Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinderung eines Betriebsratsmitglieds an der Amtsausübung durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Rechtsfolgen der Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung. Ausgleich für Tätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Betriebsratsmitglied, dem gekündigt wurde, ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens an der Amtsübung gehindert, wenn nicht eine tatsächliche Weiterbeschäftigung erfolgt (vgl. BAG 14. Mai 1997 - 7 ABR 26/96 -; BAG 10. November 2004 - 7 AZR 12/04 -).
2. Hat ein Betriebsratsmitglied oder ein stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung einen Weiterbeschäftigungstitel erstritten und ist der Arbeitgeber einer Amtsausübung und insoweit einer Eingliederung in den Betrieb nicht entgegengetreten, so ist der Amtsträger auch dann nicht an der Amtsausübung gehindert, wenn er seine Weiterbeschäftigung nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt hat.
3. Vorschrift des § 96 Abs. 6 SGB IX ist hinsichtlich des Freizeitausgleichsanspruchs der Schwerbehindertenvertreter inhaltsgleich mit der des § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, so dass von einer entsprechenden Zwecksetzung der Regelung in § 96 Abs. 6 SGB IX, einerseits dem Ehrenamtsprinzip gerecht zu werden und andererseits eine zu hohe Arbeitsbelastung der Schwerbehindertenvertreter zu vermeiden, auszugehen ist.
4. Entsprechend dem Zweck des Freizeitausgleichsanspruchs, den Amtsträger (auch) vor Überlastung zu schützen, ist es sachgerecht, die vom Bundesarbeitsgericht zur Frage der Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds während des Erholungsurlaubs entwickelten Grundsätze auch auf die Gewährung von Freizeitausgleichsansprüchen gem. § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und gem. § 96 Abs. 6 BetrVG anzuwenden. Demzufolge ist während des Freizeitausgleichs von einer Unzumutbarkeit der Amtsausübung und damit einer Verhinderung bis zu einer gegenteiligen Bekundung durch den Amtsträger auszugehen.
5. Macht ein regelmäßig im Betrieb tätiges Betriebsratsmitglied, ein stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung oder ein Mitglied des Wahlvorstandes geltend, dass die in Wahrnehmung des Amtes ausgeübten Tätigkeiten bzw. die Schulungsteilnahmen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgten, ist deren zeitliche Lage anzugeben. Ein Ausgleich kann nur beansprucht werden, wenn die Tätigkeiten und Schulungen aus betriebsbedingten Gründen außerhalb dieses zeitlichen Rahmens ausgeübt wurden bzw. stattgefunden haben und deshalb nicht bereits durch die Zahlung der regelmäßigen Vergütung abgegolten sind. Ansonsten würde derjenige, der seine Zeit frei bestimmen kann, unangemessen bevorzugt gegenüber dem Arbeitnehmer, der zeitlich durch Vorgaben in die betriebliche Organisation eingebunden ist.
6. Unterbricht ein Betriebsratsmitglied oder stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung den Erholungsurlaub oder den ihm gewährten Freizeitausgleich nicht auf Grund bestimmter Gegebenheiten oder Sachzwänge in der Betriebssphäre, sondern allein deshalb, weil es sich entschieden hat, seine Ämter wahrzunehmen, so liegen die Gründe für die Unterbrechung allein in der persönlichen Sphäre des Amtsträgers. Ein weiterer Freizeitausgleichsanspruch oder -abgeltungsanspruch wird in diesem Fall durch die Amtsausübung nicht begründet.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 3, 6 Sätze 2-3; SGB IX § 96 Abs. 4, 6; BetrVG § 20 Abs. 3, § 63 Abs. 2, § 44 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 30.12.2010; Aktenzeichen 27 Ca 3/09) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 30.12.2010 - 27 Ca 3/09 - wird zurückgewiesen.
II.
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 30.12.2010 - 27 Ca 3/09 - zum Teil abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
1.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 422,49 € brutto nebst Zinsen p. a. in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.01.2009 zu zahlen.
2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Im Übrigen wird die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen.
IV.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird für die Klägerin und die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Freizeitausgleichsansprüchen, die die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit ihrer früheren Funktion als Betriebsratsmitglied und stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung für den Zeitraum 08.03.2006 bis 31.07.2007 behauptet.
Die Klägerin war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (i. F. Arbeitgeberin) mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Betriebsärztin beschäftigt. Die Klägerin unterlag bezüglich der zeitlichen Lage ihrer Arbeitszeit keinen strikten Vorgaben der Arbeitgeberin und arbeitete aus persönlichen Gründen von Mon...