Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Richtlinie 2000/78/EG. Nationale Kündigungsschutzregelung, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden. Rechtfertigung der Maßnahme. Der Richtlinie entgegenstehende nationale Regelung. Rolle des nationalen Richters
Beteiligte
Tenor
1. Das Unionsrecht, insbesondere das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ist dahin auszulegen, dass es einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden.
2. Es obliegt dem nationalen Gericht, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten die Beachtung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 sicherzustellen, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, unabhängig davon, ob es von seiner Befugnis Gebrauch macht, in den Fällen des Art. 267 Abs. 2 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung um Auslegung dieses Verbots zu ersuchen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. November 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Dezember 2007, in dem Verfahren
Seda Kücükdeveci
gegen
Swedex GmbH & Co. KG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentinnen R. Silva de Lapuerta, P. Lindh (Berichterstatterin) und C. Toader sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, P. Kūris, T. von Danwitz, A. Arabadjiev und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Swedex GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt M. Nebeling,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Bering Liisberg als Bevollmächtigten,
- von Irland, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von N. Travers, BL, und A. Collins, SC,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Mol als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch I. Rao als Bevollmächtigte im Beistand von J. Stratford, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und J. Enegren als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kücükdeveci und ihrem ehemaligen Arbeitgeber Swedex GmbH & Co. KG (im Folgenden: Swedex) über die Berechnung der Kündigungsfrist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Richtlinie 2000/78 wurde auf der Grundlage von Art. 13 EG erlassen. Die Erwägungsgründe 1, 4 und 25 dieser Richtlinie lauten:
„(1)
Nach Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.
…
(4)
Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht; dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im VN-Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie in der Europäischen Konvention...