6.1 Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz

Seit dem 1.1.2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG). Die Vorschrift des § 1 LkSG regelt den persönlichen Anwendungsbereich. Seit dem 1.1.2024 findet das Gesetz auf alle deutschen Unternehmen Anwendung, die mindestens 1.000 Mitarbeiter haben.[1]

Die "Begriffsbestimmungen" in § 2 LkSG konturieren den sachlichen Anwendungsbereich. Zentral ist der Begriff des menschenrechtlichen Risikos in § 2 Abs. 2 LkSG. Als solches gelten diskriminierende Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG. Beispielhaft missbilligt die Norm Anknüpfungen an die Gesundheit, die soziale Herkunft und politische Meinungen und geht damit weiter als § 1 AGG. Gleichzeitig ist der Anwendungsbereich § 2 AGG deutlich weiter gefasst als nur "Beschäftigung" wie in § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG. Das AGG erfasst auch den Zugang zur Beschäftigung wie Bewerbung[2] und Bildung.[3]

Ein Verstoß gegen das AGG hat weitreichende Folgen: Unwirksamkeit der Klausel gemäß § 7 Abs. 2 AGG, Pflichtverletzung gemäß § 7 Abs. 3 AGG, Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 1, 2 AGG und die Sonderrechte in §§ 13 und 14 AGG.

Im Anwendungsbereich des LkSG gelten Sorgfalts- und weitere Pflichten, deren Zweck es ist, das menschenrechtliche Risiko möglichst gering zu halten.[4] Verletzungen ziehen Bußgelder nach sich.[5]

Einer Ansicht nach verdränge das AGG das LkSG, soweit der sachliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist.[6] Damit entfalte das LkSG weder in Bezug auf das Unternehmen selbst noch auf seine inländischen Lieferanten Wirkung. Gründe hierfür seien das engere Merkmalsspektrum und die weitreichenderen Rechtsfolgen des AGG im Vergleich zum LkSG. Jedoch ist der sachliche Anwendungsbereich weiter als der des LkSG. Außerdem ist das LkSG das jüngere Gesetz.[7] Führt man sich vor Augen, dass Auslegungsregeln dazu dienen, Widersprüche entgegenstehender Normen aufzulösen, gelangt man zu einer Abgrenzung der Normen anhand ihres Zwecks.[8] Zweck des LkSG ist es, große deutsche Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, wenn es um die ethisch vertretbare Wertschöpfung geht.[9] Sie sollen sich grundlegender Pflichten nicht dadurch entziehen können, dass sie Schritte ihrer Produkterzeugung outsourcen. Das AGG hingegen hat den Zweck, einen fairen Arbeitsmarkt und Zivilrechtsverkehr für alle zu gewährleisten.[10] Niemand soll durch Diskriminierung an der Teilhabe gehindert werden. Aus diesen unterschiedlichen Zwecken ergibt sich die Abgrenzung der Anwendungsbereiche. Dort, wo es um Zulieferung geht, findet das LkSG Anwendung; dort wo es um die Fairness im deutschen Arbeitsmarkt geht, das AGG. Damit lässt sich die Anwendung der Normen zunächst territorial abgrenzen. Geht es anschließend um inländische Lieferanten, wird die Abgrenzungsfrage problematisch. Anhand des Zwecks kann jedoch auch hier sicher abgegrenzt werden, sodass es auf die Perspektive der jeweiligen Person ankommt. Das LkSG gilt, wenn es um die Zulieferung geht. Unternehmen haften nicht für die Arbeitsbedingungen Dritter. Etwas anderes gilt nur, wenn sie gegen das LkSG verstoßen. Insoweit ist auch das LkSG spezieller als das AGG, weil es um die Wertschöpfungsketten geht. Dafür, dass das LkSG nicht auf ausländische Zulieferer beschränkt ist, spricht § 2 Abs. 5 Satz 1 LkSG.

Bislang ist die Frage nicht gerichtlich geklärt, sodass Arbeitgeber nicht darauf vertrauen können, dass das AGG das LkSG verdrängt. Sollte es zu einer Anwendung des Letzteren im Konkurrenzfall kommen, können Arbeitgeber aber darauf vertrauen, dass inländische Zulieferer ihrerseits durch das AGG verpflichtet sind.

[6] Herresthal, NZA-Beilage 2023, S. 65.
[7] Insoweit gilt der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, Früh, JuS 2021, S. 905.
[8] Früh, JuS 2021, S. 905.
[9] BT-Drucks. 19/28649.
[10] §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 19 AGG; BT-Drucks. 329/06 S. 31 f., 43 f.

6.2 Hinweisgeberschutzgesetz

Relevant ist auch das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG). Dieses Gesetz ist am 2.7.2023 in Kraft getreten und hat zum Ziel, sicherzustellen, dass Mitarbeiter Hinweise sicher und einfach abgeben können, ohne Repressalien befürchten zu müssen.[1] Im Gegensatz dazu verfolgt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) den Zweck, Mitarbeiter vor Diskriminierung zu schützen und ihnen das Recht auf unternehmensinterne Beschwerde zu gewähren.[2] Hierbei stellt sich die Praxisfrage, ob Beschwerde- und Meldestelle identisch sein können, und ob dies sinnvoll ist. Rechtlich gesehen ist es gestattet, dieselbe Stelle bzw. Person zur Beschwerde- und Meldestelle gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG und § 12 Abs. 1 Satz 1 HinSchG zu erklären. Sofern die jeweilige Person gleichermaßen sachkundig ist, bestehen hier keine Bedenken.[3] Führt dieselbe Person beide Stellen aus, trägt dies dazu bei, dass das Unternehmen eine uniforme Kultur schafft, was den Umgang mit Missständen angeht.[4]

Überschneidungen zwischen AGG und HinSchG können insbesondere bei Verstößen auftreten, die sowohl Aspekte der Disk...

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