1.1 Zweck des AGG
Zweck des AGG ist die Schaffung einer diskriminierungsfreien Arbeitswelt. § 1 AGG normiert eine Reihe an Merkmalen, die das Gesetz vor Diskriminierung schützen will.
1.2 Anwendung des AGG im arbeitsrechtlichen Kontext
Auf das AGG berufen können sich nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Bewerber. Das ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG. Das AGG greift in jeder diskriminierungsrelevanten Arbeitssituation. Das heißt Diskriminierungen sind nicht nur unzulässig beim Lohn, dem Arbeitsklima oder bei der Beförderung, sondern auch bei jeder anderen Situation, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergibt.
1.3 Merkmale "Geschlecht" und "sexuelle Identität"
"Geschlecht" und "sexuelle Identität" zählen zu den Merkmalen, die § 1 AGG aufführt. Die Abgrenzung zwischen beiden Merkmalen ist nicht immer einfach – bisweilen gibt es Überschneidungen. Uneinigkeit besteht zum Beispiel bei der Frage, ob Transsexuelle unter das Merkmal "Geschlecht" oder "sexuelle Identität" fallen. Das BAG hält beides für möglich. Praktisch hat die Unterscheidung keine Relevanz; alle Merkmale des § 1 AGG sind gleichwertig.
Geschlecht
Grundsätzlich ist das Merkmal "Geschlecht" biologisch zu verstehen. Es bezieht sich auf die biologische Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht, wobei hier ein Spektrum besteht, das von männlich zu weiblich, zwischengeschlechtlich, zweigeschlechtlich und divers reicht.
Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit welchem das Gericht die Existenz eines dritten Geschlechts rechtlich anerkannt hat, ist klar, dass unter das Merkmal "Geschlecht" nicht nur Männer und Frauen fallen.
Gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG fallen Benachteiligungen Schwangerer und Mütter auch unter das Merkmal "Geschlecht".
Sexuelle Identität
Das Merkmal "sexuelle Identität" bezieht sich grundsätzlich auf die sexuelle Ausrichtung. Zu den Betroffenen von Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Identität zählen vorwiegend Homosexuelle und Bisexuelle. Wichtig dabei ist, dass es sich bei der sexuellen Präferenz um diejenige handeln muss, die identitätsstiftend ist.
1.4 Unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen
Das AGG differenziert zwischen unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligungen.
Unmittelbare Benachteiligungen
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn jemand wegen eines der Merkmale eine schlechtere Behandlung erfährt oder erfahren würde als jemand in einer vergleichbaren Situation. Die unmittelbare Benachteiligung ist der Regelfall bei Benachteiligungen im Bewerbungsprozess.
Mittelbare Benachteiligungen
Eine mittelbare Benachteiligung liegt gem. § 3 Abs. 2 AGG vor, wenn scheinbar neutral wirkende Verhaltensweisen des Arbeitgebers Diskriminierungen verbergen. Dazu zählen Stellenausschreibungen, Entlohnung, Beförderungen, also jegliches mögliche Verhalten des Arbeitgebers, das sich auf Mitarbeiter auswirkt. Dieses Feld ist also deutlich schwieriger zu überblicken als das der unmittelbaren Benachteiligungen.
Praxisbeispiel
Ein Beispiel aus der Praxis für eine geschlechtsbezogene mittelbare Benachteiligung findet sich im kollektiven Arbeitsrecht. In diesem Fall ging es um einen Sozialplan, der für einen pauschalen Zuschlag auf die Abfindung für unterhaltsberechtigte Kinder an die Eintragung des Kindes auf der Lohnsteuerkarte anknüpfte. Das Finanzamt trägt Kinder nicht in die Lohnsteuerkarte ein, wenn der Träger der Karte zur Lohnsteuerklasse V gehört. Das führte dazu, dass Personen, die zur Lohnsteuerklasse V gehören, keinen (Kinder-)Zuschlag auf ihre Abfindung bekamen. Grund hierfür war, dass der Arbeitgeber sich auf die in der Lohnsteuerkarte enthaltenen Informationen stützte. Was nicht auf der Lohnsteuerkarte stand, konnte er nicht berücksichtigen. Weshalb sich aus der Vorenthaltung der Abfindung für Personen der Lohnsteuerklasse III eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ergibt, erklärt sich mit der demographischen Verteilung der jeweiligen Klassen. In die Lohnsteuerklasse III kommen verwitwete Personen und verheiratete Personen, wenn deren Ehepartner die Lohnsteuerklasse V gewählt haben. Diese Wahl ist nur möglich, wenn einer der Ehepartner deutlich mehr verdient als der andere. Der besserverdienende Ehepartner kommt in die Lohnsteuerklasse III, der schlechter verdienende Ehepartner in die Lohnsteuerklasse V. Frauen verdienen nach wie vor oft schlechter als ihre Ehepartner. Daher sind sie überdurchschnittlich oft in der Lohnsteuerklasse III. Hier setzt die Rechtsfigur der mittelbaren Benachteiligung an. Zunächst scheint die Abfindungsregel auf Basis der Informationen der Lohnsteuerkarte neutral. Da aber viel öfter Frauen von ihr betroffen sind als Männer, weil Frauen viel öfter als Männer in der Lohnsteuerklasse III sind, liegt hierin eine mittelbare Benachteiligung. So entschied es das Gericht.