Gemäß § 94 InsO kann ein Insolvenzgläubiger, der im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits zur Aufrechnung befugt war, auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechnen. Voraussetzung ist, dass im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens bereits eine Aufrechnungslage bestand. Die Aufrechnung ist grundsätzlich nur mit gleichartigen Forderungen möglich, in der Regel handelt es sich um Geldforderungen. Die Forderungen müssen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Das heißt, dass der jeweilige Gläubiger der einen Forderung der Schuldner der anderen Forderung ist. Der aufrechnende Insolvenzgläubiger muss Gläubiger der Gegenforderung sein und Schuldner der Hauptforderung. Die Hauptforderung, gegen die der Insolvenzgläubiger aufrechnet, muss erfüllbar, das heißt sie muss entstanden, nicht notwendig fällig sein. Die Gegenforderung, mit der er aufrechnet, muss wirksam und fällig sein. Es darf kein gesetzlicher oder vertraglicher Ausschluss der Aufrechnung vorliegen.
Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen
Der Insolvenzgläubiger hat eine Forderung gegen das insolvente Unternehmen. Diese Forderung ist im Zeitpunkt der Eröffnung wirksam und fällig. Das Unternehmen hatte vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine fällige Forderung gegen den Insolvenzgläubiger.
Hier kann der Insolvenzgläubiger aufrechnen, da vor Eröffnung des Verfahrens bereits eine Aufrechnungslage bestand.
Gemäß § 95 Abs. 1 InsO kann ein Insolvenzgläubiger auch dann aufrechnen, wenn eine der Forderungen vor Eröffnung des Verfahrens noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig war oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet waren. Fällt das Hindernis für die Aufrechnung erst nach Eröffnung des Verfahrens weg, sodass sich die Forderungen erst nach Eröffnung des Verfahrens aufrechenbar gegenüberstehen, wird die Aufrechnung grundsätzlich nicht ausgeschlossen.
Ausgeschlossen ist die Aufrechnung aber dann, wenn die Forderung des aufrechnenden Insolvenzgläubigers später fällig oder unbedingt wird als die zur Insolvenzmasse gehörende Forderung des Schuldnerunternehmens.
Keine gleichzeitige Fälligkeit beider Forderungen
Der Insolvenzgläubiger hat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Forderung gegen das insolvente Unternehmen, die noch nicht fällig ist. Das Insolvenzverfahren wird am 30.9. eröffnet. Das Unternehmen hatte vor Eröffnung des Verfahrens eine Forderung gegen den Insolvenzgläubiger, die am 30.10. fällig wird. Die Forderung des Insolvenzgläubigers wird erst am 11.11. fällig.
Hier kann der Insolvenzgläubiger nicht aufrechnen, da im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens keine Aufrechnungslage bestand und seine Forderung gegen das Unternehmen später fällig wurde als die gegen ihn gerichtete Forderung. Der Insolvenzgläubiger muss die Fälligkeit seiner Forderung erst abwarten und die Forderung dann zur Insolvenztabelle anmelden.
Gemäß § 96 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 InsO ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung gegen den Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Verfahrens entsteht oder wenn der Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Verfahrens eine Forderung gegen das Schuldnerunternehmen erwirbt.
Beispiel 1: Forderung des Schuldnerunternehmens entsteht erst nach Insolvenzeröffnung
Der Insolvenzgläubiger hat vor Eröffnung des Verfahrens eine Forderung gegen das Schuldnerunternehmen. Nach Eröffnung des Verfahrens entsteht eine Gegenforderung des Schuldnerunternehmens gegen den Insolvenzgläubiger.
Hier kann der Insolvenzgläubiger nicht aufrechnen, da er im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich durch Aufrechnung von seiner Schuld befreien kann.
Beispiel 2: Forderungsabtretung nach Insolvenzeröffnung
Der Insolvenzgläubiger schuldet einem Unternehmen die Zahlung einer Geldsumme. Über das Vermögen des Unternehmens wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzgläubiger lässt sich von einem Dritten eine Forderung, die dieser gegen das Schuldnerunternehmen hat, nach Eröffnung des Verfahrens abtreten.
Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, da der Insolvenzgläubiger im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht darauf vertrauen konnte, dass er sich durch Aufrechnung von seiner Schuld befreien kann.
Die Aufrechnung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ausgeschlossen, wenn der Insolvenzgläubiger seine Forderung gegen das Schuldnerunternehmen durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben hat.
Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung
Der Insolvenzgläubiger schuldet dem Schuldnerunternehmen die Zahlung einer Geldsumme. Das Unternehmen hat bereits alle Zahlungen eingestellt und ist zahlungsunfähig. In dieser kritischen Zeit erwirbt der Insolvenzgläubiger eine gleichhohe Forderung aus Warenlieferung gegen das Schuldnerunternehmen und erhält aufgrund der Zahlungseinstellung keine Zahlungen. Der Insolvenzgläubiger kennt die kritische Situation des Unternehmens und erklärt die Aufrechnung. 4 Wochen später wi...