Rz. 53
Von der Ankündigung bis zur Beendigung der Pflegezeit, der Betreuung eines minderjährigen pflegebedürftigen nahen Angehörigen oder der Sterbebegleitung genießt der Beschäftigte absoluten Sonderkündigungsschutz. Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis also ab Zugang der Ankündigung nicht mehr kündigen (§ 5 Abs. 1 PflegeZG). Dem jeweiligen Beschäftigten soll dadurch die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes genommen werden. Das Kündigungsverbot gilt dabei sowohl für den Ausspruch einer ordentlichen als auch den Ausspruch einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung. Es differenziert auch nicht nach dem Kündigungsgrund; d. h. es gilt sowohl für betriebsbedingte als auch personen- und verhaltensbedingte Kündigungen.
Rz. 54
In Anlehnung an § 18 BEEG kann die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle eine Kündigung ausnahmsweise für zulässig erklären (§ 5 Abs. 2 PflegeZG).
Rz. 55
Eine Höchstfrist, bis zu der der Beschäftigte die beabsichtigte Pflegezeit maximal vorher ankündigen darf, sieht das PflegeZG nicht vor. Der Sonderkündigungsschutz besteht (seit 1.1.2015) jedoch höchstens für einen Zeitraum von 12 Wochen vor dem angekündigten Beginn bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG oder der Pflegezeit und der Freistellung nach § 3 PflegeZG. Ursprünglich gab es keine Höchstfrist. Der Gesetzgeber hat daraufhin nachträglich die 12-Wochen-Frist eingeführt, um zu verhindern, dass Beschäftigte ansonsten die Pflegezeit weit im Voraus ankündigen konnten und damit kündigungsrechtlich für einen unverhältnismäßig langen Zeitraum vor ihrer Freistellung gegenüber anderen Beschäftigten bessergestellt worden wären.
Auch nach Einführung der 12-Wochen-Frist birgt § 5 PflegeZG jedoch erhebliche Missbrauchsgefahren. So ist insbesondere ein Missbrauch durch einen Beschäftigten dann denkbar, wenn eine Kündigung droht. Im Falle einer betriebsbedingten Kündigung könnte der Beschäftigte durch das Vorschieben des besonderen gesetzlichen Kündigungsschutzes dafür sorgen, dass er von der Sozialauswahl auszunehmen ist. Auch im Falle einer beabsichtigten personen- oder verhaltensbedingten Kündigung könnte ein Beschäftigter versucht sein, durch die Inanspruchnahme von Pflegezeit ein Kündigungsverbot herbeizuführen. Eine Grenze bilden hier die Grundsätze von Treu und Glauben; d. h. der Sonderkündigungsschutz besteht dann nicht, wenn die Ankündigung der beabsichtigten Pflegezeit nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls treuwidrig wäre. Für Rechtsmissbrauch spricht indiziell die zeitliche Nähe der Ankündigung der Pflegezeit zu einer zuvor in Aussicht gestellten Kündigung. Anzeichen für Rechtsmissbrauch gibt es dagegen nur im Ausnahmefall, wenn der Beschäftigte die Pflege bei wechselnder Betreuung durch mehrere Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft übernehmen will, die häusliche Pflege erst nach einer längeren stationären Heilbehandlung erfolgen kann oder zunächst Umbauten nötig sind, um eine häusliche Pflege zu ermöglichen. Weshalb die in der Zukunft liegenden Gründe lediglich vorgeschoben sein sollen, um den Sonderkündigungsschutz des § 5 zu erlangen, muss im Streitfall der Arbeitgeber darlegen und beweisen. Trägt der Arbeitgeber Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Sonderkündigungsschutzes vor, hat der Arbeitnehmer Zweifel an der Redlichkeit seiner Rechtsausübung durch konkreten Sachvortrag zu zerstreuen. Das kann durch Offenlegung seiner der Rechtsausübung zugrunde liegenden schutzwürdigen Eigeninteressen geschehen.
Beispiel
Der Arbeitgeber beantragt beim Integrationsamt die Zustimmung zum Ausspruch einer ordentlichen personenbedingten Kündigung einer als schwerbehindert anerkannten Arbeitnehmerin mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende. Das Integrationsamt führt nach Vorliegen der ärztlichen Befunde einen Erörterungstermin durch, in welchem es ankündigt, die Zustimmung zur Kündigung zu erteilen. Am Tag des Zugangs der Zustimmungsentscheidung nimmt die zu diesem Zeitpunkt bereits seit über einem Jahr arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmerin unter Hinweis auf die bevorstehende Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit Pflegeteilzeit (Verringerung der Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden) zur Pflege ihres pflegebedürftigen Ehemanns für die Dauer von 6 Monaten in Anspruch.
Aufgrund des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags hätte die Arbeitnehmerin bereits einen tariflichen Anspruch auf Teilzeit zur Pflege eines pflegebedürftigen Angehörigen. Der Arbeitgeber bestätigt die Verringerung der Arbeitszeit auf der Grundlage des Tarifvertrags und kündigt das Arbeitsverhältnis personenbedingt.
Die Inanspruchnahme der Pflegeteilzeit durch die Arbeitnehmerin ist rechtsmissbräuchlich. Angesichts der Umstände des Einzelfalls (unmittelbare zeitliche Nähe zur angekündigten personenbedingten Kündigung und der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts sowie zu dem tariflich bestehenden Anspruch a...