Leitsatz (amtlich)
Die Kosten für die Herstellung eines zum Anlagevermögen gehörenden Wohngebäudes sind nicht nach § 32 KohleG prämienbegünstigt, wenn der Zeitpunkt der Fertigstellung des Gebäudes nicht nach dem 30. April 1967 (Beginn des Begünstigungszeitraums) liegt. Unter Fertigstellung ist nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen die Bezugsfertigkeit des Wohngebäudes in dem Sinne zu verstehen, daß das Gebäude nach Abschluß der wesentlichen Bauarbeiten bewohnbar ist.
Normenkette
KohleG § 32
Tatbestand
Streitig ist, ob für ein in den Jahren 1966 und 1967 errichtetes Wohngebäude (Hochhaus) die Investitionsprämie nach § 32 des Kohlegesetzes (KohleG) zu gewähren ist.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine OHG - betreibt in H, das zum Kohlebergbaugebiet gehört, eine Maschinenfabrik. In der Zeit vom 1. Mai 1967 bis zum 31. Dezember 1971 erweiterte die Klägerin ihren Betrieb mit einem Kostenaufwand von ... DM. In den Jahren 1966 und 1967 errichtete die Klägerin einen Wohnkomplex mit ... Wohnungseinheiten, die in ihrem Anlagevermögen ausgewiesen werden. Hierzu gehört ein Hochhaus mit ... Wohnungseinheiten unterschiedlicher Größe, mit Praxisräumen für einen Arzt sowie ... Garagen. Dem Hochhaus ist ein besonderer Gebäudeteil angegliedert, in dem ein Ladenlokal und eine Gaststätte untergebracht sind. Die baupolizeiliche Schlußabnahme des Hochhauses fand am 15. März 1967 statt.
Am 28. Februar 1969 erteilte der Bundesbeauftragte für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlenbergbaugebiete (Bundesbeauftragter) die Bescheinigung gemäß § 32 Abs. 2 KohleG, daß die Erweiterung für einen Betrag von ... DM im Fertigungsbereich und die Baukosten für ... Werkswohnungen, insgesamt ... DM, förderungswürdig seien. Zur Auflage wurde gemacht, daß wenigstens 20 neue Arbeitsplätze für qualifizierte Mitarbeiter geschaffen und von den anderweitig belegten Werkswohnungen eine bestimmte Anzahl für die neueinzustellenden Mitarbeiter reserviert würden. Die Auflagen wurden in einer weiteren Bescheinigung aus dem Jahre 1974 aufgehoben.
Nach den Feststellungen des FG waren die Mietverträge mit den Mietern des Hochhauses teils vor, teils nach dem 30. April 1967 abgeschlossen worden. Die Mieter waren teils vor, teils nach diesem Stichtag eingezogen. Die Gastwirtschaft eröffnete am 1. Mai 1967 und das Ladenlokal am 1. November 1967. Mieter der Wohnungen waren überwiegend Betriebsangehörige der Klägerin. Neun der größeren Wohnungen hatte die Klägerin zunächst an betriebsfremde Personen vermietet. Am 30. April 1967 waren rd. 70 v. H. der Malerarbeiten erledigt. Die Wohnungen mußten teilweise noch tapeziert werden; die Türen waren nur vorgestrichen, und es fehlte der Anstrich im Treppenhaus sowie die Beschichtung der Treppengeländerhandläufe. Einbauschränke und Einlegeböden waren noch nicht angebracht, die Fußbodenleisten fehlten teilweise, und in einigen Räumen mußten Teile des Fußbodenbelages noch verlegt oder wegen mangelhafter Ausführung nachgebessert werden. In der Wohnung eines Mieters waren noch nicht sämtliche Lichtschalter und Steckdosen angebracht. Es fehlten z. B. die Anschlüsse für Waschmaschine und Kühlschrank und die Außensteckdosen des Balkons. Ferner waren am 30. April 1967 die Kellerräume der Mieter noch nicht abgeteilt, der Hausbriefkasten fehlte und die Waschküche konnte nicht benutzt werden, da die Anschlüsse noch nicht installiert waren. Im Außenbereich des Hochhauses fehlten die Verkleidungen der Balkonbrüstungen. Ein Baustellenaufzug war noch nicht abmontiert.
Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1972 vertrat der Prüfer die Auffassung, daß die Klägerin die Investitionsprämie nach § 32 KohleG für die Wohnungen des Hochhauses nicht beanspruchen könne, da es mit großer Wahrscheinlichkeit im wesentlichen schon im April 1967 fertiggestellt und zu mehr als 10 v. H. der gesamten Nutzfläche fremden Mietern überlassen worden sei. Das damals zuständige Finanzamt (FA) folgte in dem gemäß § 222 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigten einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid 1967 der Auffassung des Prüfers und versagte die beantragte Kohleprämie für die Wohnungen in dem Hochhaus. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies nach einer Beweisaufnahme die Klage ab. Es führte aus, das Hochhaus sei nicht, wie § 32 Abs. 3 Nr. 2 KohleG verlange, nach Beginn des Begünstigungszeitraums - nach dem 30. April 1967 - fertiggestellt worden. Es sei schon am 30. April 1967 fertig gewesen. Der Begriff der Fertigstellung sei nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts zu bestimmen. Unter Fertigstellung sei der Zeitpunkt zu verstehen, in dem ein Gebäude seiner Zweckbestimmung entsprechend in Benutzung genommen werden könne. Das sei der Fall, wenn die Räume bewohnbar seien. Das Hochhaus der Klägerin sei am 30. April 1967 bewohnbar gewesen und tatsächlich auch bewohnt worden. Bei den Bauarbeiten, die erst nach dem 30. April 1967 abgeschlossen worden seien, habe es sich um Arbeiten von untergeordneter Bedeutung gehandelt, die bei einem Wohnungsneubau üblicherweise immer erst in Verbindung mit dem Einzug der Bewohner abgeschlossen würden.
Gegen die Entscheidung des FG wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt Verletzung des § 32 KohleG und führt aus, das FG habe den Begriff der Fertigstellung rechtsfehlerhaft der Rechtsprechung zu § 7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) entnommen. Damit solle der frühestmögliche Zeitpunkt bestimmt werden, von dem ab mit den Sonderabschreibungen nach dieser Vorschrift begonnen werden könne. Bei der Auslegung des § 32 KohleG sei der Begriff der Fertigstellung der Verkehrsauffassung zu entnehmen. Ein Gebäude sei erst dann fertiggestellt, wenn alle zur Errichtung geplanten und erforderlichen Arbeiten abgeschlossen seien und wenn ein neuerrichtetes Wohngebäude den vom Vermieter zugesicherten vertraglichen Zustand erreicht habe. Das alles habe im Streitfall nicht vorgelegen. Die Kosten für Arbeiten, die nach dem 30. April 1967 ausgeführt worden seien, gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes und könnten nicht unter den Begriff der nachträglichen Herstellungskosten eingeordnet werden. Bei den schon vor dem 30. April 1967 eingezogenen Mietern habe es sich um Betriebsangehörige gehandelt, die für bauliche Terminverzögerungen mehr Verständnis aufbrächten als fremde Mieter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der Klägerin kann eine Investitionsprämie in Höhe von 10 v. H. der Herstellungskosten für das Hochhaus nicht gewährt werden.
a) Die Investitionsprämie nach § 32 Abs. 1 KohleG setzt voraus, daß Steuerpflichtige, die den Gewinn aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 5 EStG ermitteln, nach dem 30. April 1967 in einem Steinkohlenbergbaugebiet eine Betriebstätte errichtet oder erweitert haben. Die Prämie wird gewährt für die nach dem 30. April 1967 und vor dem 1. Januar 1972 (Begünstigungszeitraum) im Zusammenhang mit der Errichtung oder Erweiterung der Betriebstätte angeschafften oder hergestellten abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Hat eine Personenhandelsgesellschaft eine Betriebstätte in einem Steinkohlenbergbaugebiet errichtet oder erweitert, ist im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren über die Gewährung der Investitionsprämie und ihre Verteilung auf die Gesellschafter zu entscheiden. Das ergibt sich aus § 32 Abs. 5 KohleG (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. August 1974 I R 251/73, BFHE 114, 140, BStBl II 1975, 219). Der Antrag auf Gewährung der Investitionsprämie kann auch noch im Rahmen einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gestellt werden (BFH-Urteil vom 13. Februar 1974 I R 114/72, BFHE 111, 420, BStBl II 1974, 317). Das damals zuständige FA hatte daher bei der Berichtigung der einheitlichen Gewinnfeststellung 1967 über die Gewährung der Investitionsprämie zu entscheiden.
b) Es kann zweifelhaft sein, ob das Hochhaus, mit dessen Bau nach den Feststellungen des FG schon im Jahre 1966 begonnen worden ist, im Zusammenhang mit der Erweiterung der Betriebstätte der Klägerin hergestellt worden ist, wie § 32 Abs. 1 Satz 1 KohleG verlangt. Die Bescheinigung des Bundesbeauftragten, die sich auch auf die Errichtung von ... Werkswohnungen bezieht, spricht zwar dafür. Das FG hat dazu aber keine näheren Feststellungen hinsichtlich des Zusammenhangs gerade dieser Baumaßnahme mit den anderweitigen und ... DM betragenden Investitionen zur Erweiterung der Betriebstätte der Klägerin getroffen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das gesetzliche Merkmal des Zusammenhangs des Baues des Hochhauses mit der Erweiterung der Betriebstätte gegeben ist. Selbst wenn das der Fall ist, fehlt es bei der Herstellung des Hochhauses an den zeitlichen Voraussetzungen, die in § 32 Abs. 1 Satz 1 KohleG für die Gewährung der Investitionsprämie aufgestellt sind.
c) Nach dem Gesetz muß nicht nur die Errichtung oder Erweiterung der Betriebstätte nach dem 30. April 1967 liegen, es muß auch die im Zusammenhang mit der Errichtung oder Erweiterung der Betriebstätte stehende Anschaffung oder Herstellung der abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens ebenfalls in die Zeit nach dem 30. April 1967 fallen.
Die Begriffe Anschaffung und Herstellung eines Wirtschaftsguts sind dem Einkommensteuerrecht entnommen. Sie müssen deshalb auch im einkommensteuerrechtlichen Sinn, hier also i. S. der §§ 6, 7 EStG, verstanden werden, sofern sich aus dem Kohlegesetz nichts anderes ergibt. Aus dem erkennbaren Zweck des Kohlegesetzes und seiner Entstehungsgeschichte läßt sich für die genannte Begriffsbestimmung nichts Gegenteiliges folgern (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1975 IV R 79/74, BFHE 115, 335, BStBl II 1975, 510, das sich eingehend mit der Auslegung des im Kohlegesetz verwendeten Begriffs des Wirtschaftsguts befaßt).
d) Einkommensteuerrechtlich ist als Zeitpunkt der Anschaffung eines Wirtschaftsguts der Zeitpunkt der Lieferung, als Zeitpunkt der Herstellung eines Wirtschaftsguts der Zeitpunkt seiner Fertigstellung anzusehen (vgl. § 9 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -; BFH-Urteil vom 15. Juli 1977 III R 62/75, BFHE 123, 275, BStBl II 1977, 845). Von der Fertigstellung geht auch § 32 KohleG aus, soweit die Begünstigung der Herstellung unbeweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens in Rede steht; denn es bestimmt in dessen Abs. 3 Nr. 2, daß Bemessungsgrundlage für die Investitionsprämie die Herstellungskosten für diese Wirtschaftsgüter sind, die im Begünstigungszeitraum in einem Steinkohlebergbaugebiet "fertiggestellt" worden sind. Zwar sind nach der Fertigstellung eines unbeweglichen Wirtschaftsguts aufgewandte Kosten für Baumaßnahmen, die das Wirtschaftsgut in seiner Substanz vermehren, in seinem Wesen verändern oder über seinen bisherigen Zustand hinaus verbessern, nachträgliche Herstellungskosten i. S. der §§ 6, 7 EStG. Nachträgliche - nach der Fertigstellung liegende - Herstellungskosten werden aber, worauf in der Entscheidung in BFHE 115, 335, BStBl II 1975, 510 hingewiesen worden ist, von § 32 Abs. 3 Nr. 2 KohleG nicht erfaßt.
e) Diese Entscheidung besagt aber weiterhin auch etwas über den in der genannten Vorschrift verwendeten Begriff der Fertigstellung: Ein Wirtschaftsgut ist fertiggestellt, wenn es seiner Bestimmung gemäß nutzbar ist; ein Gebäude ist fertiggestellt, wenn die wesentlichen Bauarbeiten abgeschlossen sind und der Bau soweit gefördert ist, daß das Gebäude für den Betrieb nutzbar ist. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Im Streitfall geht es um ein zum Anlagevermögen gehörendes und Wohnzwecken dienendes Gebäude. Zum Begriff der Fertigstellung eines Wohngebäudes hat der BFH im Zusammenhang mit § 7 b EStG mehrfach Stellung genommen (vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung in dem BFH-Urteil vom 11. März 1975 VIII R 23/70, BFHE 115, 449, BStBl II 1975, 659). Danach ist unter Fertigstellung die Bezugsfertigkeit in dem Sinn zu verstehen, daß das Gebäude nach Abschluß der wesentlichen Bauarbeiten bewohnbar ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht kein Anlaß, den Begriff der Fertigstellung bei Wohngebäuden für Zwecke des Kohlegesetzes anders zu bestimmen. Das Abstellen auf die Bewohnbarkeit erlaubt eine Beurteilung nach objektiven Merkmalen. Eine Entscheidung nach diesen Kriterien ist nicht nur von Bedeutung, wenn darüber zu befinden ist, ob das Wohngebäude kurz vor oder nach Beginn des Begünstigungszeitraumes fertiggestellt worden ist, sondern auch dann, wenn Fälle zu beurteilen sind, in denen die Fertigstellung vor Ablauf des Begünstigungszeitraums oder vor Ablauf der in § 32 Abs. 3 Nr. 3 KohleG genannten Zeit von zwei Jahren nach Beendigung des Begünstigungszeitraums fraglich ist.
f) Für die Bezugsfertigkeit von Wohnungen in einem Gebäude ist maßgebend, von welchem Zeitpunkt ab das Beziehen der Wohnung nach objektiven Merkmalen zumutbar ist. Die Entscheidung dieser Frage liegt vorwiegend auf tatsächlichem Gebiet. Das FG hat in dieser Hinsicht umfassende Ermittlungen angestellt. Es hat festgestellt, daß das Hochhaus der Klägerin schon vor dem 30. April 1967 bewohnbar war und auch tatsächlich bewohnt worden ist und daß nach diesem Stichtag nur noch kleinere Arbeiten oder solche Arbeiten angefallen sind, die üblicherweise erst nach dem Einzug der Mieter erledigt werden. Diese Feststellungen hat die Klägerin mit einer Verfahrensrüge nicht angegriffen. Sie sind daher für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Waren somit die Wohnungen des Hochhauses vor dem 30. April 1967 bewohnbar, so war das Gebäude vor diesem Stichtag bezugsfertig und damit fertig- und auch hergestellt. Da der Zeitpunkt der Fertigstellung i. S. einer Herstellung des Gebäudes von entscheidender Bedeutung ist und dieser Zeitpunkt im Streitfall vor dem Beginn des Begünstigungszeitraums des § 32 KohleG liegt, haben FA und FG zu Recht die Gewährung der Investitionsprämie abgelehnt.
Fundstellen
BStBl II 1980, 365 |
BFHE 1980, 24 |