Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittelbegründung nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde. Unverzichtbarkeit zumindest einer Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Anwaltsverschulden
Leitsatz (amtlich)
Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde bedarf es einer eigenständigen Revisions- oder Rechtsbeschwerdebegründung innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist auch dann, wenn schon die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen des § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO bzw. des § 94 Abs. 2 ArbGG entspricht. Hierfür genügt gem. § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Orientierungssatz
1. Mit stattgebendem Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde gilt die Revision oder Rechtsbeschwerde gem. § 72a Abs. 6 ArbGG als bereits eingelegt. Innerhalb der mit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses beginnenden Zweimonatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist die Revision bzw. Rechtsbeschwerde nunmehr eigenständig zu begründen.
2. Die Begründungspflicht entfällt nicht dadurch, dass schon die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den formalen und inhaltlichen Anforderungen des § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO bzw. des § 94 Abs. 2 ArbGG entspricht. Auch in diesem Fall kann auf eine gesonderte Revisions- oder Rechtsbeschwerdebegründung nicht verzichtet werden; eine Vereinfachung liegt nur darin, dass es gem. § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO unter dieser Voraussetzung genügt, auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug zu nehmen. An dem Erfordernis einer eigenständigen Rechtsmittelbegründung zumindest in Gestalt einer solchen Bezugnahme ist insbesondere deshalb festzuhalten, weil andernfalls eine rechtssichere Bestimmung des Beginns der Anschließungsfrist des § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht möglich ist.
3. Eine Partei war iSd. § 233 ZPO iVm. § 85 Abs. 2 ZPO nur dann ohne ihr Verschulden gehindert, eine gesetzliche Frist zu wahren, wenn ihr Prozessbevollmächtigter das Möglichste getan hat, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen.
4. Der Prozessbevollmächtigte hat die gebotene anwaltliche Sorgfaltspflicht verletzt, wenn er bei erfolgter eigener Durchsicht des Fristenkalenders die Streichung einer Hauptfrist erkennen konnte und dies angesichts der konkreten Umstände Anlass für ihn hätte sein müssen, die Berechtigung der Streichung zu überprüfen.
Normenkette
ArbGG §§ 92a, 92 Abs. 2, §§ 74, 72a Abs. 6, § 72 Abs. 5; ZPO § 551 Abs. 3 S. 2, § 554 Abs. 2 S. 2, §§ 233, 85 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Berlin (Beschluss vom 29.11.2005; Aktenzeichen 7 TaBV 1471/05) |
ArbG Berlin (Beschluss vom 27.04.2005; Aktenzeichen 77 BV 28986/04) |
Tenor
1. Der Antrag der Arbeitgeberin auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. November 2005 – 7 TaBV 1471/05 – wird als unzulässig verworfen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle, den die Arbeitgeberin angefochten hat. Die Vorinstanzen haben deren Feststellungsanträge abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht hat die Arbeitgeberin erfolgreich Beschwerde eingelegt. Der die Rechtsbeschwerde zulassende Beschluss des Senats vom 18. Juli 2006 wurde ihr laut anwaltlichen Empfangsbekenntnisses am 4. August 2006 zugestellt. Bis zum Ablauf des 4. Oktober 2006 ging eine Schrift zur Rechtsbeschwerdebegründung beim Bundesarbeitsgericht nicht ein. Darauf wurde die Arbeitgeberin am 9. Oktober 2006 telefonisch hingewiesen. Mit einem am 18. Oktober 2006 eingegangenen Schriftsatz hat sie die Auffassung vertreten, ihre Schriftsätze zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde seien als Rechtsbeschwerdebegründung zu behandeln. Sie enthielten einen Sachantrag und erfüllten auch die weiteren Begründungsanforderungen. Hilfsweise hat die Arbeitgeberin beantragt, ihr “Wiedereinsetzung gem. § 233 ZPO” zu gewähren, und hat dazu die Rechtsbeschwerde unter Ankündigung von Sachanträgen erneut begründet.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs bringt die Arbeitgeberin – eidesstattlich versichert – vor, im vorliegenden Verfahren sei auf Grund eines Versehens des Büropersonals ihrer Verfahrensbevollmächtigten als Ablauf der Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung der 12. Oktober 2006 notiert worden. Ursprünglich sei im Fristenkalender und auf der Abschrift des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Juli 2006 als Hauptfrist der 4. Oktober 2006, als Ablauf der Vorfrist der 27. September 2006 vermerkt worden. Dementsprechend sei ihrer Verfahrensbevollmächtigten die Akte am 27. September 2006 vorgelegt worden und von da an in deren Büro verblieben. Noch am Folgetag habe diese mit ihrer Kollegin über die Sache als solche und die Notwendigkeit gesprochen, eine Rechtsbeschwerdebegründung zu fertigen. In den Tagen darauf sei ihre Verfahrensbevollmächtigte wegen ihres gerade erst beendeten Urlaubs und der Abwesenheit der von ihr zu vertretenden Kollegin sehr beschäftigt gewesen. Gleichwohl sei ihr der baldige Fristablauf in der vorliegenden Sache ständig bewusst gewesen, wenn auch nicht als genaues Datum. Dann aber müsse die zuständige Sekretärin die Frist vom 4. Oktober 2006 gelöscht und eine Frist auf den 12. Oktober 2006 notiert haben. Die ursprüngliche Frist sei mit deren Kürzel im Fristenkalender durchgestrichen, als Fristablauf stattdessen der 12. Oktober 2006 festgehalten worden. Wann und warum dies erfolgt sei, lasse sich mangels Erinnerungsvermögens der Mitarbeiterin nicht aufklären. Vor Ablauf und Erledigung dürften die Sekretärinnen notierte Fristen nur nach ausdrücklicher anwaltlicher Anweisung löschen oder umtragen. Eine solche Anweisung sei nicht erfolgt. Am 4. Oktober 2006 hätten die Sekretärinnen das Fristenbuch gegen 17.00 Uhr an ihre – der Arbeitgeberin – Verfahrensbevollmächtigte übergeben. Zu dieser Zeit müsse die Frist in der vorliegenden Sache bereits gestrichen gewesen sein. Die Verfahrensbevollmächtigte habe nach Erledigung anstehender Arbeiten selbst einige Fristen mit schwarzer Kugelschreibertinte gelöscht, die Frist in der vorliegenden Sache sei dagegen mit blauer Tinte gelöscht und neu eingetragen worden. Vor ihrem eigenen Weggang am 4. Oktober 2006 kurz nach 20.00 Uhr habe die Verfahrensbevollmächtigte zusammen mit einer Kollegin das Fristenbuch kontrolliert und festgestellt, dass keine Frist mehr offen gewesen sei, auch nicht die Frist “Rechtsbeschwerdebegründung” im vorliegenden Verfahren – was “wahre Alarmglocken” ausgelöst hätte.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unzulässig. Sie wurde nicht fristgerecht begründet. Ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegt nicht vor.
I. Die Arbeitgeberin hat die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde versäumt.
1. Gem. § 92a Satz 2 ArbGG iVm. § 72a Abs. 6 ArbGG wird das Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bei deren Erfolg als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gilt als Einlegung der Rechtsbeschwerde. Mit der Zustellung der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde beginnt die Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung. Sie beträgt nach § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG zwei Monate. Innerhalb der im Streitfall am 4. Oktober 2006 endenden Frist ist eine Schrift zur Rechtsbeschwerdebegründung beim Bundesarbeitsgericht nicht eingegangen.
2. Eine gesonderte Begründung der Rechtsbeschwerde war nicht deshalb entbehrlich, weil diese in Form der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bereits vorgelegen hätte. Zwar kann zur Begründung einer vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG, § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden. Für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde genügt dies aber nur, wenn zum einen die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den inhaltlichen Anforderungen des § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG entspricht und zum anderen die Bezugnahme innerhalb der Zweimonatsfrist des § 92a Satz 2 ArbGG iVm. § 72a Abs. 6 Satz 3 ArbGG und § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bei Gericht eingeht. Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 24. März 2006 den Anforderungen des § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG genügt. Jedenfalls ist eine Bezugnahme nicht fristgerecht erfolgt. Auf diese hat das Gesetz entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht verzichtet. Das ergibt die Auslegung des auch für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren maßgeblichen § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
a) Für die Unverzichtbarkeit einer gesonderten und nach der Zulassungsentscheidung erfolgten Bezugnahme spricht der Wortlaut der Vorschrift. Danach kann im Fall der Zulassung der Revision auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde zur Begründung der Revision auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden. Die Formulierung gibt eine bestimmte Reihenfolge vor. Erst nachdem die Revision zugelassen worden ist, soll zu ihrer Begründung auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden können. Dies kann folglich erst anschließend und muss eigens geschehen. Die Formulierung legt zudem den Umkehrschluss nahe, dass eine gesonderte Rechtsmittelbegründung jedenfalls in Form einer solchen Bezugnahme stets erforderlich ist (BGH 20. Dezember 2007 – III ZR 27/06 – NJW 2008, 588, zu II 1 der Gründe).
b) Das vom Wortlaut nahegelegte Verständnis erweist sich unter systematischen Gesichtspunkten als zutreffend.
aa) Zivilprozessordnung und Arbeitsgerichtsgesetz unterscheiden deutlich zwischen dem Verfahren zur Zulassung der Revision/der Rechtsbeschwerde und dem Revisions-/Rechtsbeschwerdeverfahren selbst. Gem. § 544 Abs. 6 ZPO und gem. § 72a Abs. 6 ArbGG bzw. § 92a Satz 2 ArbGG iVm. § 72a Abs. 6 ArbGG ist das Zulassungsverfahren mit der positiven Entscheidung über die Zulassung beendet. Erst im Anschluss daran beginnt das Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren.
Der vom Gesetz vorgegebene Ablauf verlangt nach einer klaren Trennung der Verfahrenselemente. Zwar gilt bei positiver Zulassungsentscheidung zur Beschleunigung des Verfahrens die Revision/die Rechtsbeschwerde als solche von Gesetzes wegen als schon eingelegt. Eine Begründung ist aber auch nach vorangegangenem Zulassungsverfahren unentbehrlich. Das ist schon deshalb sachgerecht, weil die Gründe für die Zulassung der Revision/der Rechtsbeschwerde und die Gründe, aus denen die Entscheidung des Berufungs- bzw. Beschwerdegerichts in der Sache angefochten wird, in der Regel nicht dieselben sind. Verlangt wird eine eigenständige Begründung der Revision/der Rechtsbeschwerde als eindeutig dem Revisions- bzw. dem Rechtsbeschwerdeverfahren zuzuordnendes Element. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, erleichtert die Regelung in § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO zwar die Erstellung der Revisions-/Rechtsbeschwerdebegründung, falls denn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde doch schon die Gründe für die Anfechtung der Sachentscheidung enthält. Dennoch bleibt das Erfordernis der selbständigen Begründung in Form der Bezugnahme erhalten (BGH 20. Dezember 2007 – III ZR 27/06 – NJW 2008, 588, zu II 1 der Gründe; BVerwG 8. März 2004 – 4 C 6/03 – NVwZ-RR 2004, 541, zu 1 der Gründe; 30. Juni 1998 – 9 C 6.98 – BVerwGE 107, 117, zu A 2a der Gründe; Büttner NJW 2004, 3524; anderer, aber laut Beschluss vom 20. Dezember 2007 nicht mehr aufrechterhaltener Ansicht BGH 7. Juli 2004 – IV ZR 140/03 – NJW 2004, 2981).
bb) Es kommt hinzu, dass ohne eine gesonderte Begründungsschrift, und sei es in Form einer bloßen Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, nicht zuverlässig feststeht, wann die Monatsfrist zur Einlegung eines Anschlussrechtsmittels zu laufen beginnt. Gem. § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO beginnt sie mit der Zustellung der Revisionsbegründung. Diese gesetzliche Anknüpfung an die Zustellung der Begründungsschrift würde versagen, wenn es einer noch zuzustellenden gesonderten Begründung gar nicht bedürfte (BGH 20. Dezember 2007 – III ZR 27/06 – NJW 2008, 588, zu II 2 der Gründe).
Für den Fristbeginn stattdessen an andere Ereignisse anzuknüpfen, stünde mit dem Gesetz nicht in Einklang und würde die Wahrnehmung des Rechts zur Einlegung eines Anschlussrechtsmittels ohne zureichenden Grund erschweren. In Betracht käme, auf den Zugang des Zulassungsbeschlusses beim Rechtsmittelgegner/Anschlussrechtsmittelführer abzustellen, und für den Fall, dass der Rechtsmittelführer seine Revisionsbegründung innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist noch ergänzt, daran den Neubeginn der Anschließungsfrist zu knüpfen. In Betracht käme ferner, auf den Ablauf der Frist zur Revisions-/Rechtsbeschwerdebegründung für den Hauptrechtsmittelführer abzustellen oder das Anschlussrechtsmittel zeitlich unbefristet bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zuzulassen. Jede dieser Möglichkeiten hätte Wertungswidersprüche zur Folge. Die erste Alternative könnte den Anschlussrechtsmittelführer dazu zwingen, die Anschließung zu erklären und zu begründen, bevor er die abschließende Rechtsmittelbegründung des Hauptrechtsmittelführers kennt; die zweite widerspräche dem Grundsatz der Rechtssicherheit, weil dem Rechtsmittelgegner der Zeitpunkt der Zustellung des Zulassungsbeschlusses beim Rechtsmittelführer nicht bekannt ist. Die dritte Alternative verstieße gegen Sinn und Zweck von § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der für alle Beteiligten eine sorgfältige und umfassende Vorbereitung der Verhandlung vor dem Revisions-/Rechtsbeschwerdegericht gewährleisten soll (BGH 20. Dezember 2007 – III ZR 27/06 – NJW 2008, 588, zu II 2 der Gründe).
II. Eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde kommt nicht in Betracht. Der betreffende Antrag der Arbeitgeberin ist gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG, §§ 234, 236 ZPO zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 233 ZPO ist einer Partei unter anderem hinsichtlich der Einhaltung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist zu wahren. Wegen § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Die Vorschriften gelten im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gleichermaßen.
Wurde ein Bevollmächtigter tätig, muss der Antragsteller einen Geschehensablauf vortragen, der ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zweifelsfrei ausschließt (BAG 10. Januar 2003 – 1 AZR 70/02 – AP ZPO 1977 § 233 Nr. 80 = EzA ZPO 2002 § 233 Nr. 1; BGH 21. Februar 1983 – VIII ZR 343/81 – VersR 1983, 401). Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die anwaltliche Sorgfaltspflicht, in Fristsachen das Möglichste zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und der Behandlung von Fristen auszuschließen (BGH 9. Oktober 2007 – XI ZB 14/07 –, zu II 1a der Gründe mwN; 30. März 2006 – III ZR 6/05 – FamRZ 2006, 856, zu II 2 der Gründe mwN).
2. Im Streitfall hat die Verfahrensbevollmächtigte der Arbeitgeberin die zur Fristwahrung erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Zwar ist auf der Grundlage des von der Arbeitgeberin umfassend vorgetragenen und – wenn auch ohne Übermittlung von Ablichtungen aus dem Fristenbuch – glaubhaft gemachten Geschehensablaufs ein anwaltliches Organisationsverschulden nicht erkennbar. Die Verfahrensbevollmächtigte trifft kein Verschulden an der späteren Streichung der zunächst richtig notierten Hauptfrist durch eine der Sekretärinnen. Der Verfahrensbevollmächtigten hätte jedoch gerade dieser Umstand – die Streichung der Frist – bei der Kontrolle des Fristenkalenders am Abend des 4. Oktober 2006 auffallen und sie zur Aufklärung anhalten müssen.
Wie die Arbeitgeberin vorgetragen hat, war ihrer Bevollmächtigten die Verfahrensakte bei Vorfristablauf am 27. September 2006 vorgelegt worden. Dieser war nach ihrem eigenen Bekunden von diesem Zeitpunkt an die Notwendigkeit der Erstellung einer Rechtsbeschwerdebegründung und der alsbaldige Fristablauf durchgehend bewusst, weil es sich um eine wichtige Angelegenheit und eines der beiden einzigen zum Bundesarbeitsgericht gelangten Verfahren des Büros handelte. Die Sache war sodann im Fristenkalender für den 4. Oktober 2006 zwar gestrichen worden, war dort aber für dieses Datum mit dem ursprünglichen und anschließend gestrichenen Hinweis auf den Ablauf der Hauptfrist unter Angabe der Namen der Verfahrensbeteiligten weiterhin sichtbar eingetragen. Dies konnte die Verfahrensbevollmächtigte bei der Kontrolle des Fristenkalenders am Abend des 4. Oktober 2006 erkennen. Auch wenn zugunsten der Arbeitgeberin berücksichtigt wird, dass ein Fristenbuch am Tagesende insbesondere auf noch offene Fristen hin durchgesehen wird, werden bei der Durchsicht zwangsläufig auch bereits gestrichene Fristen wahrgenommen. Ihrer Verfahrensbevollmächtigten hätte deshalb auffallen müssen, dass in der vorliegenden Sache eine für diesen Tag eingetragene Hauptfrist gelöscht worden war.
Angesichts des Umstands, dass ihr die Akte seit Beginn der einwöchigen Vorfrist zur Bearbeitung vorlag, ihr die Sache nach eigenem Bekunden “ständig präsent” war und sie den zu fertigenden Schriftsatz “im Kopf schon formte”, angesichts der Anweisung an die Sekretärinnen, Fristen nicht ohne ausdrückliche Aufforderung zu löschen oder umzutragen, wenn die Sache nicht erledigt wäre, und weil sie wusste, dass eine Rechtsbeschwerdeschrift in dieser Angelegenheit noch nicht gefertigt worden war, hätte es der Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin auffallen müssen, dass eine für den 4. Oktober 2006 eingetragene Hauptfrist gerade in dieser Sache gestrichen worden war. Da sie besondere Anweisungen nicht erteilt hatte und ihr die Sache schon einige Tage zur Bearbeitung vorlag, hätte anwaltliche Sorgfalt es geboten, der Berechtigung der Streichung nachzugehen und sie anhand des in der Verfahrensakte notierten Fristendes zu überprüfen.
Die Verfahrensbevollmächtigte durfte sich in Anbetracht der geschilderten Umstände nicht unbesehen darauf verlassen, dass die Frist auch in diesem Fall mit gutem Grund gestrichen worden war. Hätte sie die erforderliche Sorgfalt walten lassen, wäre auch am 4. Oktober 2006 eine Wahrung der um Mitternacht ablaufenden Frist noch möglich gewesen.
Sonstige Wiedereinsetzungsgründe sind nicht gegeben. Die Arbeitgeberin hat sich – unbeschadet der Frage, ob dies im vorliegenden Verfahren hätte ausreichen können – nicht darauf berufen, sie habe auf die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO vertraut.
Unterschriften
Schmidt, Linsenmaier, Kreft
Fundstellen
Haufe-Index 2005401 |
BAGE 2009, 339 |