Sven Franke, Stefanie Hornung
Wie kontrovers über Gehalt gestritten wird, verdeutlicht die Diskussion über den Mindestlohn. Als der Mindestlohn Anfang 2015 in Deutschland eingeführt wurde, geschah dies unter heftigem Getöse. Gewerkschaftsvertreter feierten ihn als wichtigsten Baustein zur Armutsvermeidung. Das Arbeitgeberlager hingegen prophezeite den Verlust hunderttausender Arbeitsplätze.
4 Jahre nach der Einführung steht fest, der Mindestlohn hat weder die Armut verringert noch den Beschäftigungsboom gebremst. Laut Statistischen Bundesamtes sank die Arbeitslosenquote seit der Einführung sogar um 1 %. Doch ein Rückgang der Armut hatte dies ebenfalls nicht zur Folge. Zum einen, weil ein Mindestlohngehalt nicht ausreicht, um über die statistische Armutsschwelle hinauszukommen. Zum anderen, weil die Bedürftigen unter einem Mangel an Arbeit leiden. Denn die meisten Armen finden sich in der Bevölkerungsgruppe der Arbeitslosen sowie unter den Alleinerziehenden, die oft nur in Teilzeit ihrem Beruf nachgehen können. Auch die sogenannten "Aufstocker" arbeiten meist nicht in Vollzeit. Doch so hoch, dass eine geringe Teilzeitbeschäftigung bereits zum Leben reicht, lässt sich der Mindestlohn derzeit nicht festsetzen. Das gilt erst recht, wenn das Gehalt für eine ganze Familie reichen soll.
Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland beträgt seit dem 1.1.2019 9,19 EUR und steigt zum 1.1.2020 auf 9,35 EUR. Damit liegt Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Staaten im oberen Drittel. Setzt man den Mindestlohn ins Verhältnis zum mittleren Einkommen im jeweiligen Land, zeigt sich ein anderes Bild. Dann liegt Deutschland im unteren Bereich. Der höchste Mindestlohn wird übrigens in Luxemburg gezahlt. Dort lag er 2018 bei 11,55 EUR. Insgesamt gibt es einen Mindestlohn in 22 der 28 EU-Mitgliedsstaaten.
Am Beispiel des Mindestlohns werden 2 Dinge deutlich: Erstens, ein komplexes gesellschaftliches Phänomen wie Armut lässt sich nicht durch eine einzelne Maßnahme bekämpfen. Und zweitens, die Auswirkung einer einzelnen Intervention auf ein Gesamtsystem lässt sich nicht vorhersehen. Komplexen Herausforderungen werden wir nur gerecht, wenn wir sie vielschichtig mit allen möglichen Wechselwirkungen betrachten und angehen. Wir benötigen einen öffentlichen Diskurs darüber, was wir Menschen in unserer Wohlstandsgesellschaft als Existenzminimum zugestehen. Dafür ist auch eine Debatte über den Wert von Arbeit unerlässlich.
Fragen zur Reflexion
- Wie hoch sollte der Mindestlohn aus Deiner Sicht mindestens sein?
- Was sollte ein Mindestlohn seinen Empfängern ermöglichen?
- Sollte nach Deiner Meinung zwischen Grundsicherung und dem Mindestlohn ein Mindestbetrag liegen? Und wenn ja, wie hoch sollte dieser ausfallen?
- Gibt es Maßnahmen, die Du für zielführender hältst, um Armut zu bekämpfen? Wenn ja, welche wären das?