkeit der vom FA erklärten Aufrechnungen entschieden wird.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde hinsichtlich der Frage, ob die einstweilige Anordnung oder die Aussetzung der Vollziehung der zutreffende Rechtsbehelf ist, wendet sich das FA gegen den Beschluß des FG.
Es meint, daß es für die Aussetzung der Vollziehung an einem vollziehbaren Verwaltungsakt fehle, da in den streitigen Abrechnungsbescheiden nur festgestellt werde, daß die Umsatzsteuererstattungsansprüche jeweils in Höhe von 5 000 DM durch Aufrechnung erloschen seien. Da bereits die Aufrechnung durch das FA ein Verwaltungsakt sei, diene ein Abrechnungsbescheid nur dazu, das Erlöschen des Anspruchs darzutun. Deshalb seien Abrechnungsbescheide keine vollziehbaren Verwaltungsakte, da damit von einem Steuerpflichtigen keine bestimmte Leistung gefordert werde.
Das FA beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat im Streitfall zutreffend die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung der Abrechnungsbescheide bejaht.
Gemäß § 69 Abs.3 Sätze 1 und 4 FGO kann das Gericht der Hauptsache unter sinngemäßer Anwendung des Abs.2 Sätze 2 bis 4 die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen bzw. die Aufhebung der Vollziehung eines schon vollzogenen Verwaltungsakts anordnen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt, der vollzogen werden kann. Das ist bei solchen Bescheiden der Fall, die dem Abgabepflichtigen eine Leistungspflicht auferlegen oder Grundlage für eine Leistungspflicht sind. Ein vollziehbarer Verwaltungsakt liegt stets dann vor, wenn der Steuerschuldner durch den Verwaltungsakt auf Zahlung in Anspruch genommen werden kann (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15.Juni 1982 VIII B 138/81, BFHE 136, 186, 188, BStBl II 1982, 657).
Als vollziehbare Verwaltungsakte kommen im Streitfall nur die Abrechnungsbescheide gemäß § 218 Abs.2 AO 1977 in Betracht, da Aufrechnungserklärungen des FA nach der Rechtsprechung des Senats selbst keine Verwaltungsakte (vgl. Senatsurteil vom 2.April 1987 VII R 148/83, BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536) und damit auch keiner Aussetzung der Vollziehung fähig sind (vgl. Beschluß des FG Hamburg vom 11.Januar 1985 IV 242/84 H, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1985, 435).
Die im Streitfall betroffenen Abrechnungsbescheide sind vollziehbar.
Ein Abrechnungsbescheid entscheidet im Rahmen des Steuererhebungsverfahrens über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 218 Abs.2 AO 1977). Die in ihm getroffenen Feststellungen binden den Steuerpflichtigen und die Finanzbehörde. Die Vollstreckung darf über die in ihm festgestellten Beträge nicht hinausgehen. Daraus folgt, daß er dann einer Vollziehung fähig ist, wenn in ihm das Bestehen eines Anspruchs gegen den Steuerpflichtigen festgestellt wird (vgl. Senatsbeschluß vom 17.April 1984 VII S 15/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Abgabenordnung, § 218, Rechtsspruch 5, S.10).
Einer Aussetzung der Vollziehung steht nicht entgegen, daß im Tenor der Abrechnungsbescheide jeweils auch nach Abzug des vom FA aufgerechneten Betrages in Höhe von 5 000 DM noch ein Erstattungsbetrag zugunsten der Antragstellerin festgestellt wird. Zwar wird damit in den Abrechnungsbescheiden kein Anspruch festgestellt, der als Vollstreckungstitel geeignet wäre. Somit könnte an sich ein Gebrauch der Wirkungen der Abrechnungsbescheide nie dazu führen, daß von der Antragstellerin etwas gefordert werden kann, was im Falle der Verweigerung durch das FA im Wege von Vollziehungsmaßnahmen erzwungen werden könnte oder müßte (vgl. BFH-Beschluß vom 28.November 1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, 173, BStBl II 1975, 240).
Jedoch darf der im Tenor der Abrechnungsbescheide festgestellte Steuererstattungsanspruch nicht isoliert gesehen werden, sondern er muß zu den vorausgegangenen Umsatzsteuerbescheiden in Beziehung gesetzt werden. In diesen gemäß §§ 218 Abs.1 Satz 2, 168 AO 1977 ergangenen Steuerbescheiden war jeweils ein um 5 000 DM (dem vom FA aufgerechneten Betrag) höherer Erstattungsbetrag festgesetzt worden. Insofern hat sich die rechtliche Situation der Antragstellerin durch die vom FA erklärten Aufrechnungen und deren Bestätigung in den Abrechnungsbescheiden gegenüber der vor Ergehen der Abrechnungsbescheide bestehenden Rechtsposition zu ihrem Nachteil verändert. In allen Fällen, in denen die vorher bestehende rechtliche Situation des Steuerpflichtigen durch einen Verwaltungsakt verschlechtert wird, hat dieser aber eine den Steuerpflichtigen belastende Wirkung, die einen vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 69 FGO rechtfertigt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28.November 1974 V B 52/73, BFHE 114, 169, 170, BStBl II 1975, 239, und vom 5.Februar 1976 V B 73/75, BFHE 118, 149, BStBl II 1976, 435; Rönitz, Der vorläufige Rechtsschutz in der Finanzgerichtsbarkeit - Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Anordnung -, Steuerberaterkongreß- Report 1978, 61, 64, 65, 69; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8.Aufl., § 80 Anm.9; Klemp, Vorläufiger Rechtsschutz in Steuersachen (I), Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1974, 443, 445, r.Sp.; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 7.Aufl., § 80 Rdnr.21).
Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH zur Aussetzung der Vollziehung negativer Gewinnfeststellungsbescheide vom 14.April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, 502, BStBl II 1987, 637) sind Verwaltungsakte vollziehbar, deren Wirkung sich nicht auf eine Negation beschränkt, sondern die entweder selbst eine positive Regelung enthalten oder die eine in einem Bescheid enthaltene positive Regelung aufheben. Der Streitfall entspricht der angeführten 2.Alternative, da mit der in den Abrechnungsbescheiden enthaltenen Entscheidung über die Aufrechnung die in den vorangegangenen Umsatzsteuerbescheiden enthaltene positive Regelung über den Erstattungsanspruch insoweit wieder beseitigt wird. Das FG hat deshalb mit Recht die Vollziehbarkeit der Abrechnungsbescheide hinsichtlich der darin getroffenen Entscheidung über die Aufrechnung bejaht.
Soweit im Schrifttum (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3.Aufl., Rdnr.574 FN 24; Appel, Probleme der behördlichen Aufrechnung und vorläufiger Rechtsschutz, Bayerische Verwaltungsblätter --BayVBl-- 1983, 201, 204, 1.Sp.; Hetzer, Vorläufiger Rechtsschutz gegen Aufrechnung durch Finanzbehörden, Betriebs-Berater --BB-- 1985, 2315, 2317) die einstweilige Anordnung und nicht die Aussetzung der Vollziehung als zutreffender vorläufiger Rechtsschutz gegen die Aufrechnung angesehen wird, kann dem für den Streitfall nicht gefolgt werden. Denn dabei würde übersehen, daß der Antragstellerin jeweils ein bereits gemäß § 218 Abs.1 Satz 2 AO 1977 festgesetzter Erstattungsanspruch aus ihren monatlichen Voranmeldungen zustand, der erst durch die Aufrechnungserklärungen des FA --und durch die Abrechnungsbescheide verbindlich festgestellt-- in Höhe des aufgerechneten Betrages getilgt worden ist. Mit ihrem Begehren auf Auszahlung des ungekürzten Erstattungsbetrages --wie er sich aus den Voranmeldungen ergibt-- verfolgt die Antragstellerin daher kein weitergehendes Ziel als mit der Aussetzung der Vollziehung, sondern sie wehrt sich nur gegen die Abänderung der Höhe der sich aus den Voranmeldungen ergebenden Erstattungsansprüche durch die feststellende Wirkung der Abrechnungsbescheide (vgl. auch für einen ähnlichen Fall der Aussetzung der Vollziehung eines Erstattungsbescheides, durch den zum Nachteil des Begünstigten ein früherer Erstattungsbescheid geändert worden ist: Beschluß des FG Rheinland-Pfalz vom 20.Juli 1972 I 4a/72, EFG 1973, 29, 30).
Aus diesem Grunde handelt es sich bei den Abrechnungsbescheiden hinsichtlich der sich durch die Aufrechnungen ergebenden Differenz um vollziehbare Verwaltungsakte, da die vom FA erklärten Aufrechnungen die bereits festgesetzten Erstattungsansprüche der Antragstellerin mindern. Die vom FA erklärten Aufrechnungen können daher in ihrer Wirkung durch Aussetzung der Vollziehung der Abrechnungsbescheide einstweilen rückgängig gemacht werden, indem das FA die Umsatzsteuererstattungsansprüche, auch soweit es sie zur Tilgung der Einkommensteuerschulden 1974 verwendet hat, einstweilen erfüllen muß (vgl. Beschluß in BFHE 136, 186, 189, BStBl II 1982, 657).
Fundstellen
Haufe-Index 61601 |
BStBl II 1988, 43 |
BFHE 151, 128 |
BFHE 1988, 128 |