Kopftuchverbot in der Zahnarztpraxis (ArbG Berlin)
Das Arbeitsgericht Berlin entschied mit Urteil vom 28.3.2012, dass die beklagte Zahnarztpraxis die klagende Bewerberin diskriminiert hat. In diesem Fall bewarb sich eine Muslimin um einen Ausbildungsplatz bei einer Zahnarztpraxis als Zahnarzthelferin. Bereits auf ihrem Lebenslauf war ein Bild von ihr, auf dem sie ein Kopftuch trug. Im Bewerbungsgespräch fragte der Zahnarzt die Bewerberin, ob sie bereit sei, das Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Das begründet dieser damit, dass in der Praxis eine Neutralitätspolitik gelte, wonach niemand religiöse oder politische Bekenntnisse während der Arbeitszeit tragen dürfe. Die Bewerberin ließ in dem Gespräch keinen Zweifel daran, dass sie nicht bereit sei, ihr Kopftuch abzulegen. Das führte zu einer Absage. Zwar hatte die Praxis großes Interesse an der Bewerberin, war aber nicht gewillt, ihr zu erlauben, ein Kopftuch während der Arbeitszeit zu tragen. Die Bewerberin verklagte die Praxis über ein Antidiskriminierungsnetzwerk und machte geltend, dass die Praxis sie aufgrund ihrer Religion diskriminiert habe, und bekam Recht. Die Praxis wendete ein, aufgrund ihrer Unternehmensfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG berechtigt zu sein, neutral aufzutreten. Da sie von sich selbst verlange, neutral aufzutreten, könne sie damit rechtfertigen, die Bewerberin aufgrund ihrer Religion abzulehnen. Außerdem habe sie die Stelle gar nicht besetzt.
Da die Praxis bereits in der E-Mail deutlich machte, weshalb sie plane, die Bewerberin abzulehnen, hatte es das Arbeitsgericht leicht, eine Schlechterbehandlung zu erkennen und kam auch ohne die Beweiserleichterung gemäß § 22 AGG aus. Einer pauschalen Neutralitätspolitik hat das Gericht damit eine Absage erteilt. Einen Rechtfertigungsgrund gemäß § 8 Abs. 1 GG konnte das Gericht nicht erkennen. Ein Kopftuch zu tragen, birgt keine übermäßigen hygienischen Gefahren.
Kopftuchverbot für Erzieherin in Kita (Hessisches LAG)
Etwas mehr Begründungsaufwand leistete das Hessische LAG in einem ähnlichen Fall, den es im November 2021 entschied. Hier ging es ebenfalls um die Bitte des Arbeitgebers an die Bewerberin, kein Kopftuch zu tragen. Ebenso erhielt die Bewerberin eine Absage und die Stelle blieb unbesetzt. Das Gericht erkannte in dem Verhalten der Kita eine mittelbare Diskriminierung gemäß § 3 Abs. 2 AGG, die der Arbeitgeber nicht rechtfertigen konnte.
Im Mittelpunkt des Urteils steht die Frage, wann eine Neutralitätspolitik des Arbeitgebers gerechtfertigt sein könnte.
Wann ist eine Neutralitätspolitik des Arbeitgebers gerechtfertigt?
Das Gericht stand dem Arbeitgeber zu, dass aus seiner Unternehmensfreiheit grundsätzlich das Recht kommt, neutral aufzutreten. Damit die Unternehmensfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG aber die Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG überwiegt, bedarf es konkreter Umstände wie etwa drohende Umsatzeinbußen. Konkret heißt das, dass es sicherer Anhaltspunkte bedarf, aus denen sich entnehmen lässt, dass Umsatzeinbußen eintreten, wenn der Arbeitgeber es Mitarbeitern erlaubt, sich religiös zu bekleiden. Es ist also nicht ausreichend, wenn es plausibel oder nachvollziehbar erscheint, dass Kunden sich abgeschreckt fühlen könnten. Dafür ist die Religionsfreiheit zu wichtig und die Unternehmensfreiheit auch nicht ernsthaft betroffen. Die Entscheidung ist damit unionsrechtskonform. Führt das Tragen von religiöser Bekleidung zu Streit unter den Mitarbeitern, ergibt sich daraus möglicherweise die Rechtfertigung, dem Mitarbeiter zu kündigen. Ein einmaliges und kurzes Wortgefecht, das den reibungslosen Betrieb kaum stört, reicht jedoch nicht. Vielmehr muss der (immer wieder vorkommende) Streit zu bemerkbaren Problemen für den Ablauf der Arbeitsschritte führen.
Vorliegend konnte die Beklagte nicht darlegen bzw. beweisen, dass es durch eine Aufhebung des Kopftuchverbots zu entsprechenden Ereignissen kommen würde.