Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. zu Unrecht erbrachte Sozialleistung. objektive Erkennbarkeit. Erstattungsanspruch eines Sozialleistungsträgers gegenüber einem (vermeintlich) empfangszuständigen Dritten. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Sozialleistungsträger eine Sozialleistung zu Unrecht an einen (vermeintlich) empfangszuständigen Dritten erbracht, um seine (vermeintliche) Pflicht aus einem sozialen Recht zu erfüllen, und mußte der Dritte dies objektiv erkennen, so richtet sich der Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 2 S 1 SGB 10.
2. § 50 Abs 2 S 2 SGB 10 gilt nur im Verhältnis des Sozialleistungsträgers zum Inhaber des Sozialleistungsanspruchs, nicht jedoch zum Dritten. Gegenüber diesem kommt nur der verfassungsrechtlich gebotene Vertrauensschutz zum Tragen.
Normenkette
SGB X § 50 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Verfügungen, mit denen die Beklagte eine Überzahlung "aufgrund" eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurückfordert.
Die - bereits verstorbene - Schuldnerin des Klägers, eines Steuerberaters, Klara D. (Versicherte), bezog von der Beklagten sowohl eine Alters- als auch eine Witwenrente. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 7. Februar 1991 pfändete das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - Köln wegen einer Forderung des Klägers gegen die Versicherte in Höhe von 45.759,26 DM deren Ansprüche gegen die Beklagte sowohl aus der Witwenrente als auch aus dem "laufenden eigenen Rentenzahlungsanspruch" im Rahmen des § 850c ZPO; die Zusammenrechnung der beiden Renten wurde gemäß § 850e Nr 2 ZPO angeordnet.
Nachdem die Forderung des Klägers gegen die Versicherte bis zum 31. Mai 1993 getilgt war, zahlte die Beklagte darüber hinaus noch in der Zeit von Juni 1993 bis 31. Dezember 1993 einen Betrag von insgesamt 11.333,50 DM. Mit Schreiben vom 31. Januar 1994 teilte die Beklagte dies dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit und forderte den Kläger zur Erstattung des Betrages auf. Mit Bescheid vom 13. Juli 1994 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 7. März 1995 verlangte die Beklagte diesen Betrag unter dem Gesichtspunkt des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zurück.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 13. August 1997). Es hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe die Rückforderung nicht durch Verwaltungsakt geltend machen dürfen. Insoweit fehle eine Ermächtigungsgrundlage. § 50 Abs 2 SGB X greife nicht ein. Denn zwischen den Beteiligten bestehe kein Sozialrechtsverhältnis iS eines öffentlich-rechtlichen Über-Unterordnungsverhältnisses. Es sei nicht ersichtlich, daß derjenige, der eine öffentlich-rechtliche Forderung pfände, sich mit einer etwaigen Rückforderung durch Leistungsbescheid einverstanden erkläre. Auf einen - allgemeinen - öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch könne die Beklagte ihr Begehren nicht stützen. Denn unabhängig davon, daß für einen solchen Anspruch jenseits der gesetzlichen Regelungen kein Raum sei, habe sie jedenfalls nicht die Befugnis gehabt, eine derartige Forderung durch Verwaltungsakt durchzusetzen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 6. Juni 2000 im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts durch eine unzutreffende Auslegung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs und trägt vor: Als Rechtsgrundlage für den Rückforderungsbescheid komme in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen allein der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. Dieser solle eine nicht sachgerechte Privilegierung von scheinbar auf gesetzlicher Anspruchsgrundlage beruhenden, tatsächlich jedoch rechtsgrundlos zugeflossenen Leistungen der öffentlichen Hand verhindern. Dessen Voraussetzungen seien gegeben. Es habe eine Vermögensverschiebung ohne materiellen Rechtsgrund im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung stattgefunden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 2000 und des Sozialgerichts Köln vom 13. August 1997 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Gründe der vorinstanzlichen Entscheidungen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Urteile des SG und des LSG sind aufzuheben, die von dem Kläger erhobenen Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 SGG) sind abzuweisen.
1. Die Frage, ob für die vom Kläger geltend gemachten Aufhebungsansprüche der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit begründet ist (§ 51 Abs 1 SGG), ist im Revisionsrechtszug nicht mehr zu prüfen (§ 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz). Wird nämlich die Zulässigkeit des Rechtsweges von der ersten Instanz in einem Sachurteil bejaht, hat es hierbei sein Bewenden (vgl hierzu BGHZ 120, 204, 206 f mwN). Da das SG in der Sache entschieden hat, ist das BSG hieran gebunden, ohne daß - allerdings - damit zugleich die weitere Frage beantwortet ist, nach welchem Recht der geltend gemachte Anspruch sich beurteilt. Unabhängig hiervon ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu bejahen, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung handelt, nämlich um eine Streitigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Beklagte hat in der angefochtenen Verwaltungsentscheidung festgestellt, sie habe eine Erstattungsforderung in Höhe von 11.333,50 DM gegen den Kläger; ferner hat sie ihm geboten, diesen Betrag an sie zu zahlen. Der Streit um die Aufhebung solcher Verwaltungsakte (die nur nach Sonderrecht des Staates zu beurteilende Staatsakte sind), ist rechtlich notwendig und damit stets allein nach öffentlichem Recht zu entscheiden.
2. Einzige den Anforderungen des Art 2 Abs 1 Grundgesetz genügende Ermächtigungsgrundlage für die beiden in dem Bescheid vom 13. Juli 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides von der Beklagten getroffenen Regelungen - ihr stehe gegen den Kläger ein Erstattungsanspruch zu; der Kläger habe an sie einen Betrag von 11.333,50 DM zu zahlen - ist § 50 Abs 3 Satz 1 SGB X. Danach ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Vorschrift ermächtigt sowohl zur verbindlichen Feststellung eines Zahlungsanspruchs als auch zum Erlaß eines vollstreckbaren Zahlungsgebots (stellv BSG SozR 3-1300 § 42 S 10 bis 12). Die beiden Verwaltungsakte, die Anspruchsfestsetzung und das Zahlungsgebot, sind formell rechtmäßig, weil die BfA sie als zuständiger Träger nach ordnungsgemäßem Verwaltungsverfahren (einschließlich Anhörung) in der gebotenen Schriftform erlassen hat.
3. Die Verwaltungsakte sind auch materiell rechtmäßig, weil der Tatbestand des § 50 Abs 3 Satz 1 SGB X erfüllt ist. Denn der BfA steht gemäß § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X der geltend gemachte Erstattungsanspruch zu, dessen Höhe in tatsächlicher Hinsicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffen worden ist; der Kläger ist zur (Rück-)Zahlung verpflichtet.
a) Ohne Bedeutung ist, daß die Beklagte als Anspruchsgrundlage in dem angefochtenen Bescheid den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch anstelle des hier allein in Betracht kommenden § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X genannt hat. Denn die Begründung der Entscheidung der Beklagten ist nicht Bestandteil der Regelungen. Das Gericht ist daher verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der (wirklich getroffenen) Regelungen (hier also der Anspruchsfestsetzung und des Zahlungsgebots) unter jedem in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkt zu würdigen (vgl BSGE 85, 83, 85 = SozR 3-4100 § 186h Nr 1; SozR 3-4100 § 152 Nr 9 S 29 mwN; vgl hierzu auch BVerwGE 80, 96 f; Badura in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl, § 38 RdNr 40 f). An die in dem Bescheid genannte Rechtsgrundlage und die ihr zugrundeliegende Rechtsauffassung ist das Gericht bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides mithin nicht gebunden.
b) Nach § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X sind "zu Unrecht erbrachte Leistungen", soweit sie ohne Verwaltungsakt erbracht worden sind, zu erstatten. Insoweit handelt es sich um eine rechtsdogmatisch eigenständige Vorschrift mit Elementen der Leistungskondiktion des Zivilrechts (vgl hierzu Hofe, Die Erstattung von zu Unrecht erbrachten Leistungen nach § 50 SGB X: SGb 1990, 527, 530). Sie dient der Geltendmachung und Durchsetzung von Erstattungsansprüchen eines Trägers von Sozialleistungen, der einem Bürger eine Sozialleistung ohne Verwaltungsakt zu Unrecht gewährt hat (vgl hierzu Heilemann, Die Rückforderung von Sozialleistungen: Die Sozialversicherung 1999, 148, 152; Emmerich, Die Rückforderung von zu Unrecht erbrachten Sozialleistungen durch den Sozialversicherungsträger: ZfSH/SGb 1986, 417, 423).
aa) Unter den Begriff "Leistungen" in § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X fallen allein Sozialleistungen iS von §§ 1, 11 SGB I, also Geld- (Sach- und Dienst-)Leistungen. Eine Geldzahlung eines Sozialleistungsträgers ist jedenfalls dann eine "Sozial"-Leistung (iS von § 50 SGB X), wenn sie zur Erfüllung eines Zahlungsanspruchs bestimmt ist, der (vermeintlich) aus einem sozialen Recht (vgl §§ 2 ff SGB I) entstanden ist, und einem (vermeintlich) Empfangszuständigen zufließt, soweit ein an Treu und Glauben orientierter Zahlungsempfänger dies bei Erhalt des Betrages erkennen mußte (s unten).
bb) Die Zahlungen der Beklagten von Juni bis Dezember 1993 waren Sozialleistungen iS von § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X, obgleich der Kläger nicht Versicherter ist und die Ansprüche auf die monatlichen Renten aus der Sozialversicherung wegen einer "privaten" Forderung gepfändet und ihm zur Einziehung überwiesen worden waren. Unerheblich für die Rechtsnatur der Leistung ist insoweit auch, daß die vollstreckungsrechtliche (öffentlich-rechtliche) Rechtsgrundlage (vgl hierzu BGHZ 66, 79, 80 f; BGH NJW 2001, 1937, 1940) für die Überweisung an den Kläger im Hinblick auf die bereits erfolgte Tilgung seiner (privatrechtlichen) Forderung gegen die Versicherte entfallen war (s. bbb).
aaa) Die Pfändung der monatlichen Einzelansprüche der Versicherten gegen die BfA änderte nichts an deren Rechtsnatur. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß hat lediglich bewirkt, daß der Beklagten als Drittschuldnerin (§ 840 ZPO) verboten wurde, diese Einzelansprüche, soweit sie der Pfändung unterlagen, durch Zahlung an die Versicherte zu erfüllen (§ 829 Abs 1 ZPO). Diese blieb weiterhin (einzel-)anspruchsberechtigt. Insbesondere hatte sie ihre von der Pfändung nicht betroffenen (Stamm-)Rechte auf Alters- und Witwenrente nicht verloren. Die Pfändung eines Einzelanspruchs wegen einer zivilrechtlichen Forderung hat somit nicht zur Folge, daß der Pfändungsgläubiger durch die Überweisung der Forderung zur Einziehung auch zum Inhaber der Forderung wird; diese bleibt im Vermögen des Pfändungsschuldners (hier der Versicherten). Der Pfändungsgläubiger erhält lediglich ein eigenes Einziehungsrecht (§ 835 Abs 1 ZPO; vgl hierzu BGHZ 82, 28, 31; BSGE 67, 143, 147 f = SozR 3-1200 § 52 Nr 1). Infolgedessen blieb der Rechtsgrund (und die Rechtsnatur) für die Zahlungen auch nach Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bestehen.
bbb) Der Charakter der (hier: Über-)Zahlung als einer Sozialleistung änderte sich auch nicht dadurch, daß der Kläger im og Zeitraum objektiv nicht mehr einziehungsberechtigt und damit auch nicht mehr empfangszuständig war, nachdem die im Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ausgewiesene Forderung des Klägers gegen die Versicherte in Höhe von 45.759,26 DM getilgt und somit erloschen war. Denn die Rechtsnatur des Erstattungsanspruchs folgt derjenigen des (vermeintlichen) Leistungsanspruchs, zu dessen Erfüllung gezahlt wurde (vgl hierzu BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13; BGHZ 71, 180, 182). Wenn die Zahlung an einen Dritten (dh nicht an den Rechtsinhaber) erfolgt, kommt es - wie ausgeführt - für die Qualifizierung der Zahlung als Sozialleistung, die diesem erbracht wurde, allein darauf an, ob der Leistungsträger den Dritten als zur Entgegennahme der Zahlung mit Erfüllungswirkung gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten befugt erachtet hat und ob der Dritte bei Erhalt der Zahlung erkennen mußte, daß ihm als vermeintlich Empfangszuständigen zur Erfüllung eines (vermeintlichen) Sozialleistungsanspruchs eines anderen gezahlt wurde.
c) Die Beklagte hat die Sozialleistung dem Kläger als Dritten auch zu Unrecht "erbracht". "Erbracht" ist die Geldleistung an den Dritten, wenn der Sozialleistungsträger diese dem Zahlungsempfänger bewußt und zweckgerichtet in der vermeintlichen Annahme, er leiste an den Empfangszuständigen (hier: aufgrund der ihm als Pfändungsgläubiger zur Einziehung überwiesenen Forderung) zugewendet und damit dessen Vermögen vermehrt hat; ferner, wenn der Empfänger - unter Berücksichtigung eines objektiven Empfängerhorizontes (§ 133 BGB) - den Zweck der Zahlung (als Sozialleistung), den Zahlenden als Sozialleistungsträger sowie sich selbst als den (vermeintlich) richtigen Zahlungsadressaten des Leistungsträgers erkennen konnte (sog Transparenzprinzip; vgl hierzu im übrigen BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13; BGHZ 73, 202, 203 f; Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl, § 99 RdNr 1074 f). Insoweit ist ohne Bedeutung, ob die Pfändung wirksam war, ins Leere ging oder die Forderung nicht bestand (vgl hierzu BGHZ 71, 180, 182 f). Von § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X werden mithin alle Erstattungsansprüche erfaßt, in denen - für den Empfänger erkennbar - der Träger der Sozialleistung bewußt und gewollt an einen bestimmten Empfänger geleistet und dessen Vermögen vermehrt hat, um seiner vermeintlichen Pflicht nicht nur gegenüber dem Versicherten (Pfändungsschuldner), sondern auch gegenüber dem Pfändungsgläubiger aufgrund des Einziehungsrechts aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß nachzukommen (vgl hierzu BGHZ 82, 28, 32 f). Hingegen fallen solche Rückabwicklungsbeziehungen nicht in den Anwendungsbereich des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X, in denen der Sozialleistungsträger lediglich versehentlich an einen "Nichtbeteiligten", also gerade nicht bewußt und zweckgerichtet (an einen vermeintlich Empfangszuständigen) leistet (vgl hierzu BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13). Insofern sind von der hier vorliegenden Fallgruppe zu unterscheiden die fehlgeschlagenen und fehlgeleiteten Zahlungen an einen Dritten, die regelmäßig nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften des Zivilrechts (§§ 812 ff BGB) vorbehaltlich spezialgesetzlicher (öffentlich-rechtlicher) Regelungen (vgl § 118 Abs 3 und 4 SGB X) zu beurteilen und abzuwickeln sind (vgl hierzu BGHZ 71, 180, 183 f; 73, 202, 204).
Die Beklagte hat den im Erstattungsbescheid genannten Betrag von 11.333,50 DM als eine Sozialleistung iS des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X zu Unrecht "erbracht". Denn sie hat aufgrund ihrer vermeintlichen Pflicht, die der Versicherten rentenversicherungsrechtlich zustehenden Beträge aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Kläger überweisen zu müssen, an diesen gezahlt. Damit hat sie für den Kläger erkennbar bewußt und zweckgerichtet dessen Vermögen um die ihm vermeintlich zur Einziehung überwiesenen Rentenzahlungsansprüche vermehrt (vgl hierzu Fikentscher, aaO, RdNr 1073).
d) § 836 Abs 2 ZPO, der allein im Verhältnis zwischen Pfändungsschuldner (Versicherte) und Drittschuldner (Beklagte) Wirkung hat, greift hier von vornherein nicht ein. Danach gilt der Überweisungsbeschluß zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber solange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben ist und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Es ist bereits nicht festgestellt, daß sich die Beklagte im Verhältnis zur Versicherten auf diese Vorschrift berufen hat. Darüber hinaus schützt die Vorschrift nur den Drittschuldner, der im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Überweisungsbeschlusses gehandelt hat. Vertrauensschutz ist mithin dann ausgeschlossen, wenn - wie hier - der Drittschuldner leistet, obwohl die Höhe der zu tilgenden Forderung im Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ausgewiesen war (vgl hierzu entsprechend BAG in NJW 1977, 75, 77; Baumbach/Hartmann, ZPO, 58. Aufl, § 836 RdNr 3). Das bedeutet jedoch nicht, daß der Kläger sich auf § 814 BGB - seine Anwendbarkeit unterstellt - berufen kann. Danach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewußt hat, daß er zur Leistung nicht verpflichtet ist. Leistung in Kenntnis der Nichtschuld bedeutet jedoch positive Kenntnis, wofür nach den Feststellungen des LSG keine Anhaltspunkte vorliegen, ein - bloßes - Kennen-müssen genügt nicht (vgl hierzu BFHE 182, 489, 498 f).
e) Die angefochtenen Verwaltungsakte sind auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte keine Ermessensentscheidung getroffen hat und von ihr auch keine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berücksichtigt worden sind (vgl für den "Normalfall" des § 50 Abs 2 SGB X: BSGE 55, 250, 253 f = SozR 1300 § 50 Nr 3; BSGE 84, 16, 21 = SozR 3-1300 § 50 Nr 21). § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X iVm §§ 45, 48 SGB X kommt in den Fällen der vorliegenden Art nicht zur Anwendung. Zwar gelten die §§ 45 und 48 SGB X gemäß § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X entsprechend. Die Vorschrift stellt sicher, daß der Sozialleistungsempfänger, der die Leistung ohne einen - das Recht auf sie feststellenden oder gewährenden - Verwaltungsakt zu Unrecht erhalten hat, denselben Vertrauensschutz erlangt wie derjenige, der im Falle einer rechtswidrigen Bewilligung des Rechts oder Anspruchs bei Aufhebung dieses Verwaltungsaktes haben würde. § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X ist daher nur anwendbar, wenn dem Zahlungsempfänger das Recht/der Anspruch auf die Zahlung im Rahmen eines Sozialrechtsverhältnisses überhaupt wirksam durch (wenn auch rechtswidrigen) Verwaltungsakt zuerkannt werden kann. Verwaltungsakte, durch welche die BfA die (Stamm-)Rechte auf Alters- und Witwenrente (oder die Einzelansprüche hieraus), die kraft Gesetzes ausschließlich den Versicherten zustehen, einem Dritten (hier: dem Kläger) zuerkennen würde, wären jedoch nicht nur rechtswidrig (und damit bis zu ihrer Aufhebung wirksam), sondern nichtig (iS von § 40 Abs 2 Nr 4 und 5 und Abs 1 SGB X). In Fällen der vorliegenden Art ist somit § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X schlechthin nicht anwendbar.
Der rechtsstaatlich (verfassungsverwaltungsrechtlich) unmittelbar gebotene Vertrauensschutz eines Dritten, dem als vermeintlich Empfangszuständigen Sozialleistungen erbracht worden sind, wird in erster Linie durch das Erfordernis gewahrt, daß er nach Treu und Glauben die Zweckbestimmung der Zahlung als Erfüllung von Sozialleistungsansprüchen und damit den besonderen Grund erkennen können muß, weshalb der Träger ihn für empfangszuständig hält (sog Transparenzprinzip). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, haftet er regelmäßig nur nach zivilem Bereicherungsrecht (s oben). Mußte er jedoch die Zuwendung einer "Sozialleistung" erkennen und war er außerdem gutgläubig, kommt es darauf an, in welchem Ausmaß er schutzwürdiges Vertrauen betätigt hat (vgl Rechtsgedanke aus § 45 Abs 2 SGB X). Hier liegen nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG und dem Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte dafür vor, er könne ab Beginn der augenfälligen Überzahlung im Blick hierauf schutzwürdiges Vertrauen betätigt haben.
Die Revision der Beklagten hat mithin nach alledem Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte hat außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits nicht zu erstatten.
Fundstellen
Haufe-Index 637705 |
NVwZ-RR 2002, 362 |
FEVS 2002, 145 |
InVo 2003, 287 |
SGb 2002, 294 |
SozR 3-1300 § 50, Nr. 24 |
SozVers 2002, 165 |