Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzung des Gerichts
Orientierungssatz
Die fehlerhafte Besetzung einer Kammer eines Landesarbeitsgerichts berührt nicht deren wirksame Bildung und die wirksame Zuteilung von Rechtssachen an diese Kammer nach dem Geschäftsverteilungsplan.
Normenkette
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, § 35; ZPO § 547 Nr. 1; GVG § 21e
Verfahrensgang
LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 04.06.2010; Aktenzeichen 2 Sa 424/09) |
ArbG Magdeburg (Urteil vom 19.08.2009; Aktenzeichen 5 Ca 3426/08) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 4. Juni 2010 – 2 Sa 424/09 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 18.294,84 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
Rz. 2
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO besteht nicht.
Rz. 3
1. Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG zuzulassen, wenn ein Revisionsgrund nach § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts gemäß § 547 Nr. 1 ZPO liegt vor, wenn über die Rechtsstreitigkeit andere Richter entscheiden als die gesetzlich berufenen. “Gesetzlicher Richter” bedeutet, dass sich der für die einzelne Sache zuständige Richter im Voraus eindeutig aus einer allgemeinen Regelung ergeben muss (BAG 26. September 2007 – 10 AZR 35/07 – Rn. 11, AP ZPO § 547 Nr. 7).
Rz. 4
2. Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt war bei der anzufechtenden Entscheidung vorschriftsmäßig besetzt iSd. § 547 Nr. 1 ZPO. Es hat in der von § 35 Abs. 2 ArbGG vorgeschriebenen Besetzung mit einem Vorsitzenden, dem Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts, und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber mündlich verhandelt und entschieden.
Rz. 5
3. Die Zuteilung der Sache an die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts entsprach dem Geschäftsverteilungsplan.
Rz. 6
a) Es kann dahinstehen, ob die Zuteilung der Sache an die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts nicht bereits B. II. Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans als Ergebnis einer Reihenfolge entsprochen hätte. Denn nach dem ausdrücklichen Beschluss des Präsidiums des Landesarbeitsgerichts vom 17. März 2010, welches bei Zweifeln über die geschäftsplanmäßige Zuteilung entscheidungsbefugt ist (A. II. des Geschäftsverteilungsplans des Präsidiums des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt für das Jahr 2009) war für den vorliegenden Rechtsstreit die 2. Kammer zuständig. Anhaltspunkte dafür, dass der Präsidiumsbeschluss vom 17. März 2010 selbst nicht den Voraussetzungen des Geschäftsverteilungsplans entsprach, gibt es nicht.
Rz. 7
b) Doch selbst wenn eine Zuteilung an die 2. Kammer bereits unzweifelhaft nach der Reihenfolge und damit in Abhängigkeit von der Zuteilung von Rechtsstreitigkeiten an die 7. Kammer erfolgt wäre, läge kein absoluter Revisionsgrund vor.
Rz. 8
aa) Für die Landesarbeitsgerichte schreibt § 35 Abs. 1 ArbGG vor, dass es aus dem Präsidenten und ua. “der erforderlichen Zahl von weiteren Vorsitzenden” besteht. Jede Kammer des Landesarbeitsgerichts wird in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber tätig, § 35 Abs. 2 ArbGG. Die zuständige oberste Landesbehörde bestimmt die Zahl der Kammern, § 35 Abs. 3 ArbGG.
Rz. 9
bb) § 35 Abs. 1 ArbGG geht davon aus, dass die Richter, die die Funktion eines Kammervorsitzenden am Landesarbeitsgericht ausüben, an diesem Gericht planmäßig angestellt und als “Vorsitzende Richter am Landearbeitsgericht” ernannt sind. Nur einem solchen garantiert Art. 97 Abs. 2 GG die persönliche Unabhängigkeit durch Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit. Die Heranziehung von nicht planmäßig angestellten Richtern (Richtern auf Probe, abgeordneten Richtern) darf deshalb nur in den Grenzen erfolgen, die sich nach verständigem Ermessen aus der Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden, oder aus anderen zwingenden Gründen ergeben (so schon BVerfG 9. November 1955 – 1 BvL 13/52 u. 1 BvL 21/52 – BVerfGE 4, 331, 345). Sie muss die Ausnahme sein und darf nicht zur Regel werden (BVerfG 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60 u. 247/61 – BVerfGE 14, 156, 163 f.). Hier sind strenge Maßstäbe anzulegen (BAG 6. Juni 2007 – 4 AZR 411/06 – Rn. 34 mwN, BAGE 123, 46).
Rz. 10
cc) Von der vorschriftsmäßigen Besetzung der Kammern ist deren Bildung und die Zuteilung von Rechtsstreitigkeiten nach der Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans zu unterscheiden, § 21e Abs. 1 GVG. Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt war gemäß § 35 Abs. 3 iVm. § 17 ArbGG ordnungsgemäß gebildet. Dass seit mehreren Jahren ein Richter am Arbeitsgericht als Vorsitzender der 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt im Zeitpunkt der Zuteilung des Rechtsstreits an die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts tätig und diese selbst deshalb gegebenenfalls nicht vorschriftsmäßig besetzt war, änderte nichts an der ordnungsgemäßen Bildung der 7. Kammer und deren Kammerzuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan. Eine gegebenenfalls fehlerhafte Besetzung der 7. Kammer berührt nicht deren wirksame Bildung und die wirksame Zuteilung von Rechtsmitteln an diese Kammer.
Rz. 11
III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Rz. 12
IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.
Unterschriften
Müller-Glöge, Laux, Biebl, W. Hinrichs, Dombrowsky
Fundstellen