Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Sonn- und Feiertagszuschlägen auf den gesetzlichen Mindestlohn in der Altenpflege
Leitsatz (redaktionell)
1. Alle im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Geldleistungen der Arbeitgeberin sind geeignet, den Mindestlohnanspruch zu erfüllen. Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen der Arbeitgeberin fehlt nur solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin erbracht werden oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen.
2. Zwischen der Zahlung von Zulagen für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen und dem Zweck des Mindestlohns besteht eine funktionale Gleichwertigkeit, wenn die Zahlung nicht aus einem besonderen gesetzlichen oder vereinbarten und über den Zweck des gesetzlichen Mindestlohns hinausgehenden Zweck erfolgt.
3. Im Pflegebereich ist eine siebentägige 24-Stunden-Versorgung der zu Pflegenden üblich (“Rund-um-Versorgung„). Zulagen für an Sonn- und Feiertagen geleistete Arbeitsstunden sind daher auf den Mindestlohn anzurechnen.
Normenkette
BGB § 362 Abs. 1, § 611 Abs. 1; MiLoG § 1 Abs. 1, 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 11.03.2016; Aktenzeichen 9 Ca 4390/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 11. März 2016 - 9 Ca 4390/15 - werden
z u r ü c k g e w i e s e n .
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin zu 19/20 und die Beklagte zu 1/20.
Die Revisionen werden zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Sonn- und Feiertagszuschlägen auf den gesetzlichen Mindestlohn in der Altenpflege.
Die Klägerin ist seit 2011 bei der Beklagten im Seniorenheim ... als Hauswirtschaftshelferin im Bereich Küche beschäftigt. In § 3 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 6. April 2011 (Anlage K 1, Bl. 5 ff. d. A.) vereinbarten die Parteien "ein monatliches Gehalt" in Höhe von 6,60 € brutto/Stunde. Für Sonn- und Feiertagsarbeit zahlte die Beklagte bis Oktober 2014 für jede Stunde zusätzlich 2,00 € brutto. Von Juni 2015 bis Januar 2016 arbeitete die Klägerin an insgesamt 19 Sonn- oder Feiertagen (14.06., 12.07., 26.07., 09.08., 16.08., 06.09., 13.09., 03.10., 04.10., 18.10., 31.10., 01.11., 15.11., 29.11., 13.12., 25.12. und 27.12.2015 sowie am 10.01. und 24.01.2016) jeweils 7,6 Stunden. Zuschläge bezahlte die Beklagte für diese insgesamt 144,4 Stunden nicht. Nach der schriftlichen Geltendmachung der Klägerin mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 rechnete die Beklagte die monatlichen Vergütungen seit Juni 2015 neu ab (Anlage B 1, Bl. 24 ff. d. A.). Statt der bisherigen Abrechnungen, in der die werktäglichen Arbeitsstunden mit 6,60 € brutto und die sonn- und feiertäglichen Arbeitsstunden mit 8,60 € brutto abgerechnet wurden, erfolgte nun eine Addition aller Arbeitsstunden zu 8,50 € brutto/Stunde. Nach Saldierung zahlte die Beklagte die jeweilige Differenz an die Klägerin aus. Die neu erteilten Abrechnungen wiesen weiterhin Sonn- und Feiertagszuschläge in Höhe von jeweils 2,00 € brutto aus. Die Klägerin hat vorgetragen, die Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen seien über den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € brutto hinaus mit weiteren 2,00 € brutto zu vergüten. Dieser aufgrund der betrieblichen Übung bestehende Anspruch auf eine Zulage von 2,00 € brutto je Arbeitsstunde an Sonn- und Feiertagen sei nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Es fehle an der funktionalen Gleichwertigkeit. Die Zulage solle nicht die regelmäßige Arbeitsleistung, sondern eine besondere unter erschwerten Bedingungen erbrachte Arbeitsleistung an Sonn- und Feiertagen vergüten. Dementsprechend habe sie eine gegenüber der "Normaltätigkeit" besondere Funktion und sei auf den Mindestlohn nicht anzurechnen. Dass derartige Zuschläge nicht anzurechnen seien, ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien. Auch lasse sich die besondere Funktion der Sonn- und Feiertagszuschläge aus § 9 ArbZG entnehmen, der grundsätzlich Sonn- und Feiertagsarbeit verbiete. Schließlich werde der Ausnahmecharakter der Sonn- und Feiertagsarbeit durch die Steuerfreiheit nach § 3 b EStG unterstrichen. Eine Anrechnung der Sonn- und Feiertagszuschläge auf das monatliche Gesamteinkommen widerspreche der Vereinbarung der Parteien, die Zulage für bestimmte Stunden zu bezahlen. Ein Widerruf dieser Zulage sei nicht erfolgt. Deshalb habe die Klägerin für 144,4 geleistete Stunden an Sonn- und Feiertagen einen Anspruch in Höhe von 288,80 € brutto.
Die Klägerin hat beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 76,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als Sonn- und Feiertagszuschläge für die Monate September 2015 bis Januar 2016 einen Betrag in Höhe von 212,80 € brutto nebst Zinsen hie...