Leitsatz (amtlich)
Die Frist für den Antrag auf Veranlagung in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nrn. 7 und 8 EStG endet auch dann mit Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs (§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974), wenn das FA einem Steuerpflichtigen Steuererklärungen zugesandt und ihn zur Abgabe der Erklärungen aufgefordert hat. Die vom BFH zu § 71 Abs. 2 EStDV a. F. entwickelten Grundsätze vom "Aufgreifen eines Steuerfalles" durch das FA (vgl. BFH-Urteile vom 13. Januar 1961 VI 169/60 U, BFHE 72, 345, BStBl III 1961, 129; vom 9. Mai 1972 VIII R 158/71, BFHE 106, 67, BStBl II 1972, 672, und vom 24. August 1972 VIII R 92/69, BFHE 107, 369, BStBl II 1973, 113) sind auf die Fristbestimmung des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974 nicht anwendbar.
Normenkette
EStG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 Buchst. b, S. 2; AO § 215 Abs. 2, § 218 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Vorjahren zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt worden. Die Veranlagung fand gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf Antrag des Klägers statt zur Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung, die ihm durch die Beteiligung an einer Hausgemeinschaft entstanden waren. Für das Streitjahr 1972 wurden dem Kläger im Rahmen der allgemeinen Versendung von Erklärungsvordrucken die Vordrucke für die Einkommensteuer und die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus der Hausgemeinschaft zugesandt. Nachdem der Kläger trotz allgemeiner und besonderer Aufforderung die Erklärung 1972 bis Ende 1974 nicht eingereicht hatte, vermerkte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 20. Februar 1975 in der Einkommensteuerakte des Klägers die Löschung des Einkommensteuersignals 1972.
Am 4. Juli 1975 gingen beim FA die Einkommensteuererklärung 1972 und die Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Jahr 1972 ein. Das FA führte daraufhin mit Bescheid vom 17. Juli 1975 die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch, lehnte dagegen mit Bescheid vom 1. Oktober 1975 (NV-Verfügung) die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer mit der Begründung ab, daß der erforderliche Antrag nicht fristgerecht gestellt worden sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 326 (EFG 1977, 326) veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: Da der Antrag auf Veranlagung nach Ablauf der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG gestellt wurde und Nachsichtsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich seien, könne eine Veranlagung nicht mehr durchgeführt werden. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 71 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) a. F. vom sogenannten "Aufgreifen eines Steuerfalles" durch das FA mit der Folge der Verlängerung der Frist bis zum Abschluß der Bearbeitung des Falles sei auf die neue Fristbestimmung nicht anwendbar.
Die Veranlagung müsse das FA auch nicht deswegen vornehmen, weil es die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durchgeführt habe. Die §§ 215 und 218 der Reichsabgabenordnung (AO) würden nur die Auswirkung des verselbständigten Feststellungsverfahrens auf die Einzelveranlagung regeln. Sie seien aber nicht geeignet, auf das Entstehen oder Fortbestehen von Steueransprüchen unmittelbar einzuwirken.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Da sich das FA mit der Prüfung des Falles befaßt habe, sei die Ausschlußfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG unbeachtlich. Aus den im § 218 Abs. 2 AO niedergelegten Grundsatz der Maßgeblichkeit der im Grundlagenbescheid getroffenen Feststellung für den Folgebescheid ergebe sich ebenfalls die Verpflichtung des FA, ihn (den Kläger) nach der einheitlichen gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auch zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie die NV-Verfügung des FA aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung 1972 durchzuführen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b EStG i. d. F. des Zweiten Steueränderungsgesetzes 1973 (2. StÄndG 1973) vom 18. Juli 1974 (BGBl I 1974, 1489, BStBl I 1974, 521) - EStG 1974 - ist für die Veranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten aus einer anderen Einkunftsart als derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit ein Antrag erforderlich. Dieser Antrag ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1972 bis zum Ablauf des auf diesen Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 52 Abs. 20 Satz 2 EStG 1974).
Das FG geht zu Recht davon aus, daß der Kläger den Antrag auf Veranlagung wegen sogenannten berechtigten Interesses für das Kalenderjahr 1972 nicht rechtzeitig - d. h. nicht innerhalb der am 31. Dezember 1974 endenden zweijährigen Ausschlußfrist - gestellt hat.
Ein Antrag des Klägers auf Veranlagung kann erstmals der Einkommensteuererklärung 1972 entnommen werden, die am 4. Juli 1975 - also nach Ablauf der Antragsfrist - beim FA einging.
Die Rechtzeitigkeit des Antrags läßt sich auch nicht damit begründen, daß die Antragsfrist über den in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974 genannten Zeitpunkt hinaus verlängert worden sei.
Zwar hat der BFH im Zusammenhang mit der inzwischen für rechtsunwirksam erklärten Fristbestimmung des § 71 Abs. 2 EStDV a. F. (vgl. BFH-Urteil vom 3. April 1973 VIII R 19/73, BFHE 109, 130, BStBl II 1973, 484) wiederholt entschieden, daß diese Frist dann keine Gültigkeit habe, wenn das FA durch die Übersendung von Erklärungsvordrucken oder die Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen einen Steuerfall von sich aus aufgegriffen habe (vgl. BFH-Urteile vom 13. Januar 1961 VI 169/60 U, BFHE 72, 345, BStBl III 1961, 129; vom 9. Mai 1972 VIII R 158/71, BFHE 106, 67, BStBl II 1972, 672, und vom 24. August 1972 VIII R 92/69, BFHE 107, 369, BStBl II 1973, 113). Vielmehr könne in diesen Fällen der Antrag auf Veranlagung gestellt werden, solange die Prüfung und Bearbeitung des Falls noch nicht abgeschlossen sei.
Diese Grundsätze sind jedoch auf die Fristbestimmung des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974 nicht anwendbar. In § 71 Abs. 2 EStDV a. F. war bestimmt, daß der Antrag auf Veranlagung in den in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG bezeichneten Fällen nur bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist gestellt werden konnte. Der BFH folgerte aus der Koppelung der Antragsfrist an die Steuererklärungsfrist, daß es Sinn und Zweck der Befristung der Antragsveranlagungen sei, die laufenden Veranlagungsarbeiten der FÄ auf einen bestimmten Zeitraum zu beschränken. Folgerichtig sollte die Befristung darum dann nicht gelten, wenn das FA durch die Zusendung und Anmahnung der Steuererklärung bei dem Steuerpflichtigen den Eindruck erweckt hatte, daß es seinen Steuerfall noch bearbeiten wolle (vgl. BFH-Urteil VI 169/60 U). Der dem § 71 Abs. 2 EStDV a. F. zugrunde liegende Sinn und Zweck läßt sich aber auf die in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974 getroffene Regelung nicht übertragen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Einführung der wesentlich längeren zweijährigen Ausschlußfrist zum Ausdruck gebracht, daß nach Ablauf dieser Frist - unabhängig vom Stand der Veranlagungsarbeiten der FÄ - eine Veranlagung nur noch bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Nachsichtsgewährung gemäß § 86 AO (jetzt: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) durchgeführt werden kann. Gründe für eine Nachsichtsgewährung liegen im Streitfall aber nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG nicht vor. Wegen Versäumung der Antragsfrist scheidet demnach eine Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b EStG aus.
2. Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger aus den Vorschriften der §§ 215 und 218 AO auch keinen Anspruch auf eine Veranlagung von Amts wegen herleiten kann.
§ 218 Abs. 2 AO regelt zwar die Auswirkungen des verselbständigten Verfahrens der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 215 Abs. 2 AO auf das Veranlagungsverfahren in der Weise, daß der Feststellungsbescheid als Grundlagenbescheid für den Steuerbescheid maßgebend ist. § 218 Abs. 2 AO kann jedoch die notwendigen, in den Einzelsteuergesetzen geregelten Voraussetzungen für den Erlaß des Folgebescheids nicht ersetzen. Wenn ein Einkommensteuerbescheid - wie hier - infolge Versäumung der Antragsfrist nicht erlassen werden darf, vermag § 218 Abs. 2 AO den nicht mehr durchsetzbaren Steuererstattungsanspruch nicht wieder aufleben zu lassen (vgl. dazu Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 215 AO Anm. 8 c und § 218 AO Anm. 9).
Wollte man § 218 Abs. 2 AO so auslegen, daß die im Feststellungsbescheid getroffenen Feststellungen zwingend Gegenstand der Einzelveranlagung werden, wäre die Ausschlußfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG für alle Fälle, in denen ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung einheitlich und gesondert festgestellt werden müßte, bedeutungslos. Dies aber wäre mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkit der Besteuerung nicht zu vereinbaren.
Finanzgerichtsordnung Reichsabgabenordnung Abgabenordnung
Fundstellen
Haufe-Index 73229 |
BStBl II 1979, 676 |
BFHE 1979, 210 |