Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg. Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses
Leitsatz (redaktionell)
Ein Verweisungsbeschluss ist grundsätzlich unabänderlich und bindend für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, selbst wenn er inhaltlich fehlerhaft sein sollte.
Normenkette
GVG § 17a Abs. 2 S. 3; ArbGG § 48 Abs. 1; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
ArbG München (Beschluss vom 28.07.2017; Aktenzeichen 24 Ca 676/17) |
Tenor
Das Arbeitsgericht München ist zuständig.
Tatbestand
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Vergütung und auf Abgeltung von Urlaub in Anspruch.
Der Kläger war für die Beklagte vom 1. August 2013 bis zum 19. Dezember 2014 auf der Grundlage eines „Dienstvertrags” tätig. Dieser enthält ua. folgende Bestimmungen:
Ӥ 1 |
Aufgaben und Pflichten, Dienstsitz |
- Herr P ist mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 20. Dezember 2012 für die Dauer von zwei Jahren zum Vorstand bestellt worden. Er arbeitet in Teilzeit für die Gesellschaft, wobei er seine Arbeitskraft an durchschnittlich einem Tag pro Woche der Gesellschaft und den mit ihr verbundenen Unternehmen zur Verfügung zu stellen hat.
- Der Vorstand führt die Geschäfte der Gesellschaft nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung, der Geschäftsordnung für den Vorstand und dieses Dienstvertrages.
- Bei Vorhandensein mehrerer Vorstandsmitglieder kann der Aufsichtsrat die Aufgabenverteilung der Vorstandsmitglieder festlegen.
- Der Vorstand erhält für seine Tätigkeit eine feste Vergütung in Höhe von monatlich brutto EUR 850,-, zahlbar nachträglich zum Monatsende.
- Der Vorstand erhält für seine Tätigkeit keine variable Vergütung.
- Mit dieser Vergütung ist die gesamte Tätigkeit des Vorstands für die Gesellschaft abgegolten. Sofern der Vorstand auch für Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, tätig ist und hierfür eine gesonderte Vergütung erhält, wird diese auf die Vergütung angerechnet. Aufsichtsrat-, Verwaltungsrat- oder Beiratsvergütungen, die der Vorstand von Unternehmen erhält, an denen die Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar mit mindestens 25 % beteiligt ist, mindern in Höhe von 75 % die Bezüge, die dem Vorstand gemäß Abs. 1 zustehen.
… |
§ 5 |
Bezüge bei Krankheit |
- Im Fall der Erkrankung oder sonstiger unverschuldeter Verhinderung wird die Vergütung gemäß § 3 dieses Vertrages für die Dauer von sechs Monaten fortgezahlt. Die Fortzahlung der Bezüge erfolgt längstens bis zur Beendigung des Dienstvertrages.
- Auf die Leistungen der Gesellschaft werden etwaige Leistungen Dritter, beispielsweise aufgrund von Haftpflichtansprüchen oder von Krankenversicherungen, insoweit angerechnet, als durch diese und die Leistungen der Gesellschaft insgesamt die Nettobezüge überschritten werden, die der Vorstand gemäß § 3 dieses Vertrages haben würde, wenn er nicht arbeitsunfähig wäre.
Dem Vorstand steht ein Erholungsurlaub von jährlich 6 Arbeitstagen zu.”
Auf die Rüge der Beklagten, der Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen, hat das Landgericht München II nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 9. Mai 2017 durch die Einzelrichterin den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits mit Beschluss vom 28. Juli 2017 durch Alleinentscheidung der Vorsitzenden abgelehnt und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts mit der Begründung vorgelegt, der offensichtlich unhaltbare Verweisungsbeschluss entfalte keine Bindungswirkung.
Entscheidungsgründe
II. Das Bundesarbeitsgericht hat im Streitfall das zuständige Gericht zu bestimmen.
1. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst angegangen wird (vgl. BAG 16. August 2016 – 9 AS 4/16 – Rn. 5 f.).
2. Mit Beschluss vom 9. Mai 2017 hat das Landgericht München II den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits mit Beschluss vom 28. Juli 2017 abgelehnt und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
III. Die die Rechtswegzuständigkeit leugnende Entscheidung des Arbeitsgerichts konnte gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG durch Alleinentscheidung der Vorsitzenden ergehen (vgl. BAG 16. August 2016 – 9 AS 4/16 – Rn. 7 f.).
IV. Zuständiges Gericht ist das Arbeitsgericht München. Die Verweisung des Rechtsstreits durch das Landgericht München II an das Arbeitsgericht München ist für dieses bindend.
1. Die Verweisung des Rechtsstreits ist grundsätzlich unabänderlich und bindend für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist. Dem Grundsatz nach ist auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, einer weiteren Überprüfung entzogen. Die Bindungswirkung entfällt ausnahmsweise nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ergangen anzusehen ist, weil er auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BAG 16. August 2016 – 9 AS 4/16 – Rn. 10).
2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München II ist wirksam. Infolgedessen ist das Arbeitsgericht München das zuständige Gericht.
a) Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts ist nach Anhörung der Parteien und damit unter Beachtung deren Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangen.
b) Der Beschluss ist von der nach § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO zuständigen Einzelrichterin und deshalb von dem gesetzlichen Richter erlassen worden.
c) Der Beschluss des Landgerichts ist nicht willkürlich. Die Begründung, auf die das Landgericht seine Entscheidung gestützt hat, entbehrt nicht jedweder rechtlichen Grundlage.
aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, bei dem Streitfall handele es sich um einen Rechtstreit, der nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen falle, da die Parteien ein Arbeitsverhältnis verbunden habe. Arbeitnehmer sei, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sei. Dies sei anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, wobei der objektive Geschäftsinhalt den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen sei. Die Tatsache, dass der „Dienstvertrag” dem Kläger einen Anspruch auf Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einräume, spreche ebenso für seine Eigenschaft als Arbeitnehmer wie der Umstand, dass er in der Klageschrift die Abgeltung eines „arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruchs” verlangt habe.
bb) Der Senat hat vorliegend nicht darüber zu befinden, ob die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis zutrifft. Die Entscheidung ist jedenfalls noch nicht als willkürlich anzusehen. Das Landgericht hat seiner Entscheidung die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze, anhand deren ein Arbeitsverhältnis von einem freien Dienstverhältnis abzugrenzen ist (vgl. BAG 11. August 2015 – 9 AZR 98/14 – Rn. 16 mwN) – wenn auch verkürzt – zugrunde gelegt. Es hat unter Rückgriff auf den „Dienstvertrag” der Parteien und die Angaben des Klägers in der Klageschrift drei nicht gänzlich fernliegende oder unvertretbare Gesichtspunkte aufgezeigt, die aus seiner Sicht für die Annahme sprechen, der Kläger habe in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden. Dabei hat es sowohl die Bestimmungen des „Dienstvertrags” bezüglich Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gewürdigt als auch berücksichtigt, dass der Kläger einen Teil seines Klagebegehrens ausdrücklich als „arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruch” gekennzeichnet hat. In Anbetracht dessen hat das Arbeitsgericht die gesetzgeberische Entscheidung, der zufolge das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, an die Verweisung gebunden ist, zu respektieren.
Unterschriften
Brühler, Zimmermann, Suckow
Fundstellen
FA 2018, 12 |
ArbR 2017, 605 |