Entscheidungsstichwort (Thema)
Baubetriebsstätte i.S. des DBA-Ungarn
Leitsatz (amtlich)
Bei der Prüfung der zeitlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Baubetriebsstätte i.S. des DBA-Ungarn sind mehrere Bauausführungen nicht zusammenzurechnen. Bauarbeiten an verschiedenen Orten können allenfalls dann als einheitliche Bauausführung angesehen werden, wenn zwischen ihnen ein technischer und organisatorischer Zusammenhang besteht. Es reicht nicht aus, dass es sich um gleichartige Arbeiten handelt, die für ein und denselben Auftraggeber ausgeführt werden.
Normenkette
AO 1977 § 12 S. 2 Nr. 8; DBA HUN Art. 5 Abs. 2 Buchst. g
Verfahrensgang
FG München (EFG 2000, 814) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) im Streitjahr (1994) im Inland eine Betriebsstätte im Sinne des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen (DBA-Ungarn) hatte.
Die Klägerin ist eine nach ungarischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft mit Sitz in Ungarn. Sie war in den Jahren 1992 bis 1997 in Deutschland als Subunternehmerin im Baugewerbe tätig. Im Streitjahr führte sie Bauarbeiten im Stadtgebiet von München aus, und zwar auf den Baustellen A (Dauer der Arbeiten: März 1993 bis März 1995), B (Dauer: Dezember 1993 bis November 1994) und C (Dezember 1994). Auftraggeber der Klägerin war jeweils die Firma H.
Für die Bauarbeiten setzte die Klägerin ausnahmslos ungarische Arbeitnehmer ein, die sie in Ungarn eingestellt hatte. Die Arbeitnehmer reisten aus Ungarn nach Deutschland ein und wohnten in Baucontainern, die die Firma H zur Verfügung gestellt hatte.
Mit ihrer Vertretung im Inland hatte die Klägerin Herrn F beauftragt. Hierüber existieren zwei aus März 1993 datierende schriftliche Vereinbarungen, die jeweils mit "Auftrag" überschrieben sind. Eine Vollmacht zum Abschluss von Verträgen wurde F darin nicht erteilt.
In der Folge nahm F zusammen mit anderen Firmenvertretern für die Klägerin an Vertragsverhandlungen mit deutschen Auftraggebern teil. Er musste hierbei in der Regel Rücksprache mit der Hauptverwaltung der Klägerin in Ungarn nehmen, wohin auch die Vertragsentwürfe zur Unterzeichnung übersandt wurden. Im Jahr 1995 unterzeichnete F in einem Fall einen Werkvertrag zwischen der Klägerin und einem inländischen Bauunternehmer sowie die Rechnungen der Klägerin im Zusammenhang mit diesem Geschäft selbst. Ferner lief über die Privatanschrift des F der gesamte inländische Schriftverkehr der Klägerin. In welchem Umfang F darüber hinaus im Inland für die Klägerin tätig wurde, ist zwischen den Beteiligten streitig.
In ihren Steuererklärungen für das Streitjahr erklärte die Klägerin lediglich den auf die Baustelle A entfallenden Gewinn. Dabei ging sie davon aus, dass die Gewinne aus den übrigen Aufträgen nach dem DBA-Ungarn nicht der deutschen Besteuerung unterlagen. Demgegenüber meinte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―), dass die auf die Baustellen B und C entfallenden Gewinne der Klägerin ebenfalls in Deutschland zu besteuern seien. Er bezog deshalb bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuer-Messbetrags diese Gewinne jeweils in die Bemessungsgrundlage ein.
Der hiergegen gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 814 veröffentlichten Urteil stattgegeben. Dagegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Revision. Es rügt die Verletzung des Art. 5 Abs. 2 DBA-Ungarn und beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass weder die Baustellen B und C Betriebsstätten der Klägerin i.S. des Art. 5 DBA-Ungarn darstellten noch F ständiger Vertreter der Klägerin i.S. des Art. 5 Abs. 4 DBA-Ungarn war. Deshalb darf der aus den Baustellen B und C erzielte Gewinn der Klägerin in Deutschland nicht besteuert werden.
1. Die Klägerin hatte nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, sowohl ihren Sitz als auch ihre Geschäftsleitung in Ungarn. Sie war daher im Sinne des DBA-Ungarn in Ungarn ansässig (Art. 4 Abs. 1 DBA-Ungarn).
2. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Ungarn dürfen Unternehmensgewinne nur im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens besteuert werden, wenn nicht das Unternehmen seine Tätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt. Die in diesem Zusammenhang maßgebliche Definition des Begriffs "Betriebsstätte" richtet sich nach Art. 5 DBA-Ungarn. Die dort enthaltene Begriffsbestimmung geht im Rahmen der Anwendung des Abkommens derjenigen in § 12 der Abgabenordnung (AO 1977) vor (Art. 3 Abs. 2 DBA-Ungarn).
3. Nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA-Ungarn umfasst der Ausdruck "Betriebsstätte" insbesondere eine Bauausführung, deren Dauer zwölf Monate überschreitet. Das bedeutet zugleich, dass Bauausführungen von bis zu zwölf Monaten Dauer keine Betriebsstätten im Sinne des DBA-Ungarn begründen. Eine Ausnahme hiervon ist allenfalls dann denkbar, wenn am Ort der Bauausführung zugleich eine "feste Einrichtung" des Unternehmens i.S. des Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn besteht, die nach dieser Vorschrift betriebsstättenbegründend ist.
4. Im Streitfall hat das FG angenommen, dass die Klägerin weder an der Baustelle B noch an der Baustelle C eine Betriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA-Ungarn besaß. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden:
a) Nach den Feststellungen des FG wurde die Klägerin an keiner der beiden Baustellen länger als zwölf Monate tätig. Anhaltspunkte dafür, dass das FG ―etwa im Hinblick auf vorbereitende Arbeiten der Klägerin an einer der Baustellen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 21. April 1999 I R 99/97, BFHE 189, 292, BStBl II 1999, 694)― die Dauer der Bauausführungen unrichtig bestimmt hätte, sind weder dem angefochtenen Urteil zu entnehmen noch vom FA vorgetragen worden.
b) Der Senat vermag nicht der Ansicht des FA zu folgen, dass die verschiedenen Bautätigkeiten der Klägerin als Bestandteile einer einheitlichen Maßnahme anzusehen und unter diesem Gesichtspunkt für Zwecke des Art. 5 DBA-Ungarn die Arbeiten an den Baustellen A, B und C zeitlich zusammenzurechnen sind. Vielmehr hat das FG eine solche Zusammenrechnung zu Recht abgelehnt:
aa) Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA-Ungarn enthält ―anders als § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977― keine Bestimmung des Inhalts, dass verschiedene Bauausführungen unter bestimmten Voraussetzungen in zeitlicher Hinsicht zusammenzurechnen sind. Deshalb besteht eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne grundsätzlich nur dann, wenn die maßgebliche Mindestdauer durch die einzelne Bauausführung überschritten wird. Das hat der Senat zum Begriff der Montagebetriebsstätte im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz bereits entschieden (Urteil in BFHE 189, 292, BStBl II 1999, 694); im Zusammenhang mit Baubetriebsstätten im Sinne des DBA-Ungarn gilt dasselbe.
bb) Von der Frage nach einer Zusammenrechnung verschiedener Bauausführungen zu unterscheiden ist die weitere Frage, ob Arbeiten an mehreren Baustellen aus rechtlicher Sicht als eine einheitliche Bauausführung zu werten sind. Auch insoweit gelten die Grundsätze, die der Senat in seinem Urteil in BFHE 189, 292, BStBl II 1999, 694 entwickelt hat, in dem hier interessierenden Zusammenhang gleichermaßen. Auf dieser Basis ist eine einheitliche Bauausführung im Sinne des DBA-Ungarn nur dann anzunehmen, wenn zwischen den einzelnen Bautätigkeiten eine wirtschaftliche und geographische Einheit besteht (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076, Tz. 4.3.5). Das hat das FG im Streitfall ohne Rechtsfehler verneint.
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, nach welchem Maßstab das Kriterium der "geographischen Einheit" im Detail zu bestimmen ist. Insbesondere muss nicht näher auf die Darlegung des FA eingegangen werden, dieses Kriterium sei immer dann erfüllt, wenn die verschiedenen Bauausführungen in einem einzigen Stadtgebiet liegen und die Entfernung zwischen ihnen 50 km nicht überschreitet. Denn eine geographische Einheit würde, selbst wenn sie im Streitfall vorläge, für sich genommen für die Annahme einer einheitlichen Bauausführung nicht ausreichen. Hinzu kommen muss vielmehr immer, dass sich die Bautätigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht als Bestandteil einer einheitlichen Gesamtmaßnahme darstellt. Hieran fehlt es im Streitfall.
Allerdings ist dem FA zuzugeben, dass die Ausführungen des FG insoweit zu Missverständnissen Anlass geben können, als dort vor allem auf das Vorliegen einer missbräuchlichen Aufspaltung von Verträgen abgestellt wird. Eine solche ist, wie bereits aus dem Senatsurteil in BFHE 189, 292, BStBl II 1999, 694 hervorgeht, nicht Voraussetzung für die Annahme einer einheitlichen Bauausführung. Eine wirtschaftliche Einheit zwischen mehreren äußerlich getrennten Maßnahmen kann vielmehr auch dann gegeben sein, wenn für die vorzunehmenden Arbeiten mehrere getrennte Aufträge vergeben worden sind und eine solche Vorgehensweise fremdüblich ist. Entscheidend ist, ob es sich aus der Sicht des Auftragnehmers bei wertender Betrachtung um einen einzigen (ggf.: fortschreitenden) Einsatz oder um eine Mehrzahl einzelner Einsätze handelt. Nur im erstgenannten Fall entspricht eine Einheitsbetrachtung insbesondere dem Sinn der abkommensrechtlichen Regelung, die auf dem Gedanken beruht, dass bei Überschreitung der Mindestfrist eine gewisse "Verwurzelung" des Unternehmens am Ort der Bautätigkeit vorliegt.
cc) Im Streitfall ist den Feststellungen des FG zu entnehmen, dass die Bauausführungen A, B und C nicht als in diesem Sinne "einheitliche" Maßnahme gewertet werden können. Die Arbeiten wurden an verschiedenen Orten durchgeführt und betrafen unterschiedliche Bauvorhaben, die weder technisch noch organisatorisch miteinander zusammenhingen. Dementsprechend waren der Klägerin für die einzelnen Baustellen auch unterschiedliche Aufträge erteilt worden. Dass schon bei Abschluss des Vertrages für die Baustelle A die Vergabe von Folgeaufträgen eingeplant gewesen wäre, was möglicherweise zur Annahme einer einheitlichen Bauausführung führen könnte (Urteil des Reichsfinanzhofs ―RFH― vom 30. November 1938 VI B 12/38, RStBl 1938, 395), ist weder vom FG festgestellt noch vom FA geltend gemacht worden. Damit fehlt es an dem notwendigen "inneren Zusammenhang" zwischen den einzelnen Arbeiten (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 30. Oktober 1956 I B 71/56 U, BStBl III 1957, 8); dass diese Arbeiten ihrer Art nach gleichartig waren (Verputzarbeiten) und die Aufträge jeweils von demselben Auftraggeber stammten, reicht hierfür nicht aus. Die verschiedenen Bautätigkeiten waren nicht Bestandteile eines einheitlichen Ganzen, sondern voneinander unabhängige Arbeiten der Klägerin an verschiedenen Baustellen. Sie bildeten daher jeweils eigenständige Bauausführungen i.S. des Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA-Ungarn.
5. Die Klägerin hatte an den einzelnen Baustellen keine Betriebsstätten i.S. des Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn. Zwar waren die von ihr eingesetzten Arbeitnehmer in Baucontainern untergebracht, die ggf. als "Einrichtungen" der Klägerin im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden können. Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn verlangt jedoch darüber hinaus, dass die betreffende Einrichtung "fest" ist. Daran fehlt es im Streitfall.
Der Begriff "fest" ist zwar im DBA-Ungarn nicht unmittelbar definiert. Aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. g lässt sich jedoch ableiten, dass eine einer Bau- oder Montagetätigkeit dienende Einrichtung nur dann "fest" i.S. des Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn ist, wenn sie über einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten hinaus am Bau- bzw. Montageort bleiben soll. Es ist bei länger andauernden Bau- und Montagetätigkeiten nicht ungewöhnlich, dass für die gesamte Dauer der Auftragsausführung die Arbeitnehmer des Bau- oder Montageunternehmens am Einsatzort untergebracht werden oder größere Gerätschaften dieses Unternehmens dort verbleiben. Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA-Ungarn soll erkennbar auch diese Fälle abdecken. Damit wäre es nicht vereinbar, die Unterkünfte oder Gerätschaften auch dann als "feste Einrichtungen" i.S. des Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn und damit als betriebsstättenbegründend anzusehen, wenn die Frist von zwölf Monaten nicht überschritten wird. Deshalb muss jene Frist jedenfalls dann für die Abgrenzung zwischen "festen" und "nicht festen" Einrichtungen maßgeblich sein, wenn es um eine Einrichtung geht, die einer Bauausführung oder Montage dient (ebenso Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 5 Rz. 37).
Daher könnten im Streitfall die von der Klägerin genutzten Containerunterkünfte nur dann als "feste Einrichtungen" der Klägerin anzusehen sein, wenn sie diese ursprünglich für mehr als zwölf Monate hätte nutzen sollen, die Nutzung jedoch tatsächlich ―z.B. wegen eines unvorhergesehen schnellen Fortschritts der Arbeiten― früher als geplant beendet worden ist (vgl. hierzu Wassermeyer, a.a.O.; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 12 AO Rz. 10). Dafür, dass im Streitfall eine solche Konstellation vorgelegen haben könnte, bieten weder das angefochtene Urteil noch der Vortrag des FA irgendwelche Anhaltspunkte. Folglich kann ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich der streitigen Gewinne auch aus Art. 7 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn nicht abgeleitet werden.
6. Schließlich hat das FG zu Recht entschieden, dass eine inländische Betriebsstätte der Klägerin nicht schon nach Art. 5 Abs. 4 DBA-Ungarn als gegeben gilt. Denn diese Vorschrift griffe nur dann ein, wenn der von der Klägerin eingeschaltete F nicht nur zum Abschluss von Verträgen bevollmächtigt gewesen wäre, sondern darüber hinaus diese Vollmacht im Inland gewöhnlich ausgeübt hätte. Daran fehlt es nach den Feststellungen des FG schon deshalb, weil F keine entsprechende Vollmacht besessen hat. Zudem hat F lediglich einmal ―noch dazu nach Ablauf des Streitjahrs― einen Vertrag im Namen der Klägerin unterzeichnet, was nicht als "gewöhnliche" Ausübung einer etwa erteilten Vollmacht angesehen werden kann. Dementsprechend hat denn auch das FA der Würdigung durch das FG in diesem Punkt nicht widersprochen, weshalb der Senat auf weitere Ausführungen hierzu verzichtet.
7. Im Ergebnis kann mithin nur die Bausführung A als im Streitjahr unterhaltene Betriebsstätte der Klägerin angesehen werden. Die außerhalb dieser Betriebsstätte erzielten Gewinne dürfen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Ungarn nur in Ungarn besteuert werden. Sie sind deshalb nicht in die Bemessungsgrundlage der deutschen Körperschaft- und Gewerbesteuer einzubeziehen. Dem entspricht das angefochtene Urteil, so dass die hiergegen gerichtete Revision als unbegründet zurückgewiesen muss (§ 126 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 604520 |
BFH/NV 2001, 1317 |
BStBl II 2002, 846 |
BFHE 2002, 335 |
BB 2001, 1726 |
DB 2001, 1914 |
DStRE 2001, 1062 |
DStZ 2001, 709 |
HFR 2001, 1136 |