Am 20.3.2024 entschied das ArbG Siegburg über die Klage eines schwerbehinderten Bewerbers, der eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG forderte, weil er sich aufgrund seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren benachteiligt fühlte. Der Kläger, der aufgrund seiner Diabetes mellitus Typ 1 Erkrankung mit einem Grad der Behinderung von 50 % schwerbehindert ist, hatte sich im Januar 2023 auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter beworben und in seiner Bewerbung auf seine Schwerbehinderung hingewiesen.
Am 5.6.2023 erhielt der Kläger eine Einstellungszusage, die unter dem Vorbehalt einer ärztlichen Untersuchung und eines unbedenklichen polizeilichen Führungszeugnisses stand. Die ärztliche Untersuchung wurde am 25.7.2023 durchgeführt. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei, da seine Blutzuckerwerte instabil und zu hoch seien, was ein erhebliches gesundheitliches Risiko darstelle. Daraufhin nahm die Beklagte ihre Einstellungszusage mit Schreiben vom 27.7.2023 zurück.
Der Kläger wandte sich gegen die Rücknahme der Einstellungszusage und machte geltend, dass er für die Stelle geeignet sei und dass die Bewertung des Betriebsarztes falsch sei. Er forderte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, da die Ablehnung der Einstellung aus seiner Sicht eine Diskriminierung aufgrund seiner Schwerbehinderung darstelle.
Das Gericht entschied, dass die Klage unbegründet sei. Die Beklagte habe den Kläger nicht wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt und damit fehle die Kausalität zwischen Merkmal und Benachteiligung. Vielmehr sei die Einstellungszusage aufgrund der negativen gesundheitlichen Bewertung durch den Betriebsarzt zurückgezogen worden. Die Einschätzung, dass die instabilen Blutzuckerwerte des Klägers ein erhebliches Risiko für potenziell lebensbedrohliche Zwischenfälle seien, beruhte auf medizinischen Befunden und nicht auf einer Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung.
Problematik des Zusammenhangs zwischen chronischer Krankheit und Behinderung
Fraglich an dieser Entscheidung ist eine gewisse dogmatische Unschärfe. Die Entscheidung beruht darauf, dass der Arbeitgeber lediglich an die Gesundheit und nicht an die Behinderung angeknüpft habe. Dabei fallen chronische Krankheiten auch unter den Begriff der Behinderung. Wird also die Rücknahme der Zusage mit der Gesundheit begründet, ist das gleichbedeutend mit einer Rücknahme wegen einer Behinderung, weil hier die Behinderung in Form der Krankheit besteht. Das Gericht hätte sich also mit Rechtfertigungsgründen auseinandersetzen müssen.
Das Gericht erkannte auch, dass hier Gesundheit und Behinderung zusammenfallen. Hierzu stellte es indes fest, dass die finale Ablehnung des Bewerbers auf der Eignungsuntersuchung des Arztes beruht habe und sein Verhalten dem Arbeitgeber nicht gemäß § 278 BGB zuzurechnen sei.
Bewertung der Entscheidung
Diese Begründung kann nicht überzeugen. Ungeachtet dessen, ob der Arzt Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers im Verhältnis zum Bewerber ist, macht sich der Arbeitgeber das Ergebnis der Eignungsuntersuchung zu eigen, zumal der Arbeitgeber den Arzt einschaltete. Begründet der Arbeitgeber mit der Untersuchung seine Ablehnungsentscheidung, muss er sich nach der Dogmatik des AGG an ihr messen lassen. Denn § 7 Abs. 1, 3 Abs. 1 Satz 1 und § 1 AGG knüpfen allesamt an den Grund der Ungleichbehandlung an. Könnte sich der Arbeitgeber dem entziehen, indem er auf die Einschätzung Dritter verweist, liefe das AGG Gefahr, mit seinem Schutzzweck ins Leere zu laufen. Etwas anderes ist das Argument des Arbeitgebers, er sei hier seinen Fürsorgepflichten nachgekommen. Diese berühren aber nicht die Ebene der Kausalität, sondern allenfalls die Rechtfertigung. Eine Schlechterbehandlung wegen der schlechten Gesundheit des Bewerbers ist auch eine Schlechterbehandlung wegen der an die Gesundheit anknüpfende Behinderung, auch wenn sie zu ihrem Schutz erfolgt.
Die Berufung gegen die Entscheidung ist anhängig unter dem Aktenzeichen 5 SLa 166/24.