Prof. Dr. jur. Tobias Huep
1.1 Allgemeine Grundsätze
Eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kann sich aus den unterschiedlichsten Gründen ergeben. Grundsätzlich müssen die Ursachen für die Arbeitsunfähigkeit in der Person des Arbeitnehmers begründet sein. Die Arbeitsunfähigkeit führt rechtlich dazu, dass dem Arbeitnehmer die Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung unmöglich wird..
Der wichtigste Fall der Arbeitsunfähigkeit ist die den Entgeltfortzahlungsanspruch begründende Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Dabei ist zwischen der Krankheit und der Arbeitsunfähigkeit streng zu unterscheiden.
Unterscheidung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit
Die Krankheit ist Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Das Vorliegen einer Krankheit bedeutet jedoch keinesfalls automatisch, dass damit auch die Arbeitsunfähigkeit vorliegt! Erforderlich ist vielmehr die kausale Verknüpfung von Krankheit und der Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Die Beurteilung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit muss in Bezug auf die vom Arbeitnehmer nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags geschuldete Arbeitspflicht erfolgen. Die (gesundheitlichen) Umstände müssen es verhindern, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringen kann. Die Arbeitsunfähigkeit ist nach objektiven Gesichtspunkten zu ermitteln; die Kenntnis oder die subjektive Einschätzung des betroffenen Arbeitnehmers oder dritter Personen ist nicht maßgeblich.
Gleichgestellt ist der Fall, dass der Arbeitnehmer die Tätigkeit aufgrund der ärztlichen Prognose objektiv nicht ausüben sollte, weil anderenfalls die Heilung verhindert oder zumindest verzögert wird. Ausreichend ist es daher, wenn der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern.
Arbeitsrechtlich ist es unbeachtlich, ob der Arbeitnehmer durch die Krankheit ganz oder teilweise arbeitsunfähig ist; auch der vermindert Arbeitsfähige ist arbeitsunfähig krank, ebenso der nach § 74 SGB V (stufenweise Wiedereingliederung) Teilzeitarbeit leistende Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist nicht zu einer Teilzeitbeschäftigung verpflichtet und braucht ihm auch bei Einverständnis mit seiner Teilzeitbeschäftigung keine Vergütung zu zahlen, wenn das nicht besonders vereinbart ist. Davon zu unterscheiden ist der Fall einer bezogen auf den aktuellen Arbeitsplatz an sich uneingeschränkten Leistungsfähigkeit, jedoch einer Einschränkung im Hinblick auf die gesamte Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich zulässigen Leistungsbestimmungen im Sinne des Direktionsrechts gemäß § 106 GewO. In diesem Fall liegt keine Arbeitsunfähigkeit vor, der Arbeitgeber ist vielmehr verpflichtet, sein Weisungsrecht unter Berücksichtigung der Einschränkungen so auszuüben, dass dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung möglich ist.
Wichtige Beurteilungsgrundlage ist die "Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie" des G-BA der Krankenkassen. Die Richtlinie fasst die Vorgaben zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zusammen. Gemäß § 2 Abs. 1 AU-Richtlinie liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustands, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die eine Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen.
Inhaltlich orientiert sich die Begutachtung des Medizinischen Dienstes an der verbindlichen "Begutachtungsanleitung Arbeitsunfähigkeit" des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (SpiBuKK).
Keine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn nur der Arbeitsweg nicht zurückgelegt werden kann, obgleich der Arbeitnehmer arbeiten könnte – insoweit muss der Arbeitnehmer sich um entsprechende Ersatzlösungen kümmern. Auch der Arztbesuch allein bedeutet keine Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitnehmer hat die Behandlung möglichst außerhalb der Arbeitszeit stattfinden zu lassen. Ist dies nicht möglich, besteht nur ein Lohnanspruch nach § 616 BGB.
Keine Arbeitsunfähigkeit ist schließlich auch das altersgemäße Nachlassen der Arbeitskraft.