Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von 15 v.H. der Vollrente ab 1. Juni 1976 zu gewähren hat.
Der Kläger leidet an einer beiderseitigen Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit mit einer MdE von 15 v.H. Er bezieht seit Jahren eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einer MdE von 40 v.H. Die Beklagte lehnte eine Verletztenrente ab, weil die Lärmschwerhörigkeit nur eine MdE von 15 v.H. bedinge und die Versorgungsrente zu Unrecht gezahlt werde (Bescheid vom 25. August 1958).
Während das Sozialgericht (SG) Hannover die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 18. Dezember 1978), hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Beklagte unter Aufhebung dieses Urteils und in Abänderung des Bescheides verurteilt, dem Kläger ab 1. Juni 1976 Verletztenrente in Höhe von 15 v.H. der Vollrente zu zahlen; die weitergehende Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen (Urteil vom 26. September 1979).
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 581 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Nach § 581 Abs. 3 Satz 1 RVO ist für jeden, auch einen früheren Arbeitsunfall Verletztenrente zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert ist und die Hundertsätze der durch die einzelnen Arbeitsunfälle verursachten Minderung zusammen wenigstens die Zahl zwanzig erreichen. Die Folgen eines Arbeitsunfalles sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern, (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Den Arbeitsunfällen stehen u.a. Unfälle oder Entschädigungsfälle nach dem BVG gleich (§ 581 Abs. 3 Satz 3 RVO).
Die beiderseitige Schwerhörigkeit des Klägers ist mit einer MdE von 15 v.H. zu bewerten. Die Schwerhörigkeit ist daher nach § 581 Abs. 3 Sätze 1 und 2 RVO nur zu berücksichtigen und zu berenten, wenn sie zusammen mit den fortdauernden Folgen eines früheren Arbeitsunfalles (Beschädigung) wenigstens die Zahl zwanzig erreicht. Das LSG hat seiner Entscheidung zutreffend eine MdE von 40 v.H., bedingt durch eine Schädigung nach dem BVG zugrundegelegt. Soweit die Beklagte demgegenüber meint, sie sei allein dafür zuständig und dazu berufen, die durch die frühere Beschädigung bedingte und anerkannte MdE unabhängig von der Feststellung der Versorgungsbehörde eigenständig nach den tatsächlichen Verhältnissen festzulegen, ist dem nicht zuzustimmen. Die Beklagte läßt nämlich unbeachtet, daß nach den §§ 1 und 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) vom 2. Mai 1955 (BGBl. I, 202) i.d.F. vom 10. März 1975 (BGBl. I, 685) i.V.m. § 24 Abs. 2 SGB 1 grundsätzlich die Versorgungsämter für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständig sind. Sie erlassen mit der Bekanntgabe wirksame, in der Sache bindende Verwaltungsakte (§ 24 KOVVfG), die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nur von ihnen geändert oder auf gehoben werden können (§ 62 BVG, §§ 40, 41, 42 KOVVfG). Die Bestandskraft der so erlassenen Verwaltungsakte kommt in ihrer materiellen Gestaltungswirkung der materiellen Rechtskraft von Urteilen nahe; sie ist ihnen wesensverwandt (BSGE 15, 121 ff.; 18, 26; 18, 84, 89), bindet allerdings nur hinsichtlich des Entscheidungs- (Verfügungssatzes), nicht jedoch hinsichtlich der Gründe des Ausspruches, die aber u.U. zur Auslegung heranzuziehen sind (BSGE 24, 240). Diese durch § 77 SGG bedingte Bindung erstreckt sich mit ihrer Tatbestandswirkung auf alle Beteiligten (Betroffenen), in deren Rechtssphäre der Verwaltungsakt eingreift, also nicht nur auf die in § 69 SGG für das Gerichtsverfahren genannten Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 32. Nachtrag zur 4. Aufl., § 77 Anm. 4c). Durch die Gleichstellung von Arbeitsunfällen und Entschädigungsfällen in § 581 Abs. 3 Satz 3 RVO wird der Unfallversicherungsträger hinsichtlich des Verfügungssatzes durch Entscheidungen der dafür zuständigen Stellen mitbetroffen und somit an sie gebunden, wenn er auch die Verletztenrente festzustellen hat. Insoweit ist seine Prüfung der Voraussetzungen einer Stützrente eingeschränkt. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 7. März 1969 - 2 RU 53/67 - ausgeführt hat, es komme nicht auf diejenige MdE an, von der die Versorgungsbehörde früher ausgegangen sei, sondern auf diejenige, die im Unfallzeitpunkt noch verblieben war. Das BSG (a.a.O.) hatte nämlich nicht darüber zu entscheiden, wie sich die Rechtslage darstellt, wenn die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes der Versorgungsbehörde im Zeitpunkt des Unfalles noch fortgewirkt hat. Maßgebend ist allein, ob der Verwaltungsakt, der eine frühere Beschädigung betrifft, im Zeitpunkt der Unfallrentengewährung eine Entschädigung weh dem BVG gewährt. Dies ist hier der Fall. Dem Urteil des 2. Senats vom 7. März 1969 - 2 RU 53/67 - ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Der dortige Sachverhalt war anders: Schon vor dem Arbeitsunfall fehlte eine rentenberechtigende und bindende MdE-Feststellung nach dem BVG. Auch der darin enthaltene Hinweis auf das Urteil vom selben Tage - 2 RU 121/66 - (SozR Nr. 5 zu § 581 RVO) rechtfertigt es nicht, eine Bindung an die Entscheidung der Versorgungsbehörde zu verneinen und die MdE selbständig neu zu bewerten (vgl. Brackmann, Handbuch. der. Sozialversicherung, Band II, 1980, S. 570 m). Es sind vielmehr die Fälle zu unterscheiden, in denen eine Entschädigung nach dem BVG im Augenblick der Entscheidung über die Rente aus dem Arbeitsunfall gewährt wird von jenen, die eine Feststellung der MdE wegen der vorgeschriebenen Mindestsätze nicht mit Bindungswirkung ermöglichen (Lauterbach, Unfallversicherung Band II, 1980 S. 581 Nr. 18).
Das bedeutet: Für einen Arbeitsunfall ist ohne weitere Prüfung Rente zu gewähren, wenn seine Folgen eine MdE von mindestens 10 v.H. erreichen und eine Entschädigung nach einem der in § 581 Abs. 3 Satz 3 RVO genannten Gesetze gewährt wird. Sonst besteht keine Bindung an eine im Entschädigungsverfahren geschätzte MdE (Bereiter-Hahn/Schieke, Unfallversicherung 4. Aufl. einschl. 12. Ergänzungslieferung September 1980, § 581 Rd.Nr. 10). Vielmehr ist dann eine durch die Beschädigung bedingte MdE aufgrund eigener Prüfung durch den Unfallversicherungsträger einzustufen (vgl. Urteil des BSG vom 7. März 1969 - 2 RU 53/67 -). Führt diese Einstufung, ebenso wie bei einem Arbeitsunfall, zu einer MdE von mindestens 10 v.H., dann reicht dies zur Stützung der Verletztenrente aus. Danach hat das LSG zu Recht für seine Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente die rechtsverbindliche Entscheidung der Versorgungsbehörde herangezogen. Es hat im Einklang mit § 581 Abs. 3 Satz 3 RVO zutreffend die den Arbeitsunfällen gleichstehenden Entschädigungsfälle, die Entschädigung für Beschädigungen gewähren, ebenso behandelt wie Arbeitsunfälle, die mit bindender Wirkung entschädigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.8/8a RU 94/79
Bundessozialgericht
Fundstellen