Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss. EUGH. Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG. Massenentlassung
Leitsatz (amtlich)
Vorlagebeschluss zwecks Vorabentscheidung durch den EUGH bezüglich folgender Fragen:
1.
- Ist die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass das Konsultationsverfahren im Sinne des Artikel 2 der Richtlinie schon dann abgeschlossen ist, wenn die unmittelbaren Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmervertretern gescheitert sind, oder müssen, wenn der Arbeitgeber und/oder die Arbeitnehmervertreter eine im nationalen Recht vorgesehene betriebliche Einigungsstelle anrufen, auch die Verhandlungen vor dieser Stelle abgeschlossen sein?
- Für den Fall, dass die zweite Alternative bejaht wird, verlangt die Richtlinie, dass vor dem Ausspruch der Kündigungen sowohl die Verhandlungen in der Einigungsstelle über die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, als auch die Verhandlungen über die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern, abgeschlossen sind?
2.
- Ist die Richtlinie dahin auszulegen, dass die Anzeige bei der Arbeitsbehörde nach Artikel 3 der Richtlinie erst nach dem Abschluss des Konsultationsverfahrens vorgenommen werden darf?
- Für den Fall, dass die Frage zu a) bejaht wird, müssen vor der Erstattung der Anzeige sowohl die Verhandlungen über die Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen als auch die Verhandlungen über die Folgenmilderungen abgeschlossen sein?
Hinweis: Die Vorlagefragen sind auch dann relevant, wenn unter „Entlassung” im Sinne der §§ 17f KSchG abweichend von der EuGH-Entscheidung vom 27.1.2005 (Rs. C-188/03 Junk/Kühnel) nicht der Ausspruch der Kündigung zu verstehen wäre.
Normenkette
EG Art. 234; KSchG § 17 ff.
Tenor
I.
Die Kammer 79 des Arbeitsgerichts Berlin legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
- Ist die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass das Konsultationsverfahren im Sinne des Artikel 2 der Richtlinie schon dann abgeschlossen ist, wenn die unmittelbaren Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmervertretern gescheitert sind, oder müssen, wenn der Arbeitgeber und/oder die Arbeitnehmervertreter eine im nationalen Recht vorgesehene betriebliche Einigungsstelle anrufen, auch die Verhandlungen vor dieser Stelle abgeschlossen sein?
- Für den Fall, dass die zweite Alternative bejaht wird, verlangt die Richtlinie, dass vor dem Ausspruch der Kündigungen sowohl die Verhandlungen in der Einigungsstelle über die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, als auch die Verhandlungen über die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern, abgeschlossen sind?
- Ist die Richtlinie dahin auszulegen, dass die Anzeige bei der Arbeitsbehörde nach Artikel 3 der Richtlinie erst nach dem Abschluss des Konsultationsverfahrens vorgenommen werden darf?
- Für den Fall, dass die Frage zu a) bejaht wird, müssen vor der Erstattung der Anzeige sowohl die Verhandlungen über die Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen als auch die Verhandlungen über die Folgenmilderungen abgeschlossen sein?
II.
Es wird angeregt, das Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.
III.
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ausgesetzt.
Gründe
Im hier noch zu entscheidenden Ausgangsverfahren streiten die Klägerin und die Beklagte zu 1) über die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen im Rahmen einer Massenentlassung. Das Verfahren hinsichtlich der Beklagten zu 2) ist erstinstanzlich durch Teilurteil abgeschlossen.
I.
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin ist seit dem 2. Mai 1991 als gewerbliche Mitarbeiterin bei der Beklagten zu 1) bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt.
Die Beklagte zu 1) betrieb ein Unternehmen der Medienbeobachtung. Einzige Auftraggeberin war die Beklagte zu 2). Diese wurde ihrerseits von einer Vielzahl von Unternehmen damit beauftragt, regelmäßig erscheinende Publikationen (Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigenblätter usw.) auf das Vorkommen von Artikeln mit bestimmten Stichworten zu untersuchen. Zuletzt wurden bei der Beklagten zu 1) für die Beklagte zu 2) ca. 800 Zeitungen und Anzeigenblätter regelmäßig ausgewertet. Mit Schreiben vom 28. Juli 2005 kündigte die Beklagte zu 2) das Auftragsverhältnis gegenüber der Beklagten zu 1) zum 31.Oktober 2005. Die einzige Gesellschafterin der Beklagten zu 1) beschloss am 11. August 2005 auf einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung die Zustimmung zur Liquidierung der Gesellschaft zu erteilen.
Mit Schreiben vom 3. August 2005 teilte die Beklagte zu 1) dem bei ihr bestehenden Betriebsrat gemäß § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) mi...