Bei einem Wandel von klassisch zu agil sprechen wir auch über einen massiven Wertewandel, denn aufgrund der sich verändernden Umstände rücken auf einmal ganz andere Werte in den Fokus. Das stellt mitunter die Menschen in der Organisation vor Herausforderungen, insbesondere, wenn sie sich zwischen beiden Welten hin und her bewegen, wie es häufig zu Beginn der Fall ist. Dennoch bleiben die Haltung und das Wertesystem der Menschen, die mit den Prozessen arbeiten, der wesentliche Hebel bezüglich der Wirkungskraft der agilen Prozesse. Dieses Element wird häufig unterschätzt. Sehr häufig erleben wir, dass Unternehmen mit agilen Prozessen arbeiten, ohne die dahinterliegenden Werte und Prinzipien umzusetzen. Diese Oberflächlichkeit in der Nutzung agiler Prozess führt dann auch nur zu einem begrenzten Erfolg. Viele Unternehmen klagen dann darüber, dass es in ihrem Kontext aus verschiedenen Gründen nicht möglich sei, diese Werte und Prinzipien umzusetzen. Hier wird das Potenzial deutlich, was viele Organisationen in den anderen 5 Dimensionen haben (häufig in der Kultur), um den agilen Reifegrad deutlich zu steigern.
Aus den Praxiserfahrungen haben sich folgende 6 relevante Haltungen herauskristallisiert:
- Pioniergeist (Offenheit für Veränderungen)
- Vertrauen
- Selbstverantwortung
- Fokus
- Kollaboration
- Lernbereitschaft
Die identifizierten Werte bzw. Haltungen berücksichtigen Aspekte, die maßgeblich für ein agiles Mindset sind und sofern vorhanden positiv auf eine agile Transformation Einfluss nehmen können.
5.1 Pioniergeist
Diese Haltung weist eine gewisse Schnittmenge mit dem agilen Wert "Mut" auf, umfasst aber zusätzlich den Aspekt der Offenheit. Veränderungen sind im agilen Setting der Normalzustand, sodass eine Offenheit hierfür fast zwangsläufig notwendig scheint. Neue Wege einzuschlagen, neugierig auf neuartige Impulse zu sein und Abwechslung zu schätzen sind weitere Indikatoren für einen ausgeprägten Pioniergeist.
5.2 Vertrauen
Die Haltung Vertrauen umfasst einerseits die grundsätzliche Bereitschaft, Vertrauen in seine Mitmenschen – insbesondere seine Kollegen – zu setzen, enthält aber zusätzlich auch die Vertrauenswürdigkeit, mit sensiblen Informationen diskret und angemessen umzugehen und das entgegengebrachte Vertrauen entsprechend zu würdigen. Dieser Wert impliziert ein grundsätzlich positives Menschenbild, angelehnt an McGregors X-Y-Theorie.
5.3 Selbstverantwortung
Zum Aspekt der Selbstverantwortung gehört auch das Thema "Commitment". Menschen, die hinsichtlich dieses Wertes eine hohe Ausprägung aufweisen, bekennen sich klar zu den Aufgaben, die sie übernehmen, und stehen auch für eine gründliche und qualitativ hochwertige Erledigung dieser Aufgaben. Sie zeigen entsprechendes Engagement bei der Zielerreichung und sind aufgrund ihres hohen Grades an Selbstverantwortung in der Lage, selbst festzulegen, auf welche Art und Weise sie die gestellten Anforderungen umsetzen. Mit Enthusiasmus und Überzeugung stehen diese Menschen hinter ihren Projekten.
5.4 Fokus
Mit voller Konzentration bringen Menschen mit einer hohen Ausprägung dieses Wertes ihre Aufgaben konsequent zu einem erfolgreichen Ende, ohne sich von anderen Anforderungen ablenken zu lassen. Sie sind in der Lage, die Wichtigkeit von Aufgaben eigenverantwortlich einschätzen und entsprechend priorisieren zu können. Sie berücksichtigen dabei stets die Bedürfnisse des Kunden und lassen sich auch durch Störungen von außen nicht irritieren. Sie achten nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei anderen Teammitgliedern auf die Einhaltung der fokussierten Arbeitsweise.
5.5 Kollaboration
Menschen mit einer hohen Ausprägung des Wertes Kollaboration schätzen die positiven Effekte, die die Zusammenarbeit mit Teamkollegen hat. Das Wohl der Kollegen ist diesen Menschen ebenso wichtig wie eine zielführende Ergebnisfokussierung. Sie erachten Teamplay und das Agieren auf Augenhöhe als wichtige Säulen für den gemeinsamen Erfolg.
5.6 Lernbereitschaft
Die Bereitschaft, stetig dazuzulernen, ist für die Arbeit in und an einer agilen Organisation unerlässlich. Menschen mit einem entsprechend hoch ausgeprägten Wert hinsichtlich Lernbereitschaft schätzen es, sich beruflich und privat weiterzubilden, in den konstruktiven Austausch mit Kollegen zu gehen, Wissen zu bündeln, aufzusaugen und auch mit anderen zu teilen.
Agilität lässt sich nicht verordnen
In der Praxis wird häufig davon gesprochen, dass bestimmte Menschen nicht das entsprechende "agile Mindset" hätten. Das ist sehr gefährlich, denn es bedeutet oft, dass die anderen agil werden müssen, nur man selbst nicht. Die Anwendung agiler Werte und Prinzipien kann nur jeder bei sich selbst beginnen. Es lässt sich nicht verordnen. Was aber noch entscheidender ist, dass in Unternehmen viel mehr an den Rahmenbedingungen (wie Unterstrukturen, Führungselemente, HR-Instrumente, Unternehmenskulturen) gearbeitet werden sollte, damit das Leben der agilen Werte und Prinzipien überhaupt erst möglich wird.