Entscheidungsstichwort (Thema)
Einseitige Änderung der Eingruppierungsordnung;. Mitbestimmung des Betriebsrats. Unterlassungsanspruch
Normenkette
BetrVG §§ 87, 99, 50, 23
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. Oktober 1999 – 2 TaBV 28/99 – aufgehoben.
Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Köln vom 25. März 1999 – 19 BV 259/98 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten noch über die Untersagung der Anwendung einer dem – gekündigten – Tarifvertrag entnommenen, jedoch modifizierten Vergütungsordnung ohne Zustimmung des Betriebsrats.
Der Antragsteller ist der für das B. Köln des Arbeitgebers, des Beteiligten zu 2), gebildete Betriebsrat. Der Arbeitgeber ist freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit mit bundesweit über 600 Einrichtungen an 300 Orten. Er hat mit der Gewerkschaft ÖTV ua. einen Manteltarifvertrag (MTV Nr. 2) sowie einen Tarifvertrag Nr. 3 über die Tätigkeitsmerkmale zum Manteltarifvertrag abgeschlossen. Im September 1997 kündigte er die genannten Tarifverträge jeweils zum 31. Dezember 1997.
Zur Vergütung enthält der MTV Nr. 2 ua. folgende Regelungen:
„§ 20
Eingruppierung, Vergütung (Gehälter und Löhne)
(1) Über die Tätigkeitsmerkmale sowie über die Höhe der Vergütungen werden besondere Tarifverträge abgeschlossen.
…
§ 21
Grundvergütung (Gehalt, Monatslohn)
(1) Im Vergütungstarifvertrag sind die Grundvergütungen nach Lebensaltersstufen zu bemessen.
…”
Im TV Nr. 3 heißt es ua.:
„§ 3
Bewährungsaufstieg
1.a) Angestellte, die nach Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen IX bis V b eingruppiert sind, erhalten nach 4jähriger Bewährung einen Bewährungsaufstieg, sofern dem Tätigkeitsmerkmal kein Stern (*) beigefügt ist.
1.b) Erzieher (außer Erzieher nach Aufgabenfeld 8.7 – Vc) und Erzieher in Kindertagesstätten, Kinderpfleger, Sozialberater, Gruppenerzieher, Ausbilder, Werkerzieher erhalten nach 2jähriger Bewährung einen Bewährungsaufstieg, sofern dem Tätigkeitsmerkmal kein Stern (*) beigefügt ist. Dies gilt auch für AidTe-Angestellte.
…”
Im Vergütungstarifvertrag vom 14. Dezember 1996 waren – aufbauend auf den Vergütungsgruppen – die Lebensaltersstufen nach den Maßgaben des § 21 MTV Nr. 2 bestimmt. Die tarifschließende Gewerkschaft ÖTV hat den Vergütungstarifvertrag zum 31. Dezember 1997 gekündigt.
Der Arbeitgeber wendet bei Neueinstellungen ab dem 1. Januar 1998 die bisher geltenden Tarifverträge weiter an mit Ausnahme des Systems der Lebensaltersstufen (sowie der im Tarifvertrag Nr. 3 vorgesehenen Möglichkeit des Bewährungsaufstiegs). Für die neu eingestellten oder nach Ablauf einer Befristung weiterbeschäftigten Arbeitnehmer wird unabhängig von ihrem tatsächlichen Lebensalter stets die niedrigste Lebensaltersstufe (21) zugrunde gelegt.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, die vom Arbeitgeber geübte Praxis stelle eine mitbestimmungspflichtige Neuregelung von Vergütungsgrundsätzen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dar. Dabei sei sein Mitbestimmungsrecht nicht beachtet worden. Insoweit sei er zuständig und nicht etwa der Gesamtbetriebsrat. Der Betriebsrat hat für das B. Köln die Untersagung der Anwendung des modifizierten Systems, soweit die nach dem Betriebsverfassungsgesetz erforderliche Zustimmung nicht vorliegt, begehrt.
Der Betriebsrat hat – soweit für die Rechtsbeschwerdeinstanz von Bedeutung – beantragt,
- dem Antragsgegner zu untersagen, einseitig ohne Zustimmung des Antragstellers die Anlage 1 zu § 2 des gekündigten Vergütungstarifvertrages vom 14.12.1996 in Verbindung mit § 1 des Vergütungstarifvertrages vom 24.07.1998 mit der Maßgabe anzuwenden, daß für alle neu eingestellten bzw. nach Befristung weiterbeschäftigten Mitarbeiter/innen die Grundvergütung sich nach der dortigen Lebensaltersstufe 21 richtet;
- dem Antragsgegner für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung entsprechend dem Antrag zu 2 ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird, anzudrohen.
Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge des Betriebsrats abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, hier sei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht verletzt. Es betreffe nicht die Bemessung der Vergütung, da die Festsetzung der Höhe der Grundvergütung nicht Teil der Entlohnungsgrundsätze sei. Jedenfalls sei für die Antragstellung nicht der Betriebsrat im B. Köln, sondern der Gesamtbetriebsrat zuständig. Der Antrag gehe außerdem insofern zu weit, als der Betriebsrat nur für seinen Zuständigkeitsbereich Forderungen stellen könne.
Das Arbeitsgericht hat mit einem Teilbeschluß den hier streitgegenständlichen Anträgen stattgegeben. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht diese Anträge abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Dabei hat er in der Rechtsbeschwerdeinstanz die Formulierung des Antrags zu 1 um Fälle der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats erweitert. Der Arbeitgeber bittet um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat Erfolg.
Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber verlangen, daß er es unterläßt, das modifizierte Vergütungsschema – Anlage 1 zu § 2 des gekündigten Vergütungstarifvertrags vom 14. Dezember 1996 iVm. § 1 des Vergütungstarifvertrags vom 24. Juli 1998 mit der Maßgabe, daß für alle neu eingestellten oder nach Befristung weiterbeschäftigten Mitarbeiter die Grundvergütung sich nach der Lebensaltersstufe 21 richtet – ohne seine – ggf. durch Spruch der Einigungsstelle ersetzte – Zustimmung anzuwenden. Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts war daher aufzuheben und die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den dem Antrag stattgebenden Beschluß des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.
I. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz angefallenen Anträge des Betriebsrats sind zulässig.
Der Antrag zu 1) ist dahin zu verstehen, daß der Betriebsrat davon ausgeht, er – und nicht der Gesamtbetriebsrat – sei für die Regelung der Vergütungsordnung im B. Köln zuständig. Die Nennung des Gesamtbetriebsrats in der Antragsformulierung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist, wie der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat, ohne inhaltliche Bedeutung. Der Betriebsrat will damit für den Fall einer künftig eintretenden Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht etwa einen Anspruch auf Unterlassung der Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Gesamtbetriebsrats geltend machen, sondern nur verdeutlichen, daß sein Antrag das Bestehen eines eigenen Mitbestimmungsrechts zur Voraussetzung hat. Mit diesem Inhalt ist der Antrag zulässig. Der Betriebsrat ist antragsbefugt, denn er nimmt ein eigenes Recht in Anspruch. Ob die Maßnahme mitbestimmungspflichtig ist und ob ggf. das Mitbestimmungsrecht dem Betriebsrat zusteht, ist eine Frage der Begründetheit.
II. Dem Betriebsrat steht hinsichtlich des von dem Arbeitgeber angewendeten modifizierten Vergütungsschemas ein Mitbestimmungsrecht zu, er kann daher – solange seine Zustimmung nicht erteilt oder durch die Einigungsstelle ersetzt ist – die Unterlassung der Anwendung dieses Vergütungssystems verlangen.
1. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Die Beteiligung des Betriebsrats in diesem Bereich soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten Lohngestaltung schützen. Es geht um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges. Die Mitbestimmung des Betriebsrats soll die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit gewährleisten. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist danach zwar nicht die konkrete Entgelthöhe. Mitbestimmungspflichtig sind aber die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen.
Danach war die vom Arbeitgeber vorgenommene Modifikation der Vergütungsordnung mitbestimmungspflichtig, wie der Senat bereits bei früherer Gelegenheit festgestellt hat(Senat 27. Juni 2000 – 1 ABR 36/99 – AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 23 = EzA BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 3, zu B II 1 c der Gründe). Die Neuregelung betrifft nicht nur die Entgelthöhe, sondern auch die Verteilungsrelationen. Sie beseitigt die vorher bestehenden Vergütungsunterschiede auf Grund des im Zeitpunkt der Einstellung jeweils erreichten Lebensalters sowie infolge von Bewährungsaufstieg. Daß hierdurch mittelbar auch die Höhe der Vergütung festgelegt wird, steht dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen. Eine solche Wirkung ist mit der Regelung von Entlohnungsgrundsätzen untrennbar verbunden.
2. Das Mitbestimmungsrecht steht hier dem Betriebsrat zu. Die Voraussetzungen für eine – abweichend von der gesetzlichen Regel anzunehmende – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats liegen nicht vor.
Der Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 BetrVG – ausgenommen den hier nicht gegebenen Fall der Übertragung des Mitbestimmungsrechts durch die örtlichen Betriebsräte (§ 50 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) – zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte geregelt werden können(Senat 16. Juni 1998 – 1 ABR 68/97 – BAGE 89, 139, zu B II der Gründe). Das ist nicht nur dann der Fall, wenn die Regelung den einzelnen Betriebsräten objektiv unmöglich ist, sondern kommt schon dann zum Tragen, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht(st. Rspr., vgl. Senat 30. August 1995 – 1 ABR 4/95 – BAGE 80, 336, zu B I 2 b der Gründe; 14. Dezember 1999 – 1 ABR 27/98 – BAGE 93, 75, zu B II 2 a der Gründe, jeweils mwN).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Anhaltspunkte dafür, daß das Mitbestimmungsrecht bei der Schaffung einer Eingruppierungsordnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht auf der Ebene des örtlichen Betriebsrats ausgeübt werden könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen Regelung der Eingruppierung reicht hierfür nicht aus. Ein solches Verlangen des Arbeitgebers kann eine einheitliche Regelung nur dann notwendig machen, wenn der Arbeitgeber allein unter diesen Voraussetzungen zu der regelungsbedürftigen Maßnahme bereit ist und insoweit mitbestimmungsfrei entscheiden kann, wie zB bei freiwilligen Leistungen(Senat 30. August 1995 – 1 ABR 4/95 – aaO, zu B I 2 b der Gründe) oder freiwilligen Betriebsvereinbarungen(Senat 6. Dezember 1988 – 1 ABR 44/87 – BAGE 60, 244, 252, zu B III 2 der Gründe). Um einen solchen Gegenstand handelt es sich hier nicht. Der Arbeitgeber kann nicht frei darüber entscheiden, ob er eine (Grund-)Vergütung zahlt.
3. Der Betriebsrat kann verlangen, daß der Arbeitgeber die Anwendung der Änderungen der Vergütungsordnung unterläßt, solange diese nicht in einem Mitbestimmungsverfahren nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG festgelegt worden sind.
Zwar kann der Betriebsrat den Unterlassungsanspruch nicht auf § 23 Abs. 3 BetrVG stützen, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat. Für die Annahme eines groben Verstoßes des Arbeitgebers reichen die vorgetragenen und sonst ersichtlichen Anhaltspunkte nicht aus. Bei Verletzung der Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten – hier nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG – ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unabhängig von der Intensität des Verstoßes ein Unterlassungsanspruch gegeben(Senat 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – aaO), der aus der besonderen Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat folgt und der Sicherung der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG dient(vgl. im einzelnen Senat 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – aaO).
Da der antragstellende Betriebsrat Inhaber des Mitbestimmungsrechts ist, steht ihm – und nicht etwa dem Gesamtbetriebsrat – der Unterlassungsanspruch zu.
4. Die Begründetheit des Antrags zu 2) ergibt sich aus der Begründetheit des Antrags zu 1); er sieht für den Unterlassungsanspruch die Bewehrung mit einem Ordnungsgeld vor und entspricht insofern § 890 ZPO.
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Schmidt, Schneider, Rösch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.03.2001 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
FA 2001, 367 |
NZA 2002, 111 |
SAE 2001, 335 |
ZTR 2002, 94 |
EzA |
NJOZ 2002, 335 |