Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Steuerfreiheit der ärztlichen Heilbehandlung durch Krankenhäuser
Leitsatz (amtlich)
Umsätze der Krankenhäuser sind, auch soweit sie die ärztliche Heilbehandlung einschließen, grundsätzlich nur dann steuerfrei, wenn sie die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 i.V.m. § 67 AO 1977 erfüllen; die Befreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 findet auf sie grundsätzlich keine Anwendung.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nrn. 14, 16 Buchst. b, c; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Sanatorium einschließlich medizinischer Leistungen in Form einer staatlich konzessionierten, internistisch ausgerichteten privaten Krankenanstalt. Sie bot im Streitjahr 1986 in erster Linie so genannte Regenerationskuren auf dem Gebiet der Naturheilkunde an. Zur Behandlung ihrer Patienten beschäftigte die Klägerin in ihrer internistisch ausgerichteten, medizinischen Abteilung acht Ärzte, fünf Krankenschwestern, acht Arzthelferinnen, vier Laboranten und vier Physiotherapeuten.
Die Klägerin ist als so genannte Publikums-Personengesellschaft errichtet; sie hatte zur Zeit der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) 191 Kommanditisten. Persönlich haftende Gesellschafterin war die S-GmbH mit einer Bareinlage von 50 000 DM. Geschäftsführer dieser GmbH war der Kaufmann S.
In ihrer Umsatzsteuer-Erklärung 1986 begehrte die Klägerin, Umsätze in Höhe von 7 375 448,03 DM nach § 4 Nr. 14 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) steuerfrei zu belassen; nach der Klageschrift soll es sich dabei um ärztliche Leistungen sowie Sachleistungen handeln.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) entsprach diesem Antrag nicht; er sah auch die Voraussetzungen der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 UStG 1980 für nicht gegeben an (Umsatzsteuer-Bescheid für 1986 vom 19. September 1988).
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Die auf grundsätzliche Bedeutung gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 27. September 1993 V B 31/92 (BFH/NV 1994, 419) zurück.
Die gegen das Urteil des FG und den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) gerichtete Verfassungsbeschwerde der Klägerin hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied, dass die beiden Entscheidungen die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzen; es hob den Beschluss des BFH auf und verwies die Sache an diesen zurück (BVerfG-Beschluss vom 10. November 1999 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160 i.d.F. des Beschlusses vom 29. Mai 2000).
Der Senat hat daraufhin die Revision gegen das Urteil des FG zugelassen (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 V B 179/99, BFH/NV 2000, 963).
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts; sie meint, das FG habe § 4 Nr. 14 Sätze 1 und 3 und § 4 Nr. 16 UStG 1980 unzutreffend ausgelegt. Das BVerfG habe in der von der Klägerin erstrittenen Entscheidung ausgeführt, dass die Rechtsform, in der eine Leistung von einem Unternehmer erbracht werde, kein hinreichender Differenzierungsgrund für eine Umsatzsteuerbefreiung darstelle. Daraus sei zu folgern, dass es auch nicht auf die berufliche Qualifikation der Gesellschafter und Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft oder einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG ankomme. Demnach stehe es der Anwendung des § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 nicht entgegen, dass es sich bei der Klägerin um eine GmbH & Co. KG handele, die die ärztlichen Leistungen durch angestellte Ärzte erbringen lasse und nicht freiberuflich tätig sei. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 werde nicht durch § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 verdrängt. In § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 sei von ärztlichen Leistungen die Rede, in § 4 Nr. 16 UStG 1980 hingegen von "mit dem Betrieb der Krankenhäuser … eng verbundenen Umsätze(n)". Die unterschiedliche Wortwahl lege es nahe, dass unterschiedliche Regelungsgegenstände vorlägen. Bei § 4 Nr. 16 UStG 1980 könne es sich somit nur um die sonstigen Umsätze der Krankenhäuser mit Ausnahme der ärztlichen Leistungen handeln, für die ausschließlich § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 gelte. Eine Ungleichbehandlung von ärztlichen Leistungen aus dem Betrieb eines Krankenhauses nach § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 und von ärztlichen Leistungen, die im Rahmen eines Krankenhauses i.S. von § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 erbracht würden, wäre willkürlich, sachlich nicht gerechtfertigt und verstieße somit gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und das Gebot einer wettbewerbsneutralen Besteuerung.
Der begehrten Steuerbefreiung stehe auch nicht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 6. November 2003 Rs. C-45/01, Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie (Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2003, 584 mit Anm. Widmann, Randnr. 47) entgegen. Die Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) kenne keine dem § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 entsprechende Bestimmung. Im Übrigen weise der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass es der Grundsatz der umsatzsteuerlichen Neutralität verbiete, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleiche Umsätze bewirkten, unterschiedlich behandelt würden. Schließlich hat die Klägerin klargestellt, dass sie die Steuerbefreiung für die gesamte medizinische Behandlung ihrer Patienten (ärztliche Leistungen, diagnostische Leistungen, Arznei- und Heilmittel, ärztlich verordnete physio- und hydrotherapeutische Leistungen) begehrt.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für 1986 auf 427 759,36 DM herabzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Das Urteil des FG verletzt zwar die Klägerin insoweit in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG, als die Urteilsbegründung dazu führt, dass die Klägerin allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung in Bezug auf die von ihr erbrachten ärztlichen Leistungen ausgenommen ist, weil sie diese in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG erbringt.
Gleichwohl hat das FG im Ergebnis die begehrte Steuerbefreiung zu Recht abgelehnt, da die Klägerin nicht die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG 1980 erfüllt und daneben eine Steuerbefreiung der Krankenhausumsätze nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 nicht in Betracht kommt.
2. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker" steuerfrei. Nach Satz 3 dieser Vorschrift sind die Umsätze eines Arztes aus dem Betrieb eines Krankenhauses mit Ausnahme der ärztlichen Leistungen nur steuerfrei, wenn die in Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind.
Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 sind die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bezeichneten Voraussetzungen erfüllt worden sind.
§ 67 AO 1977 in der im Streitjahr 1986 geltenden Fassung lautete:
"(1) Ein Krankenhaus, das in den Anwendungsbereich der Bundespflegesatzverordnung fällt, ist ein Zweckbetrieb, wenn mindestens 40 vom Hundert der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen, bei denen nur Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen (§§ 5, 6 und 21 der Bundespflegesatzverordnung) berechnet werden.
(2) Ein Krankenhaus, das nicht in den Anwendungsbereich der Bundespflegesatzverordnung fällt, ist ein Zweckbetrieb, wenn mindestens 40 vom Hundert der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als nach Absatz 1 berechnet wird."
3. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 waren unstreitig nicht erfüllt, da die Leistungen der Klägerin nicht in ausreichendem Maße auf die in § 67 AO 1977 genannten Patienten entfielen.
4. Entgegen der Ansicht der Klägerin erfasst die Vorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 alle mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsätze, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind, sowie Unterkunft und Verpflegung. Auf sie findet die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG 1980 grundsätzlich keine Anwendung.
5. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Befreiungsvorschriften. Mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbunden i.S. des § 4 Nr. 16 UStG 1980 ist die gesamte Krankenhausbehandlung und damit auch die medizinische Betreuung und Pflege und nicht nur die Unterbringung und Verpflegung der Patienten im Krankenhaus. Ein Krankenhaus übt auch keine Tätigkeit als Arzt i.S. des § 4 Nr. 14 UStG 1980 aus, vielmehr erbringt es mit Hilfe seines gesamten Personals (im Streitfall z.B.: Ärzten, Krankenschwestern, Arzthelferinnen, Laboranten und Physiotherapeuten) und seiner medizinischen Ausrüstung Behandlungsleistungen, die nicht als Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG 1980 subsumiert werden können. Eine andere Frage ist, ob einzelne Krankenhausärzte liquidationsberechtigt sind und aufgrund dieser Berechtigung eigene nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 steuerfreie Umsätze an die Patienten erbringen.
6. Die Klägerin kann die Steuerbefreiung auch nicht aufgrund der Vorschrift des § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980 beanspruchen. Danach sind die Umsätze eines Arztes aus dem Betrieb eines Krankenhauses mit Ausnahme der ärztlichen Leistungen nur steuerfrei, wenn die in § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Vorschrift ist nicht einschlägig, da die Klägerin kein Arzt ist und auch keine Arztpraxis, sondern (lediglich) ein Krankenhaus betreibt.
7. Dass Umsätze aus dem Betrieb privater Krankenhäuser, die nicht von einem Arzt betrieben werden, nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG 1980 fallen, ergibt sich auch aus der Regierungsbegründung zu dieser Vorschrift (BTDrucks 8/1779 vom 5. Mai 1978 S. 34). Dort heißt es wörtlich:
"Die Vorschrift enthält gegenüber dem bisherigen Recht folgende Änderungen:
1. Die Umsätze eines Arztes aus dem Betrieb eines Krankenhauses sind mit Ausnahme seiner ärztlichen Leistungen nur noch unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b steuerfrei. Durch diese Regelung sollen Wettbewerbsverzerrungen zwischen privaten Krankenhäusern beseitigt werden. Die Wettbewerbsverzerrungen ergeben sich aus folgendem: Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 wird auch auf private Krankenhäuser angewendet, die von Ärzten als Ergänzung ihrer freiberuflichen Tätigkeit betrieben werden. Dagegen fallen die Umsätze aus dem Betrieb privater Krankenhäuser, die nicht von einem Arzt betrieben werden, nicht unter diese Vorschrift. Nunmehr wird deshalb bestimmt, dass künftig auch die von Ärzten betriebenen privaten Krankenhäuser - ebenso wie die übrigen privaten Krankenhäuser - von der Umsatzsteuer nur dann befreit sind, wenn sie die in § 4 Nr. 16 Buchst. b bezeichneten Voraussetzungen erfüllen. Hiernach müssen 40 vom Hundert der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen, bei denen das Entgelt die in § 67 AO 1977 bezeichneten Grenzen nicht überschreitet."
8. Zum selben Ergebnis führt die richtlinienkonforme Auslegung der Vorschriften des § 4 Nr. 14 und § 4 Nr. 16 UStG 1980. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, durch das Richtlinien der EG umgesetzt worden sind, ergibt sich bereits daraus, dass der nationale Gesetzgeber mit dem Erlass der nationalen Normen die Vorgaben der Richtlinie umsetzen wollte; sie folgt aber auch aus der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung der Gerichte und der sonstigen Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Zieles erforderlichen Maßnahmen zu treffen (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. z.B. Urteil vom 18. Dezember 1997 Rs. C-129/96, Inter-Environnement Wallonie, Slg. 1997, I-7411 Randnr. 40).
§ 4 Nr. 14 UStG 1980 beruht ―soweit für den Streitfall von Interesse― auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG (so auch die Regierungsbegründung zu § 4 Nr. 14 UStG 1980) und § 4 Nr. 16 UStG 1980 auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG.
Die Bestimmungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG lauten:
"(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer
…
b) die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden."
Der EuGH hat sich wiederholt mit dem Verhältnis zwischen beiden Befreiungstatbeständen befasst. Im Urteil vom 23. Februar 1988 Rs. 353/85, Kommission/Vereinigtes Königreich (Slg. 1988, 817 Randnrn. 32 und 33) stellte der EuGH fest, dass nach Art. 13 Teil A Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG Leistungen zu befreien sind, die aus einer Gesamtheit von ärztlichen Heilbehandlungen bestehen, die üblicherweise ohne Gewinnerzielungsabsicht in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung, wie z.B. zum Schutz der menschlichen Gesundheit, erbracht werden, während nach Art. 13 Teil A Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG Leistungen zu befreien sind, die außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden. Hieran anknüpfend führte er im Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH (Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst ―DStRE― 2002, 1196 Randnr. 36) aus, die Buchst. b und c des Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, deren Anwendungsbereiche unterschiedlich seien, bezweckten eine abschließende Regelung der Steuerbefreiungen für Leistungen der Heilbehandlung im engeren Sinne; nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b dieser Bestimmung sollten alle Leistungen steuerfrei sein, die in Krankenhäusern erbracht würden, während nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c diejenigen Heilbehandlungen steuerfrei sein sollten, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort erbracht würden. Zuletzt hat er in der Rechtssache in UR 2003, 584 Randnr. 47 wiederholt, dass solche Leistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG zu befreien sind, die aus einer Gesamtheit von ärztlichen Heilbehandlungen in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung wie der des Schutzes der menschlichen Gesundheit bestehen, während Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c dieses Absatzes auf Leistungen anwendbar ist, die außerhalb von Krankenhäusern im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden.
Demnach sind Umsätze der Krankenhäuser, auch soweit sie die ärztliche Heilbehandlung und sonstige medizinische Leistungen einschließen, grundsätzlich nur dann steuerfrei, wenn sie die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 i.V.m. § 67 AO 1977 erfüllen; die Befreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 findet auf sie grundsätzlich keine Anwendung. So ist es auch im Streitfall. Der Grenzfall des § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG 1980, dass ein Arzt ein Krankenhaus betreibt, liegt nicht vor (vgl. oben unter 6.). Hinzu kommt, dass nach dieser Vorschrift nur die ärztlichen Leistungen des das Krankenhaus betreibenden Arztes unabhängig von den in § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 bezeichneten Voraussetzungen steuerfrei sind, nicht aber die sonstige Heilbehandlung im Krankenhaus (z.B. durch Krankenschwestern, Arzthelferinnen, Laboranten, Physiotherapeuten und das Krankenhaus nicht betreibende angestellte Ärzte).
9. Der Senat lässt dahingestellt, inwieweit ein Steuerpflichtiger gegen die richtlinienkonforme Auslegung einer Steuernorm einwenden kann, diese verletze ihn in seinen Grundrechten (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, sog. Solange II-Beschluss und Ahlt/Deisenhofer, Europarecht, 3. Aufl., München 2003, S. 54 f.; Kellersmann, UR 2000, 505). Der Senat ist nämlich der Auffassung, dass die Klägerin durch die Besteuerung der streitbefangenen Umsätze nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird, da es unabhängig von ihrer Rechtsform Gründe gibt, die ärztliche Heilbehandlung eines Krankenhauses unter den in § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG genannten Bedingungen von der Umsatzsteuerbefreiung auszunehmen.
Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich.
Der Senat ist mit dem BVerfG der Ansicht, dass es gegen das Gleichbehandlungsgebot nach dieser Vorschrift verstoßen würde, der Klägerin lediglich mit Hinweis auf ihre Rechtsform die begehrte Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 zu versagen. Auch nach der Rechtsprechung des BFH ist die Steuerbefreiung aus der Tätigkeit eines Angehörigen der in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 bezeichneten Berufe nicht auf die Person des jeweiligen Berufsträgers beschränkt, sondern kann auch von einer Personen- oder einer Kapitalgesellschaft beansprucht werden (BFH-Urteile vom 26. August 1993 V R 45/89, BFHE 172, 223, BStBl II 1993, 887, für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ―GbR― für Krankenpflege; vom 13. Juli 1994 XI R 90/92, BFHE 176, 63, BStBl II 1995, 84, für eine GbR mit Massagepraxis; vom 25. März 1999 V R 29/97, UR 1999, 500; vom 4. März 1998 XI R 53/96, UR 1998, 279, für eine Zahnarzt-GmbH; Vorlagebeschluss vom 14. Dezember 2000 V R 54/98, BFH/NV 2001, 565, für eine gemeinnützige Stiftung privaten Rechts). Dem entspricht auch die Rechtsprechung des EuGH; nach ihr ist die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG unabhängig von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt (vgl. zuletzt EuGH-Urteil in UR 2003, 584).
Der entscheidende Grund, der es rechtfertigt, die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 generell zu befreien und die Umsätze eines Krankenhauses, auch soweit es um die ärztliche Behandlung geht, nur zu befreien, wenn sie von gemeinnützigen Krankenhäusern nach Maßgabe des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 erbracht werden, liegt deshalb nicht in der Rechtsform des Leistenden. Vielmehr wird die Unterscheidung dadurch gerechtfertigt, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 regelmäßig außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden, während die ärztliche Behandlung durch Krankenhäuser regelmäßig aus einer ―wie der EuGH sagt― Gesamtheit von ärztlichen Heilbehandlungen besteht, die in einer Vielzahl sonstiger Krankenhausleistungen eingebettet sind und mit diesen einheitlich umsatzsteuerrechtlich behandelt werden müssen. Es erscheint im Rahmen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit sachgerecht, dass er die Leistungen der Krankenhäuser nur dann gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 befreit, wenn sie in besonderem Maße sozial schützenswerten Patienten zugute kommen.
10. Diesem Ergebnis steht das im Streitfall ergangene Urteil des BVerfG in BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160 nicht entgegen.
Das BVerfG hat in dieser Entscheidung dem Senat ausdrücklich aufgegeben zu prüfen, ob es andere, außerhalb der Rechtsform einer gewerblich tätigen Gesellschaft liegende Gründe, gibt, die ärztlichen Leistungen der Klägerin von der Umsatzsteuerbefreiung auszunehmen (vgl. B. II. 2. der Gründe). Ein solcher Grund ist ―wie dargelegt― gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1153632 |
BFH/NV 2004, 1051 |
BStBl II 2004, 677 |
BFHE 2004, 503 |
BFHE 204, 503 |
BB 2004, 1266 |
DB 2004, 1410 |
DStRE 2004, 778 |
DStZ 2004, 428 |
HFR 2004, 778 |
UR 2004, 421 |