Zusätzliches Charakteristikum agiler Prozesse ist ein Fokus auf die Visualisierung der einzelnen Prozessschritte und der damit verbundenen Transparenz. Auf für das gesamte Team zugänglichen Boards wird der aktuelle Stand des Prozesses dokumentiert, auf denen u. a. auch die Zuständigkeit der jeweiligen Teammitglieder für die Arbeitsschritte ablesbar ist. Ebenso sind dadurch die relevanten Zahlen für jeden Beteiligten sichtbar und verfügbar.
4.1 Prinzip der Selbstorganisation
Zentrales Charakteristikum für agile Prozesse ist neben der Umstellung auf ein iterativ-inkrementelles Verfahren in erster Linie die Umverteilung von Verantwortung innerhalb des Prozesses. Während es in klassischen Projektstrukturen eine klare Top-Down-Befehlskette gibt und Prozessverantwortung und Entscheidungsgewalt ausschließlich auf der Managementebene liegen, zeichnen sich agile Prozesse dadurch aus, dass Entscheidungen dort und von denen getroffen werden, wo sie den größten Wirkungsgrad und die schnellste Reaktion ermöglichen. Man macht sich hier nicht von einzelnen Personen aufgrund der Hierarchieebene abhängig und vermeidet so die Verringerung von Geschwindigkeit und Flexibilität. Vielmehr werden Entscheidungen im Team getroffen, da das Team durch die tägliche Arbeit am dichtesten an Prozess und Produkt dran ist und somit auch am ehesten über die für die Entscheidung notwendigen Informationen verfügt. Darüber hinaus kann sich das Team durch die Möglichkeit der direkten Einflussnahme stärker mit dem Produkt identifizieren, was letztlich zu einer höheren Verantwortung für die Qualität des Produkts führt.
Durch die Tatsache, dass das Team mit einem hohen Grad an Verantwortung für sich selbst und der Umsetzung des Prozesses betraut ist, wird von ihm ein hoher Grad an Selbstorganisation verlangt. Die Führungskraft mischt sich in dem Sinne nicht mehr darin ein, wie sich das Team bestmöglich organisiert, um die Anforderungen zu bewältigen, sondern dies liegt einzig und allein in der Hand des Teams. Es besteht zwar die Möglichkeit, sich in dieser Frage Unterstützung durch den Scrum bzw. Agile Master zu holen, an sich organisiert sich das Team in seiner Arbeit jedoch komplett eigenständig und pflegt somit das Prinzip der Selbstorganisation.
Ermächtigung der Mitarbeiter
Betrachtet man die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Motivation von Menschen, untermauert dies die Prozessverschiebung hinsichtlich der Ermächtigung der Mitarbeiter und die Verleihung von Verantwortung. Dan Pink beschreibt in seinem Buch "Drive" den Faktor "Autonomy", der Menschen motiviert. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der Wunsch, selbstbestimmt entscheiden und handeln zu können. Auch die anderen beiden Faktoren, die Pink nennt, spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Das Streben nach "Mastery", also der Drang, seine Fähigkeiten immer weiter zu verbessern, treibt Menschen ebenso an wie das Streben nach "Purpose", also einem Sinn und Zweck für das eigene Tun. Durch die Übertragung von Verantwortung und die Ermächtigung, Dinge selbst entscheiden und gestalten zu dürfen, werden alle diese Antriebe unterstützt und die Motivation der Mitarbeiter auf diese Art gesteigert.
4.2 Pull-Prinzip
Verbunden mit der eigenmächtigen Ausgestaltung und Organisation des Prozesses ist auch ein weiteres, für agile Prozesse charakteristisches Prinzip: das Pull-Prinzip. Mithilfe von Transparenz über Umfang und Inhalt von Arbeitspaketen durch entsprechende Planung kann das Team selbst entscheiden, welche Aufgaben es zu welchem Zeitpunkt erledigt. Das Team "zieht" (to pull) sich aktiv Aufgaben und wird nicht seitens der Führungskräfte zur Erfüllung von Aufgaben "gepusht".
4.3 Business und Customer Value Prinzip
Die Priorisierung der Aufgaben erfolgt hier nach 2 weiteren agilen Prinzipien, nämlich denen des Business Value und des Customer Value. Im Idealfall sind diese sogar identisch, sollte doch der Wert, der für das Geschäft erzielt wird, auch direkten Wert beim Kunden generieren und umgekehrt. Durch eine Priorisierung nach diesen Prinzipien wird der Fokus des Teams immer wieder aufs Wesentliche ausgerichtet.
4.4 Time Box-Prinzip
Schließlich handeln die Teams konsequent im Sinne des "Time-Box"-Prinzips. Durch die Sprints sind die zeitlichen Rahmenparameter für den Projektverlauf klar fest abgesteckt, Verschiebungen oder Ausweitungen der Projektzeiträume gibt es nicht. Der Sprint endet immer zum gleichen Zeitpunkt, nur in absoluten Ausnahmefällen ist ein vorheriger Abbruch denkbar. Und auch innerhalb der Meetingstrukturen gilt die Time-Box. Rahmen und Umfang der Meetings sind vorher klar und werden konsequent eingehalten. Dies dient auch dazu, den Fokus zu halten und die Produktivität zu steigern, weil ausufernde Diskussionsrunden keine Chance mehr haben.