Dr. Madelaine Isabelle Baade
Die Rechtfertigung bezieht sich auf bestimmte Situationen, in denen eine unterschiedliche Behandlung aufgrund von persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Religion, Behinderung oder sexueller Identität aufgrund gesetzlicher Regelungen in §§ 8–10 AGG rechtlich zulässig sein kann.
Das AGG enthält in §§ 9 und 10 AGG speziellere Rechtfertigungsgründe und in § 8 AGG eine Art Auffangtatbestand.
1.7.1 Spezielle Rechtfertigungsgründe bei unmittelbarer Benachteiligung
§ 10 AGG wegen des Alters
§ 10 AGG regelt die Zulässigkeit unterschiedlicher Behandlung wegen des Alters. Ungeachtet des § 8 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Sozialpläne können beispielsweise gestaffelte Abfindungsregelungen enthalten, die wesentlich vom Alter abhängende Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen. Dabei können beispielsweise auch sogenannte "rentennahe" Arbeitnehmer benachteiligt werden, wenn sie spätestens binnen 24 Monaten nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses auf die abschlagsfreie Altersrente zurückgreifen können.
§ 9 AGG wegen Religion oder Weltanschauung
§ 9 AGG regelt die Zulässigkeit unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung bei bestimmten Arbeitgebern (Religionsgemeinschaften).
Abs. 1 betrifft die Rechtfertigung, soweit eine Religion und Weltanschauung eine berufliche Anforderung darstellt. Abs. 2 ermöglicht den Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, ihren Beschäftigten loyale und aufrichtige Verhaltenspflichten aufzuerlegen. § 9 Abs. 2 AGG erlaubt damit kirchlichen Arbeitgebern gewisse Benachteiligungen. Abs. 2 erweitert die Ausnahme über die Regelung des Abs. 1 hinaus auf spezifische Verhaltensanforderungen, die eine Religionsgemeinschaft an bei ihr Beschäftigte stellen darf. Von diesen darf ein "loyales und aufrichtiges Verhalten i. S. d. jeweiligen Selbstverständnisses" der Gemeinschaften gefordert werden. Von den Beschäftigten kann neben der Zugehörigkeit zur Glaubens- oder Überzeugungsgemeinschaft eine an deren Vorgaben ausgerichtete Verhaltensweise verlangt werden.
§ 8 AGG wegen beruflicher Anforderungen
Gemäß § 8 AGG ist eine Benachteiligung zulässig, wenn die Art der Tätigkeit oder die Bedingungen für deren Ausübung eine Einschränkung erfordern.
Zulässige berufliche Anforderungen
- Ein Filmteam sucht eine Besetzung für die Rolle eines Mannes und kann Männer bevorzugen.
- Gleichstellungsbeauftragte (Frau) zur Integrationsarbeit mit muslimischen Frauen
- Polizistin zur Befragung weiblicher Missbrauchsopfer
§ 5 Positive Maßnahmen
§ 5 AGG ermöglicht sogenannte "positive Maßnahmen". Dabei handelt es sich um gezielte Schritte, um bestehende Nachteile aufgrund eines in § 1 AGG genannten Grundes zu verhindern oder auszugleichen. Unternehmen können z. B. gezielt benachteiligte Personengruppen bei der Einstellung bevorzugen, um bestehende Nachteile auszugleichen. Dies kann beispielsweise durch spezielle Stellenanzeigen oder gezielte Ansprache erfolgen.
1.7.2 Sachliche Rechtfertigungsgründe bei mittelbarer Benachteiligung
Eine mittelbare Benachteiligung liegt dann nicht vor, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Rechtmäßiges Ziel
Als rechtmäßiges Ziel ist jeder sachliche Grund zulässig, der selbst objektiv nicht diskriminierend und legal ist.
Erforderlich und angemessen
Die zur Erreichung dieses Ziels gewählten Mittel müssen erforderlich sein, d. h. das Ziel kann nicht durch andere geeignete und weniger einschneidende Mittel erreicht werden. Die Mittel sind dann angemessen, wenn sie nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Personen führen, die wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden.
Neutralitätspolitik
Für die Neutralitätspolitik eines Arbeitgebers (Ziel) kann ein Verbot zum Tragen religiöser Symbole bei Beschäftigten (Mittel) als Rechtfertigung dienen. Dazu muss dieses Verbot aber auch erforderlich und angemessen sein, d. h. es muss sich beispielsweise auf Beschäftigte mit Kundenkontakt beschränken und sollte alle religiösen Symbole gleichermaßen verbieten, statt nur einzelne Symbole. Zudem ist nach Rechtsprechung im Rahmen der Angemessenheit zu verlangen, dass der Arbeitgeber ohne ein solches Verbot Nachteile erleiden würde.