Sven Franke, Stefanie Hornung
Zitat
Irgendwie müssen wir eine Umgebung schaffen, in der wir offen über Gehalt reden können.
Joachim Seibert, Geschäftsführer von Seibert Media
Eigentlich hatten wir eine innovative Techie-Bude in einem Hinterhof oder einem Industrieloft vermutet, als wir zu //Seibert/Media aufbrachen. Aber weit gefehlt: Die Softwareentwickler werkeln keineswegs weit ab vom Schuss. Wer Seibert Media in Wiesbaden besucht, trifft auf pralles Leben. Ihr Büro liegt mitten im Zentrum der hessischen Landeshauptstadt in den oberen Etagen einer Shopping Mall. Diese quirlige Lebendigkeit spürt man auch, wenn man die Büroräume betritt.
Die Mitarbeitenden, die uns auf den Fluren und den Großraumbüros begegnen, nicken uns freundlich zu oder sprechen uns direkt an. Eine Kollegin bietet Espresso an und führt uns durch die Räumlichkeiten. Hier fühlt man sich sofort willkommen.
Offenheit und Fröhlichkeit drückt auch die Arbeitsumgebung aus. Jeder Raum ist anders gestaltet und bietet unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten, sei es am großen Tisch, in unterschiedlichen Meetingräumen oder in Besprechungsinseln. Und ja, es gibt auch einen Tischkicker. Aber spannender ist, dass einer der lichtdurchfluteten Räume über ein Bällebad verfügt. Alles nur Klischees der New-Work-Szene?
Seibert Media ist ein Internetdienstleister, der neben Wiesbaden einen Standort in San Diego hat. Die 150 Mitarbeiter agieren in eigenverantwortlichen und interdisziplinären Teams. Mit Unterstützung der Organisationskonzepte Scrum und Kanban bilden sie alle Facetten der agilen Softwareentwicklung ab – von der Strategie über Beratung und Konzeption bis hin zu Design, Softwareentwicklung und Softwarebetrieb inklusive Security. Zu den Kunden gehören 70 % der DAX-Unternehmen. 2018 machte das Unternehmen einen Umsatz von etwa 26 Millionen EUR.
Der Start-up-Phase sind die IT-Experten längst entwachsen. Martin Seibert gründete das Unternehmen 1996 im jugendlichen Alter von 17 Jahren. 4 Monate später kam Bruder Joachim dazu. "Rückblickend betrachtet", so Martin, "haben wir anfangs unser Unternehmen auf Basis eines patriarchalen Modells aufgebaut, das den typischen Regeln der Betriebswirtschaftslehre der 90er Jahre folgte." Für die Gehälter galt die alte Kaufmannsregel: Der Gewinn liegt im Einkauf. Folglich zahlten sie den Mitarbeitenden so wenig wie möglich.
Zitat
Ich kümmere mich bei Seibert Media darum, dass wir unsere Mitarbeiter irgendwann fürstlich entlohnen können und da gibt es noch Einiges zu tun.
Martin Seibert, Geschäftsführer von Seibert Media
Die Gehaltsverhandlung führte damals Martin. Und sein Ansporn in den Gesprächen war es, die individuelle Schmerzuntergrenze aus jedem Bewerber herauszukitzeln. "Wenn Du mir die Empfehlung gegeben hättest, drücke diese 7 Knöpfe und Du kannst dem Mitarbeiter noch 2.000 EUR weniger zahlen, dann hätte ich es gemacht", sagt Martin Seibert heute. So war das Gehalt sehr stark vom Verhandlungsgeschick der Bewerber abhängig. "Im Nachhinein betrachtet", zieht Martin Bilanz, "gab es Mitarbeiter, die sich in der Gehaltsverhandlung besser und andere, die sich weniger gut anstellten." Und das führte in der Konsequenz zu sehr unterschiedlichen Gehältern.
Heute sieht Martin seine Rolle ganz anders: "Ich kümmere mich bei Seibert Media darum, dass wir unsere Mitarbeiter irgendwann fürstlich entlohnen können und da gibt es noch Einiges zu tun." Dass das heute noch nicht möglich ist, ist ihm ein Dorn im Auge. Darin sieht er den einzigen Grund, warum Mitarbeitende aktuell mit dem Gedanken spielen könnten, Seibert Media zu verlassen. Denn das Unternehmen könne nicht Gehälter wie Google oder andere Großkonzerne bezahlen. Und so treibt ihn und seine Gesellschafter an, die Ertragssituation so zu steigern, dass ihnen dies in Zukunft gelingt.
Doch es scheint, als wäre es vielen Mitarbeitern nicht so wichtig gewesen, wie viel ihnen ihr Arbeitgeber bezahlte, stellt Martin rückblickend fest. Im Mittelpunkt stand die eigene Entwicklung – sowohl fachlich als auch menschlich – und die Teilhabe an der Wachstumsstrategie.
Die Wachstumsstory geht weiter
In der Aufbauzeit kristallisierte sich ein Kern von 4 Mitarbeitern heraus, bei dem Martin und seinem Bruder Jo Seibert schnell klar war, wie wichtig dieser für das weitere Wachstum ist – fachlich wie menschlich. Bei diesem kleinen Kreis gingen die Geschäftsführer einen Sonderweg. Sie beteiligten sie am Unternehmen, um sie langfristig zu binden. Die Rechnung ging auf: Alle 4 sind heute noch an wichtigen Stellen im Betrieb.
Über die Jahre erlebte Seibert Media eine wahre Erfolgsstory. Der Umsatz stieg, die Anzahl der Mitarbeiter wuchs ebenfalls kontinuierlich. Das bedeutete auch eine Veränderung bei der Gehaltsfindung. Denn Martin hatte immer weniger Zeit für Mitarbeitergespräche und Gehaltsverhandlungen und gab diese Aufgabe zunehmend ab. Das führte unter anderem dazu, dass die Einstiegsgehälter großzügiger ausfielen. Der ursprüngliche Grundsatz von Martin – "die Marge liegt im Einkauf" – trat in den Hintergrund.
Auch die Arbeitsm...