Leitsatz (amtlich)
1. Wer bewußt, wenn auch infolge eines Irrtums über die materielle Rechtslage, die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung verstreichen läßt, handelt nicht entschuldbar i.S. des § 152 Abs.1 AO 1977.
2. Die in § 152 Abs.2 Satz 2 AO 1977 genannten Ermessenskriterien sind grundsätzlich gleichwertig. Die Erzielung eines finanziellen Vorteils durch verspätete Abgabe der Steuererklärung ist keine unbedingte Voraussetzung für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags.
Orientierungssatz
1. Verspätungszuschläge sind ein spezielles Druckmittel zur Abgabe der Steuererklärung. Sie dienen der Sicherung des ordnungsgemäßen Ganges des Veranlagungsverfahrens. Das Ergebnis der Steuerfestsetzung kann erst bei der Höhe der Bemessung des Verspätungszuschlags berücksichtigt werden. Die für die Bemessung maßgebenden Erwägungen müssen im Festsetzungsbescheid, spätestens aber in der Beschwerdeentscheidung begründet werden, da andernfalls die Ermessensentscheidung der Verwaltung in der Regel rechtsfehlerhaft ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Bei erheblicher Überschreitung der Frist zur Abgabe der Steuererklärung oder bei schwerwiegendem Verschulden kann ein Verspätungszuschlag auch dann gerechtfertigt sein, wenn die Steuerfestsetzung zu keiner Nachzahlung, sondern zu einer Erstattung führt (vgl. BFH-Urteil vom 31.7.1987 VI R 193/85).
3. Die Überschreitung der Frist zur Abgabe der Steuererklärung ist entschuldbar, wenn der Steuerpflichtige oder sein Vertreter die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zuzumutende Sorgfalt nicht außer acht gelassen hat (vgl. BFH-Urteil vom 25.1.1962 IV 161/60).
Normenkette
AO 1977 § 152 Abs. 1, 2 S. 2, § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 02.02.1984; Aktenzeichen XI 412/83) |
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) forderte den durch einen Steuerberater vertretenen Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit Verfügung vom 29.April 1982 zur vorzeitigen Abgabe der Einkommensteuererklärung 1981 auf, da sich aufgrund der Einkommensteuerveranlagung 1980 eine erhebliche Abschlußzahlung ergeben hatte. Zusätzlich erhöhte das FA mit Verfügung vom 23.August 1982 die Vorauszahlungen für 1981. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 30.September 1982, die Frist zur Abgabe der Steuererklärung 1981 bis zum 28.Februar 1983 zu verlängern. Dies lehnte das FA ab, verlängerte aber die Frist nach weiteren Anträgen des Klägers bis zum 31.Dezember 1982. Den Antrag, die Frist bis zum 5.März 1983 zu verlängern, lehnte das FA ab. Am 2.März 1983 ging die Steuererklärung des Klägers beim FA ein. Die Steuerveranlagung führte zu einer erheblichen Einkommensteuererstattung. Im Einkommensteuerbescheid vom 28.April 1983 setzte das FA zugleich einen Verspätungszuschlag in Höhe von 1 000 DM fest.
Die dagegen eingelegte Beschwerde war erfolglos. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) durch in Entscheidungen der Finanzgerichte 1984, 429 veröffentlichtes Urteil die Zuschlagsfestsetzung auf.
In der vom Bundesfinanzhof (BFH) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe den doppelten Zweck des § 152 der Abgabenordnung (AO 1977) verkannt. Neben der Abgeltung von Zinsvorteilen bezwecke die Vorschrift, den ordnungsgemäßen Gang der Veranlagung zu gewährleisten.
Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Entgegen der Auffassung des FG durfte das FA den Verspätungszuschlag gegen den Kläger festsetzen.
a) Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann die Finanzbehörde nach pflichtgemäßer Ermessensausübung durch Verwaltungsakt einen Verspätungszuschlag festsetzen, sofern das Versäumnis nicht entschuldbar erscheint (§ 152 Abs.1 Sätze 1 und 2 AO 1977). Es ist entschuldbar, wenn der Kläger oder sein Vertreter die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zuzumutende Sorgfalt nicht außer acht gelassen hat (BFH-Urteil vom 25.Januar 1962 IV 161/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 29).
b) Nach den Feststellungen des FG wurde die Abgabefrist bis zum 31.Dezember 1982 verlängert, ein darüber hinausgehender Fristverlängerungsantrag des Klägers wurde abgelehnt. Die Einkommensteuererklärung wurde nicht fristgemäß eingereicht, sondern erst am 2.März 1983 dem FA zugeleitet.
c) Das Versäumnis des Klägers war, wie das FG zu Recht angenommen hat, nicht entschuldbar i.S. des § 152 Abs.1 Satz 2 AO 1977. Wie beim Begriff des Verschuldens in § 110 AO 1977 kommt es hier darauf an, ob der Beteiligte die Frist verstreichen lassen wollte oder nicht. Der Kläger hat die Frist bewußt verstreichen lassen, wenn auch möglicherweise infolge eines Rechtsirrtums über die materielle Rechtslage, nämlich darüber, daß er glaubte, ein Verspätungszuschlag werde bei einer zu erwartenden Erstattung nicht festgesetzt. Ein solcher Irrtum rechtfertigt es ebensowenig wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BFH-Beschluß vom 24.November 1970 II B 42/70, BFHE 100, 438, BStBl II 1971, 110), von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abzusehen. Verspätungszuschläge sind ein spezielles Druckmittel zur Abgabe der Steuererklärung (BFH-Beschluß vom 3.Mai 1979 I B 9/79, nicht veröffentlicht --NV--). Sie dienen der Sicherung des ordnungsgemäßen Ganges des Veranlagungsverfahrens (BFH-Urteil vom 17.Februar 1983 V R 114/77, NV). Das Ergebnis der Steuerfestsetzung und damit auch der irrige oder gerechtfertigte Glaube an ein bestimmtes Ergebnis (z.B. eine Erstattung) kann nach dem Gesetz erst bei der Höhe der Bemessung des Verspätungszuschlags berücksichtigt werden.
2. Entgegen der Ansicht des FG handelte das FA bei der Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlags nicht ermessensfehlerhaft.
a) Nach § 152 Abs.2 Satz 2 AO 1977 sind bei der Bemessung des Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Festsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Die für die Bemessung des Verspätungszuschlags maßgebenden Erwägungen müssen in dem Festsetzungsbescheid, spätestens aber in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf begründet werden (§ 121 Abs.1, § 126 Abs.1 Nr.2 und Abs.2 AO 1977). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens maßgebenden Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein (BFH-Urteil vom 3.Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Andernfalls ist die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Regelfall rechtsfehlerhaft (BFH-Urteile vom 30.April 1987 VII R 48/84, BFHE 149, 511, BStBl II 1988, 170; vom 8.Dezember 1988 V R 169/83, BFHE 155, 46, BStBl II 1989, 231). Bei der Bemessung der Höhe darf sich die Finanzbehörde nicht in erster Linie an der festgesetzten Steuer bzw. den zu versteuernden Einkünften orientieren. Vielmehr sind sämtliche in § 152 Abs.2 Satz 2 AO 1977 aufgeführten Ermessenskriterien im Einzelfall zu berücksichtigen. Die in § 152 Abs.2 Satz 1 AO 1977 vorgenommene Begrenzung auf 10 v.H. der festgesetzten Steuer ist nur der äußerste Rahmen möglichen Verwaltungshandelns, gibt aber keine Richtlinie für die konkrete Bemessung des Zuschlags im Einzelfall.
Die Auffassung, mit dem Zuschlag sei in erster Linie der Zinsvorteil abzuschöpfen, trifft nicht zu. Die im Gesetz genannten Ermessenskriterien sind grundsätzlich gleichwertig (vgl. Urteil vom 25.November 1988 VI R 137/85, BFH/NV 1989, 279). So kann bei erheblicher Fristüberschreitung oder schwerwiegendem Verschulden auch dann ein Verspätungszuschlag gerechtfertigt sein, wenn die Steuerfestsetzung zu keiner Nachzahlung, sondern zu einer Erstattung geführt hat (vgl. BFH-Urteil vom 31.Juli 1987 VI R 193/85, BFH/NV 1988, 282). Die Erzielung eines Zinsvorteils ist keine unbedingte Voraussetzung für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (vgl. Urteil in BFH/NV 1988, 282).
b) Das FG ist zu Unrecht von einer anderen Auffassung ausgegangen. Insbesondere ist es nicht richtig, den Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Erklärung anzuhalten, nur als Nebenzweck i.S. des § 152 Abs.2 Satz 2 AO 1977 zu werten. Das Gesetz geht von einer Gleichwertigkeit aus.
Angesichts der erheblichen Fristüberschreitung (mehr als zwei Monate), der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und seines Verschuldens bzw. des Verschuldens seines Vertreters hielt die Finanzverwaltung in der Beschwerdeentscheidung ermessensfehlerfrei auch unter Berücksichtigung des Erstattungsbetrages einen Verspätungszuschlag in Höhe von 1 000 DM für gerechtfertigt. Nach alledem wurden bei der Bemessung des Verspätungszuschlags die gesetzlichen Bemessungskriterien in ermessensgerechter Weise gehandhabt. Ob man das Ermessen auch in anderer Weise hätte ausüben können, war vom erkennenden Senat aufgrund der ihm von § 102 FGO gezogenen Grenzen nicht zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 30.April 1987 IV R 42/85, BFHE 149, 429, 432, BStBl II 1987, 543).
3. Die Vorentscheidung, die mit der oben dargelegten Rechtsauffassung des Senats nicht übereinstimmt, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, da die Bemessung des Verspätungszuschlags der Höhe nach, wie unter 2. ausgeführt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 62751 |
BFH/NV 1989, 31 |
BStBl II 1989, 693 |
BFHE 157, 14 |
BB 1989, 1613-1613 (L) |
DB 1989, 1956 (LT) |
HFR 1989, 589 (LT) |