In diesem Fall, den das LAG Berlin-Brandenburg im Oktober 2022 entschied, bedrängte eine Vorgesetzte ihre Untergebene mehrfach mit ungehörigen Nachfragen nach ihrer Herkunft und ihres Sexualverhaltens. Die Vorgesetzte war fortgeschritteneren Alters und schwerbehindert, letzteres bedeutet einen erhöhten Kündigungsschutz gemäß § 168 SGB IX. Auch das fortgeschrittene Alter stärkt den Schutz vor einer Kündigung, da der Arbeitgeber berücksichtigen muss, dass das Alter es der Mitarbeiterin erschwert, eine neue Stelle zu finden. Sie fragte mehrfach, wo die Untergebene herkomme und gab sich nicht damit zufrieden, als diese antwortete, sie komme aus Deutschland. Die betroffene Mitarbeiterin hatte eine dunkle Hautfarbe und das gab der Vorgesetzten Anlass dazu, ihr nicht zu glauben, dass sie aus Deutschland kommt.
Für das Verhalten kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zur Vorgesetzten mit der Begründung, dass ihr Verhalten rassistisch und untragbar sei. Hiergegen klagte die Mitarbeiterin. Im Einzelnen gab es Streit darüber, was die Klägerin genau gesagt hatte. Die Klägerin schilderte aber bereits von selbst, dass sie Nachfragen stellte, die das Gericht als problematisch wertete. Der Arbeitgeber, gegen den sich die Klage richtete, holte weiter aus und warf der Klägerin noch deutlich weitergehende Aussagen vor. Das Gericht entschied entlang der Sachverhaltsdarstellung der Klägerin und hielt eine Beweisaufnahme nicht für notwendig. Das mag man kritisieren. Bedenklich an der Entscheidung ist, dass das Gericht urteilte, dass der Arbeitgeber die Klägerin zunächst hätte abmahnen müssen, sowie dass es sich nicht mit der Frage auseinandersetzte, ob nach der Darstellung des Arbeitgebers die Abmahnung verzichtbar war.
Abmahnung vor verhaltensbedingter Kündigung
Die Rechtsgrundlage dafür, dass der Arbeitgeber regelmäßig vor einer verhaltensbedingten Kündigung abmahnen muss, findet sich in § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieser verlangt vor einer verhaltensbedingten Kündigung die Abwägung der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers. Diese Abwägung führt dazu, dass der Arbeitgeber üblicherweise zuerst abmahnen muss – weil abzumahnen milder ist, als zu kündigen – und daher den Interessen des schutzwürdigen Arbeitnehmers stärker Rechnung trägt. Kommt man bei der Abwägung zum Ergebnis, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann, muss er nicht erst noch abmahnen.
Hier reichten die Punkte nicht für eine Kündigung, ohne vorher die Vorgesetzte abzumahnen. Für die Angemessenheit einer Abmahnung kommt es entscheidend darauf an, ob sie die Aussicht hat, die gewünschte Verhaltensänderung herbeizuführen. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Klägerin gezeigt hatte, dass sie imstande ist, zu lernen und ihr Verhalten nicht zu wiederholen. Es geht nicht darum, dass die Aussichten besonders "rosig" sein müssen, sondern darum, dass sich nicht ohne Weiteres von der Hand weisen lässt, dass die gekündigte Person ihr Verhalten ändern wird. In dem Fall hatte der Arbeitgeber die Vorgesetzte am Tag nach den letzten Äußerungen belehrt. Danach kam es zu keinen weiteren Äußerungen, jedenfalls keine, auf die der Arbeitgeber Bezug nahm, um die Kündigung zu verteidigen. Hieraus ergab sich aus Sicht des Gerichts eine ausreichend positive Prognose, um es bei der Abmahnung zu belassen.
Der Fall zeigt die Spannung auf, die zwischen dem Kampf gegen Rassismus und dem arbeitsrechtlichen Schutz der wirtschaftlichen Existenz der Arbeitnehmer auftreten kann. Es ist sowohl richtig, dass Arbeitgeber gegen Rassismus unter ihren Mitarbeitern vorgehen, als auch rechtlich geboten. Gleichzeitig hängen Arbeitnehmer mit ihrer finanziellen Existenz an ihrem Arbeitsplatz. Das gilt umso mehr bei Menschen, die fortgeschritteneren Alters und schwerbehindert sind.
Es handelt sich um ein heikles Thema. Verständlich ist, dass Arbeitgeber solche Arbeitnehmer möglichst loswerden wollen – nicht zuletzt für den Betriebsfrieden. Aber auch für das Image gibt es hier ein Problem: wer will der Arbeitgeber sein, der an Mitarbeitern festhält, die gegenüber ihren Kollegen rassistische Bemerkungen machen? Allzu ungestüm dürfen Arbeitgeber mit solchen Mitarbeitern nicht umgehen – davor schützt das Arbeitsrecht. Arbeitnehmer hängen regelmäßig mit ihrer Existenz an dem Arbeitsverhältnis. Diese wiegt grundsätzlich schwerer als der Ruf des Unternehmens. Der Betriebsfrieden lässt sich wiederherstellen, indem sich beide Parteien wieder versöhnen. Aus diesem Blickwinkel heraus lässt sich nachvollziehen, dass das Gericht der Mitarbeiterin eine zweite Chance gab. Etwas anderes ist es natürlich, wenn der Mitarbeiter derart grob verbal entgleist, dass ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis für die andere Seite unzumutbar geworden ist.