8.2.1 Bedeutung der "haftungsrechtlichen Regelung des § 613a BGB"
Rz. 92
Bevor die Auswirkungen eines Betriebsübergangs in der Insolvenz für den Urlaubsanspruch, den Urlaubsentgelt- sowie den Urlaubsabgeltungsanspruch im Einzelnen darzustellen sind, seien zum besseren Verständnis vorab die Grundzüge der Rechtsprechung des BAG zur Einschränkung der "haftungsrechtlichen Regelung des § 613a BGB" skizziert. Die Haftung des Erwerbers im Sinne der Pflicht nach § 613a BGB, in die Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen einzutreten, ist bei einer Veräußerung nach Insolvenzeröffnung eingeschränkt, da ansonsten die anderen Insolvenzgläubiger benachteiligt würden.
Rz. 93
In den Urteilen vom 18.11.2003 bestätigte das BAG die Auffassung, dass § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch auf eine Betriebsveräußerung durch den Insolvenzverwalter Anwendung findet. Dabei ist zunächst zu beachten, dass bei der Prüfung, welche Ansprüche überhaupt auf den Erwerber übergehen, nicht auf die Person des Insolvenzverwalters abzustellen ist, sondern auf diejenige des insolventen Arbeitgebers, dessen Betrieb veräußert wird. Da der Insolvenzverwalter nicht Rechtsinhaber, sondern nur Verfügungsrechtsinhaber ist, erfolgt bei Rechtsgeschäften durch den Insolvenzverwalter die Rechtszuordnung zum Rechtsträger, also zum insolventen Arbeitgeber, und nicht zum Verfügungsberechtigten, dem Insolvenzverwalter. Im Fall eines Betriebsübergangs infolge Rechtsgeschäfts zwischen Insolvenzverwalter und Erwerber tritt Letzterer in die Rechtsstellung ein, die dem Rechtsträger, dem insolventen Arbeitgeber, zuzuordnen ist. Der Insolvenzverwalter ist gesetzlicher Vertreter der Masse, er bewirkt Rechtsfolgen für und gegen die Masse und den Insolvenzschuldner als Masseträger.
Rz. 94
Das BAG schränkt die "haftungsrechtliche Regelung des § 613a BGB" für den Fall einer Betriebsveräußerung nach Insolvenzeröffnung aber ein: Bereits zur Konkursordnung vertrat es die Auffassung, § 613a BGB sei wegen des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung bei der Veräußerung eines Betriebs in einem Konkursverfahren nicht anwendbar, soweit eine Haftung des Betriebserwerbers für bereits entstandene Ansprüche begründet würde. Würde die vom Betriebserwerber übernommene Belegschaft einen neuen zahlungskräftigen Haftungsschuldner für bereits entstandene Ansprüche erhalten, wäre sie im Verhältnis zu anderen Konkursgläubigern unangemessen bevorzugt. Dieser Vorteil müsste von den übrigen Konkursgläubigern finanziert werden, weil der Betriebserwerber den an die Masse zu zahlenden Kaufpreis mit Rücksicht auf die übernommene Haftung mindern würde. An dieser Auslegung von § 613a BGB hält das BAG auch unter Geltung der Insolvenzordnung fest.
Erfolgt der Betriebsübergang nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, haftet der Betriebserwerber nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG für solche Ansprüche nicht, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (sog. Insolvenzforderungen). Nicht betroffen davon sind Masseforderungen i. S. d. § 109 InsO. Für diese haftet der Erwerber uneingeschränkt.
Der 3. Senat des BAG hat für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung nach Vorlage an den EuGH festgestellt, dass die einschränkende Auslegung des § 613a BGB nicht im Widerspruch zu Unionsrecht steht. Dabei hat es ausdrücklich auf die Rechtsprechung zur eingeschränkten Haftung des Erwerbers hingewiesen. Es hat einerseits diese Haftungsgrundsätze bestätigt, andererseits aber maßgeblich darauf abgestellt, dass der nach Art. 3 Abs. 4b RL 2001/23/EG ("Betriebsübergangsrichtlinie") i. V. m. Art. 8 RL 2008/94/EG gewährte Mindestschutz durch einen unionsrechtlich begründeten unmittelbaren Anspruch gegen den Pensionssicherungsverein sichergestellt ist. Ob und wie ein solcher Mindestschutz für Ansprüche auf Urlaubsgewährung, auf Urlaubsentgelt sowie Urlaubsabgeltung aussehen könnte, kann dahinstehen. Für eine solche Sicherung besteht kein unionsrechtliches Bedürfnis. Vielmehr können die Haftungsregeln des § 613a BGB uneingeschränkt weitergelten (vgl. Rz. 92, aber auch nachfolgend Rz. 95 ff.). Maßgeblich liegt das daran, dass Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis nur dann Insolvenzforderungen nach § 108 Abs. 3 InsO und deshalb nicht vom Erwerber zu befriedigen sind, wenn es sich um solche "für" die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt. Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung sind aber nicht "für" einen bestimmten Zeitraum geschuldet, solange sie noch nicht zeitlich festgelegt sind bzw. das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist. Sie können dann auch nicht einem bestimmten Zeitabschnitt vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden. Der Erwerber ist deshalb auch in der Insolvenz zur vollen Erfüllung dieser Ansprüche verpflichtet, nicht nur zur anteiligen. Der Betriebsübergang wirkt sich nicht aus.