Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über das Ruhen eines Anspruchs auf Krankenhilfe während der Untersuchungshaft und des Vollzugs einer Freiheitsstrafe.
Der Kläger bezieht Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und ist Mitglied der Beklagten. Seit Oktober 1979 befand er sich in Untersuchungshaft und verbüßt im Anschluß daran seit dem 16. Dezember 1980 eine Freiheitsstrafe. Er übersandte der Beklagten am 11. September 1980 einen Heil- und Kostenplan für Zahnersatz des Zahnarztes Dr. F… (F.) mit einem Kostenvoranschlag von 8.075,10 DM. Mit Bescheid vom 28. Oktober 1980 übernahm die Beklagte die Kosten des Zahnersatzes nach dem Heil- und Kostenplan zu 80 v.H. unter der Voraussetzung, daß der Zahnersatz innerhalb von 6 Monaten in der vorgesehenen Weise eingegliedert werde. Nachdem der Kläger gebeten hatte, ihm die vollen Kosten zu erstatten, teilte die Beklagte ihm am 7. November 1980 mit, ihre Prüfung habe ergeben, daß er sich in Haft befinde. Sie bat ihn, ihr den genehmigten Heil- und Kostenplan zurückzugeben, da eine Kostenübernahme nicht möglich sei; der Anspruch ruhe nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 1981 zurück. Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) gab der Kläger an, ihm sei von der Strafvollzugsbehörde inzwischen eine Zahnersatzbehandlung gewährt worden, dieser Zahnersatz sei aber minderwertig.
Das SG hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf die Zahnbehandlung nach § 182 Abs. 1 Buchst a RVO ruhe nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Diese Vorschrift sei mit dem Grundgesetz vereinbar. An den Bescheid vom 28. Oktober 1980 sei die Beklagte schon deshalb nicht mehr gebunden, weil der Kläger nicht sichergestellt habe, daß der Zahnersatz innerhalb von 6 Monaten eingegliedert wurde; er habe in der mündlichen Verhandlung einräumen müssen, daß er den Zahnarzt nicht beauftragen konnte, weil er nicht in der Lage war, 20 % der Kosten von 8.075,20 DM zu tragen.
Der Kläger hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO gelte nur für solche Insassen von Vollzugsanstalten, die nicht krankenversichert sind.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Kiel vom 30. Juli 1981 und der Bescheide vom 7. November 1980 und 4. Februar 1981 zu verurteilen, dem Kläger einen Bescheid zu erteilen, nach welchem die Beklagte unter Berücksichtigung des genehmigten Heil- und Kostenplanes von 8.075,20 DM, hilfsweise 80% dieses Betrages, für die Zahnbehandlung des Klägers übernimmt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet. Mit Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid, mit dem die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf den Zuschuß zu den Kosten für Zahnersatz während der Untersuchungshaft und des Vollzugs der Freiheitsstrafe festgestellt hat, ist rechtmäßig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger einen neuen Bescheid über den Zuschuß zu erteilen.
Entgegen der Meinung des Klägers ist der Ruhensbescheid nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der Zuschuß durch den Bescheid vom 28. Oktober 1980 zugesagt war und dieser Bescheid nicht mehr zurückgenommen werden konnte. Das Ruhen des Anspruchs auf Krankenhilfe nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO tritt kraft Gesetzes ein. Obwohl der Kläger sich bereits bei Erlaß des Bescheids vom 28. Oktober 1980 in Untersuchungshaft befand, ist dieser Sachverhalt nicht Gegenstand des Bescheids gewesen. Die Beklagte hat damit keine Entscheidung über das Ruhen getroffen. Sie war daher nicht gehindert, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Rechtsfolge des Ruhens auch noch nachträglich durch den Bescheid vom 7. November 1980 auszusprechen (vgl. BSG SozR 2200 § 625 RVO Nr. 1).
Nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO ruht der Anspruch auf Krankenhilfe, zu der die Zuschüsse zu den Kosten für Zahnersatz gehören (§ 182 Abs. 1 Buchst d RVO), solange sich der Berechtigte in Untersuchungshaft befindet oder gegen ihn eine Freiheitsstrafe vollzogen wird. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift waren beim Kläger gegeben. Auch nach dem Zweck der Vorschrift des § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist das Ruhen des Anspruchs geboten. § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO hat den Zweck, Doppelleistungen zu vermeiden. Nach der früheren Rechtsprechung des Senats folgt aus dieser Zweckbestimmung eine Einschränkung des Ruhens. Der Senat hat am 19. August 1964 entschieden, der Anspruch gegen die Krankenkasse ruhe nicht, wenn der Anstaltsarzt die Behandlung nicht erbringen könnte, weil sie nicht zu den von der Anstalt zu gewährenden Leistungen gehört. In diesen Fällen sei kein Grund vorhanden, die Kassen von ihrer gesetzlichen Leistungspflicht zu entbinden (BSG SozR Nr. 2 zu § 216 RVO).
Im vorliegenden Fall ist nicht ausdrücklich festgestellt, daß die Vollzugsanstalt einen Zahnarzt beschäftigt. Dies kann aber dahingestellt bleiben; unerheblich ist auch, ob die Justizvollzugsanstalt nur eine minderwertige Leistung erbracht hat oder erbringen konnte. Das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Krankenhilfe ist unabhängig von solchen Umständen eingetreten. Seit der Entscheidung des Senats aus dem Jahr 1964 hat sich nämlich die Rechtslage insoweit geändert, als nunmehr der Strafvollzug durch Bundesgesetz geregelt ist. Nach § 58 des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I 581) erhält der Gefangene Krankenpflege von Beginn der Krankheit an; sie umfaßt insbesondere auch zahnärztliche Behandlung sowie Zuschüsse zu den Kosten für Zahnersatz und Zahnkronen oder Übernahme der gesamten Kosten. Für den Umfang der Leistungen zur Krankenpflege gelten die entsprechenden Vorschriften der RVO und die aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen (§ 59 des Strafvollzugsgesetzes). Die Landesjustizverwaltungen bestimmen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften die Höhe der Zuschüsse zu den Kosten für Zahnersatz und Zahnkronen; sie können bestimmen, daß die gesamten Kosten übernommen werden (§ 62 des Strafvollzugsgesetzes).
§ 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist seit dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes dahin auszulegen, daß für das Ruhen des Anspruchs grundsätzlich der Vollzug der Freiheitsstrafe genügt. Nach wie vor ist es zwar Zweck der Vorschrift, Doppelleistungen zu vermeiden. Auf diese Zweckbestimmung braucht aber nicht bei der Auslegung der Bestimmung im einzelnen Fall zurückgegriffen zu werden, denn im Strafvollzugsgesetz ist die Krankenpflege für die Gefangenen allgemein den Vollzugsbehörden übertragen worden, gegen die der Gefangene einen entsprechenden Leistungsanspruch hat. Für das Ruhen des Anspruchs nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist es unerheblich, ob der Anspruch des Gefangenen nach dem Strafvollzugsgesetz völlig demjenigen nach der RVO gleicht. Den Landesjustizverwaltungen ist einerseits für die Bestimmung des Zuschusses keine Höchstgrenze vorgeschrieben wie in § 182 c Satz 2 RVO. Andererseits können die Krankenkassen in besonderen Härtefällen den vom Versicherten zu zahlenden Restbetrag ganz oder teilweise übernehmen, während im Strafvollzugsgesetz geregelt ist, daß die Gesamtkosten übernommen werden können. Die Krankenkassen sind nicht im Hinblick auf die mindestens im Wortlaut bestehenden Unterschiede der Vorschriften verpflichtet, etwa die Leistungen der Vollzugsbehörde aufzustocken. Vielmehr ist die Krankenpflege der Gefangenen insgesamt den Vollzugsbehörden übertragen, deren umfassende Zuständigkeit diejenige der Krankenkassen ausschließt. Die Behauptung des Klägers, der Anstaltszahnarzt dürfe ihm den Zahnersatz nicht verordnen, da die Vollzugsanstalt nur für primitivsten und allenfalls für drei Jahre ausreichenden Zahnersatz aufkomme, ist unerheblich. Entscheidend ist nicht die Handhabung des Gesetzes in der einzelnen Anstalt, sondern die Rechtslage. Danach hat der Gefangene grundsätzlich wie der Versicherte Anspruch auf einen Zuschuß zu den Kosten des Zahnersatzes, der nach § 182 Abs. 2 RVO ausreichend und zweckmäßig sein muß und das Maß des Notwendigen nicht übersteigen darf. Der Gefangene wird nicht besser aber auch nicht schlechter gestellt als der Pflichtversicherte (Callies/Müller-Dietz, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz 3. Aufl. Rd.Nr. 2 zu § 62).
Die Bestimmung des § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist nicht verfassungswidrig. Verfassungsrechtlich ist es nicht zu beanstanden, wenn zur Vermeidung eines Doppelbezugs von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung sozialversicherungsrechtliche Ansprüche beschnitten werden; die Ansprüche müssen dafür nicht deckungsgleich sein (BVerfG SozR 2200 § 1279 RVO Nr. 6). Die Ansprüche des Versicherten auf Krankenhilfe nach der RVO und die Ansprüche des Gefangenen nach §§ 56 ff. Strafvollzugsgesetz haben die gleiche Zweckbestimmung. Dem Ruhen des Krankenhilfeanspruchs nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO steht auch nicht entgegen, daß der Gefangene keine freie Arztwahl hat. Der Ausschluß der freien Arztwahl war eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers, der die Gefahr des Mißbrauchs dieses Rechtes als erheblich angesehen hat; im Hinblick auf die Gefahr, die mit der Möglichkeit einer freien Arztwahl in der Vollzugsanstalt verbunden ist, hat er den Gesichtspunkt der Angleichung an das Leben in der Freiheit zurückgestellt (BT-Drucks 7/3998, S. 25 f.). Die Regelungen der §§ 56 ff. Strafvollzugsgesetz und § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO sind aus diesen Gründen als sachgerecht anzusehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.3 RK 57/81
Bundessozialgericht
Verkündet am
23. März 1983
Fundstellen