Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsfreistellung wegen Sprechstunden
Leitsatz (amtlich)
- Auch in Betrieben mit weniger als 300 Arbeitnehmern kann eine Freistellung oder teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes von seiner beruflichen Tätigkeit in Betracht kommen, wenn dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist und regelmäßig Betriebsratstätigkeit in einem bestimmten, einer Pauschalierung zugänglichen Mindestumfang anfällt (Bestätigung von BAG Beschluß vom 2. April 1974 – 1 ABR 43/73 – AP Nr. 10 zu § 37 BetrVG 1972).
- Die Einrichtung und Abhaltung von Betriebsratssprechstunden nach § 39 BetrVG bedingt nicht die pauschale Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes, sondern hat zur Folge, daß zur Abhaltung der Betriebsratssprechstunde im jeweils erforderlichen Umfang ein Betriebsratsmitglied gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG von seiner Arbeitspflicht befreit ist.
Orientierungssatz
Der Senat hat ausdrücklich offengelassen, ob die Geringfügigkeit der beantragten Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG entgegensteht.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 2, §§ 38-39
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Beschluss vom 28.03.1990; Aktenzeichen 15 TaBV 125/89) |
ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 19.10.1989; Aktenzeichen 9 BV 88/89) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 28. März 1990 – 15 TaBV 125/89 – aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. Oktober 1989 – 9 BV 88/89 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefaßt:
Der Hauptantrag und der Hilfsantrag des antragstellenden Betriebsrates werden zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes von der Arbeit in einem Betrieb mit weniger als 300 Arbeitnehmern.
Die Arbeitgeberin betreibt einen Kurierdienst für den Transport von Sachen. Sie beschäftigt etwa 230 Arbeitnehmer. Von ihnen sind 24 vollzeitbeschäftigt, alle anderen sind teilzeitbeschäftigt. Bei den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern handelt es sich vorwiegend um Studenten, deren Arbeitszeit nach Lage und Dauer unterschiedlich ist und sich nach dem Auftragsvolumen, aber auch nach der Belastung der Studenten durch ihr Studium richtet. Einige Studenten arbeiten vier Stunden täglich, die meisten zweimal in der Woche jeweils acht Stunden. Der jeweilige Einsatz der Arbeitnehmer für die Kurierfahrten erfolgt in der Regel nach wöchentlich erstellten Plänen. Zusätzliche, plötzlich erforderlich werdende Einsätze werden von Ersatzkräften geleistet.
Mit seinem am 26. Juli 1989 bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt der Betriebsrat eine pauschale Freistellung seiner (damaligen) Vorsitzenden, hilfsweise irgendeines seiner Mitglieder, an zwei Tagen in der Woche für jeweils vier Stunden.
Er hat vorgetragen: Die Struktur des Betriebes erfordere die zumindest teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes. Die Arbeitnehmer bestünden weitestgehend aus Fahrern. Alle Fahrer hätten bestimmte Zeiten einzuhalten. Träten Fahrer infolge eines Gesprächs mit dem Betriebsrat die Fahrt verspätet an, so könne die Auslieferung nicht mehr rechtzeitig erfolgen, so daß die Arbeitgeberin mit ihren Kunden Schwierigkeiten bekomme. Wenn jedoch, wie der Betriebsrat sich vorgenommen habe, feste Sprechstunden eingerichtet würden, könnten alle Arbeitnehmer, die den Betriebsrat zu sprechen wünschten, vor ihrer jeweiligen regulären Arbeitsaufnahme in den Betrieb kommen und mit dem Betriebsrat reden. Es bestehe auch ein entsprechendes Bedürfnis bei den Arbeitnehmern der Arbeitgeberin. Es treffe nicht zu, daß sich in der Vergangenheit in nur zwei Fällen Arbeitnehmer an den Betriebsrat gewandt hätten. Vielmehr wendeten sich regelmäßig Arbeitnehmer wegen aus ihrer Sicht unzutreffender Lohn- und Urlaubsentgeltberechnungen an den Betriebsrat. Zudem sei die Freistellung auch im Hinblick auf die erhebliche Personalfluktuation erforderlich. In der Vergangenheit habe die (damalige) Betriebsratsvorsitzende, die Studentin und mit Rücksicht auf die Sozialversicherungsgrenzen nur teilzeitbeschäftigt (gewesen) sei, für ihre Betriebsratstätigkeit wöchentlich acht Stunden ihrer Freizeit aufgewandt. In der Sitzung vom 3. Februar 1989 habe der Antragsteller beschlossen, die Teilfreistellung seiner (damaligen) Vorsitzenden zu beantragen.
Der Betriebsrat hat im ersten Rechtszug beantragt,
festzustellen, daß die Betriebsratsvorsitzende, Frau… P…, von ihrer beruflichen Tätigkeit, ohne Minderung des Arbeitsentgelts, teilweise zweimal vier Stunden wöchentlich, und zwar mittwochs und freitags von 9.00 – 13.00 Uhr, freizustellen ist,
hilfsweise
festzustellen, daß ein Mitglied des Betriebsrats von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts teilweise zweimal vier Stunden wöchentlich freizustellen ist.
Die Arbeitgeberin hat im ersten Rechtszug beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat entgegnet: Eine pauschale Teilfreistellung der Betriebsratsvorsitzenden oder eines Betriebsratsmitgliedes sei weder erforderlich noch praktikabel. Es verbleibe bei einer solchen Freistellung keine Möglichkeit mehr, einzelne Betriebsratsmitglieder im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG im Bedarfsfall von der Arbeit zu befreien. Zudem würden bei der geforderten Freistellung die in den Nachtfahrten eingesetzten Fahrer vom Betriebsrat nicht erreicht werden. Der Betriebsrat müsse für die Freistellung auch substantiert Tatsachen vortragen, aus denen sich die Erforderlichkeit einer solchen Freistellung ergebe. Dem sei der Betriebsrat nicht nachgekommen. Während der bisherigen Amtsperiode sei es erst zweimal vorgekommen, daß sich Arbeitnehmer an den Betriebsrat gewandt hätten; es sei auch nicht zu Bedarfsfreistellungen gekommen. Die vom Betriebsrat angeführte Personalfluktuation sei ungewöhnlich gewesen. Sie bestreite auch die Angaben zur Betriebsratstätigkeit der Vorsitzenden während ihrer Freizeit. Zudem habe der Betriebsrat über den gestellten Hilfsantrag keinen hinreichenden Beschluß gefaßt; seine Beschlüsse befaßten sich nur mit der Person der (damaligen) Vorsitzenden.
Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Die hiergegen nur von der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde (Beschluß vom 11. Dezember 1990 – 7 ABN 21/90) verfolgt die Arbeitgeberin ihr Ziel, die Zurückweisung auch des Hilfsantrags zu erreichen, weiter, während der Betriebsrat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben rechtsirrtümlich angenommen, ein Mitglied des antragstellenden Betriebsrates sei zweimal wöchentlich für je vier Stunden ohne Minderung des Arbeitsentgeltes von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen. Ein solcher Anspruch steht dem antragstellenden Betriebsrat nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds von seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG setze voraus, daß regelmäßig Betriebsratstätigkeiten in einem bestimmten, einer Pauschalierung zugänglichen Mindestumfang anfielen. Hiervon sei im Betrieb der Arbeitgeberin auszugehen. Wenn in einem Betrieb wie dem der Arbeitgeberin aufgrund seiner besonderen Struktur für die Arbeitnehmer bisher nicht hinreichend Gelegenheit bestanden habe, sich an den Betriebsrat zu wenden, lasse sich aus der tatsächlichen Inanspruchnahme des Betriebsrats nicht folgern, es falle so wenig Betriebsratsarbeit an, daß eine pauschalierte Freistellung nicht gerechtfertigt sei. Die Erforderlichkeit der Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes könne daher nicht nach dem bisherigen Umfang der zeitlichen Inanspruchnahme des antragstellenden Betriebsrats bewertet werden, sondern nur nach dem Zeitaufwand, der üblicherweise von einem Betrieb in der Größenordnung und mit der Struktur der beteiligten Arbeitgeberin benötigt werde. Wenn der Gesetzgeber bei Betrieben mit mindestens 300 Arbeitnehmern die Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes ohne Nachweis der Erforderlichkeit festgelegt habe, so sei anzunehmen, daß in einem Betrieb mit etwa 230 Arbeitnehmern, wie ihn die beteiligte Arbeitgeberin unterhalte, bei hinreichend gegebener Gelegenheit, sich an den Betriebsrat zu wenden, so viel Betriebsratsarbeit anfallen werde, daß die Betriebsratsarbeit nur mit zeitweiligen Arbeitsbefreiungen aus aktuellem Anlaß nicht ordnungsgemäß bewältigt werden könne. Der Umfang der Freistellung mit acht Stunden in der Woche sei sicherlich nicht zu hoch angesetzt. Selbst wenn die Arbeit des Betriebsrates nicht ausschließlich für eine Beratung der Arbeitnehmer verwandt werde, sei ein achtstündiger Zeitaufwand zu erwarten, da die Betriebsratstätigkeit auch noch andere Arbeiten erfordere, z.B. das Nachlesen in Gesetzen und Kommentaren, das Führen von Korrespondenz, die Einholung von Auskunft bei der Gewerkschaft, die Vorbereitung von Betriebsratssitzungen u.a. Der Ansicht der beteiligten Arbeitgeberin, daß die anfallenden Arbeiten keine pauschalierte Freistellung erforderlich machten, sei deshalb nicht zu folgen, weil die begehrte pauschale Freistellung erst die nach der Größe des Betriebs zu erwartende nötige Betriebsratstätigkeit ermögliche. Nur wenn die Arbeitnehmer Gelegenheit bekämen, den Betriebsrat aufzusuchen, könne eine ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit durchgeführt werden. Diese Gelegenheit bestehe aber nur, wenn der Betriebsrat, wie er es nach seinem Vorbringen plane, an den bestimmten Tagen zu festgesetzten Zeiten Sprechstunden abhalte und damit den Arbeitnehmern des Betriebs zur Verfügung stehe. Diese zeitweilige Verfügbarkeit sei nicht gegeben, wenn die Betriebsratsmitglieder sich ständig außerhalb des Betriebes befänden.
II. Der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu folgen.
1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht zwar von § 37 Abs. 2 BetrVG als Anspruchsgrundlage für die beantragte Freistellung ausgegangen. Auf § 38 BetrVG kann der Anspruch nicht gestützt werden, weil diese Vorschrift nur Betriebe mit in der Regel 300 und mehr Arbeitnehmern betrifft. § 38 BetrVG enthält indessen eine auf den Grundtatbestand des § 37 Abs. 2 BetrVG aufbauende Sonderregelung für Betriebe mit 300 und mehr Arbeitnehmer. Für Betriebe mit weniger Arbeitnehmern kann in Ausnahmefällen nach dem Grundtatbestand des § 37 Abs. 2 BetrVG die völlige oder teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes geboten sein, wenn diese Freistellung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist (vgl. BAG Beschluß vom 2. April 1974 – 1 ABR 43/73 – AP Nr. 10 zu § 37 BetrVG 1972, unter II 2 der Gründe = SAE 1975, 78 mit zust. Anm. von Bohn; siehe auch BAG Urteil vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 683/76 – AP Nr. 5 zu § 38 BetrVG 1972).
Entgegen der Ansicht von Glaubitz (Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 37 Rz 18, § 38 Rz 15 ff.) stehen die Unterschiede in den Regelungen in § 37 Abs. 2 BetrVG und § 38 BetrVG der Möglichkeit einer generellen Freistellung von Betriebsratsmitgliedern in Betrieben mit weniger als 300 Arbeitnehmern nicht entgegen. Insbesondere ergibt sich dies auch nicht aus den Gesetzesmaterialien zu § 38 BetrVG 1972. In § 38 Abs. 1 Satz 2 des Regierungsentwurfs zum BetrVG 1972 (BT-Drucks. VI/1786, S. 9 und S. 41) war vorgesehen, daß Betriebsratsmitglieder in Betrieben mit 50 bis 150 Arbeitnehmern mindestens zwölf und in Betrieben mit 151 bis 300 Arbeitnehmern mindestens 24 Arbeitsstunden in der Woche freigestellt werden sollten. Diesem Vorschlag ist der Bundestag nicht gefolgt. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat es in seinem Bericht (zu BT-Drucks. VI/2729, S. 24) als “nicht zweckmäßig” angesehen, in den Betrieben unterhalb der Grenzen des Gesetz gewordenen § 38 BetrVG ganz oder teilweise Freistellungen einzelner oder mehrerer Betriebsratsmitglieder für bestimmte Stundenzahlen vorzusehen. Daraus läßt sich aber nicht schließen, daß von einer pauschalen Freistellung in Betrieben mit in der Regel weniger als 300 Arbeitnehmern grundsätzlich und ausnahmslos abgesehen werden müßte. Vielmehr richtet sich der Anspruch auf völlige oder teilweise Freistellung eines oder mehrerer Betriebsratsmitglieder danach, was im einzelnen Betrieb in der konkreten Situation im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich ist (vgl. statt vieler: Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 38 Rz 16 m.w.N.).
Der erkennende Senat hat es als möglich angesehen, Betriebsratsmitglieder außerhalb der Regelung des § 38 BetrVG auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 BetrVG von der Arbeit freistellen zu lassen. Er hat dies allerdings bisher nur für den Fall entschieden, daß über die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG hinaus die Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitgliedes begehrt worden ist (Beschluß vom 26. Juli 1989, BAGE 63, 1 = AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972). Für den Fall, daß im Betrieb regelmäßig keine 300 Arbeitnehmer beschäftigt sind, gilt grundsätzlich nichts anderes. Auch in einem solchen Fall kann sich ein Anspruch auf völlige oder teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes aus § 37 Abs. 2 BetrVG ergeben. Dies folgt daraus, daß § 37 Abs. 2 und § 38 BetrVG aufeinander inhaltlich aufbauende Regelungen darstellen. § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG ist systematisch als eine besondere Ausprägung der Grundnorm des § 37 Abs. 2 BetrVG zu verstehen. In § 38 ist die sonst nach § 37 Abs. 2 BetrVG vorausgesetzte Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung vom Gesetzgeber als erfüllt angesehen und deswegen ist die Befreiung von der beruflichen Tätigkeit uneingeschränkt angeordnet worden.
2. Das Landesarbeitsgericht hat indessen die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen eine Freistellung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG in Betracht kommen kann, insoweit verkannt, als es darauf verzichtet hat, eine konkrete Prüfung im Einzelfall vorzunehmen, sondern darauf abgestellt hat, was in Betrieben der Struktur und der Größenordnung der beteiligten Arbeitgeberin “üblicherweise” an Betriebsratsarbeit anfalle und hieraus abgeleitet, daß eine teilweise Befreiung des Betriebsrats von seiner Tätigkeit erforderlich sei.
a) Wie der Senat in seinem bereits zitierten Beschluß vom 26. Juli 1989 ausgeführt hat, muß der Betriebsrat Abweichungen von dem in § 38 Abs. 1 BetrVG gesetzlich unterstellten Normalfall dartun, aufgrund derer die Arbeitsbelastung des gesamten Betriebsrats in zeitlicher Hinsicht derart erhöht ist, daß eine zusätzliche generelle Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes für die gesamte Amtszeit erforderlich sei. Aus dem Tatsachenvortrag muß insbesondere ersichtlich werden, daß die Möglichkeit konkreter Arbeitsbefreiungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht ausreicht, um sämtliche erforderlichen Betriebsratsaufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Dazu ist erforderlich, daß der Betriebsrat die besonderen Umstände so detailliert beschreibt, daß die sich hieraus voraussichtlich ergebenden organisatorischen und zeitlichen Belastungen zumindest bestimmbar werden. Zudem muß erkennbar werden, daß die Notwendigkeit der Freistellung für die gesamte Restdauer der Wahlperiode besteht (vgl. BAGE 63, 1, 8 f. = AP, aaO, unter II 2b der Gründe), denn es muß gerade die pauschale Freistellung nach Art und Umfang des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich sein (BAG, aaO, m.w.N.). Dabei ist hinsichtlich des Umfangs der Darlegungslast zu berücksichtigen, daß der Normalfall für den Bedarf an Freistellungen vom Gesetzgeber in § 38 BetrVG geregelt worden ist (BAG, aaO).
b) Diese für den Fall der zusätzlichen Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes über die Staffel des § 38 BetrVG hinaus aufgestellten Rechtsgrundsätze gelten entsprechend auch für den hier vorliegenden Fall der Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes in einem Betrieb mit regelmäßig weniger als 300 Arbeitnehmern. Gerade auch in einem solchen Fall muß dargetan werden, daß für die ordnungsgemäße Erledigung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben die konkrete Arbeitsbefreiung eines Betriebsratsmitgliedes oder mehrerer Betriebsratsmitglieder gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG nicht mehr ausreicht, sondern die pauschale Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes erforderlich ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
III. Dieser Rechtsfehler hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge. Der Antrag war abzuweisen. Er ist nicht begründet.
Der antragstellende Betriebsrat hat keine hinreichenden Tatsachen dafür dargetan, daß zur ordnungsgemäßen Erledigung der im Betrieb der beteiligten Arbeitgeberin anfallenden Betriebsratsaufgaben die pauschale Freistellung eines seiner Mitglieder erforderlich ist. Die vom Betriebsrat ausgeführten Betriebsratstätigkeiten fallen – bis auf die Frage der Sprechstunden – mehr oder weniger unregelmäßig an. Schon von daher ist nicht erkennbar, daß ein Betriebsratsmitglied in auch nur zeitlich begrenzten Umfang für die gesamte restliche Dauer der Wahlperiode pauschal von seiner Arbeit freigestellt werden müßte. Die Erforderlichkeit einer solchen pauschalen Freistellung ergibt sich auch nicht aus der vom Betriebsrat ohnehin erst ins Auge gefaßten Einrichtung von Sprechstunden. Dabei kann mit dem Betriebsrat davon ausgegangen werden, daß angesichts der besonderen Struktur des Betriebes, bei der sich die Masse der Arbeitnehmer in der Regel nicht im Betrieb aufhält, sondern Kurierfahrten unternimmt, der Kontakt zwischen Arbeitnehmern und Betriebsrat erschwert sein kann. Deshalb können in einem größeren zeitlichen Umfang Betriebsratssprechstunden einzurichten sein, damit Arbeitnehmer sich an den Betriebsrat wenden können. Werden solche Betriebsratssprechstunden gemäß § 39 BetrVG eingerichtet, so hat dies zur Folge, daß zur Abhaltung der Sprechstunde im erforderlichen Umfang ein Betriebsratsmitglied gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgeltes zu befreien ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es indessen nicht erforderlich, ein Betriebsratsmitglied grundsätzlich von vornherein in bestimmtem Umfang von seiner Arbeitsleistung zu befreien. Vielmehr kann auch diese Betätigung durch eine Arbeitsbefreiung im Einzelfall gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ermöglicht werden.
IV. Bei dieser Sach- und Rechtslage bedarf es im vorliegenden Fall keiner Klärung der Frage, ob bereits die Geringfügigkeit des beantragten Umfangs der Arbeitsbefreiung der Zuerkennung einer pauschalen Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG entgegensteht (vgl. zum erforderlichen Mindestumfang einer pauschalen Freistellung gem. § 37 Abs. 2 BetrVG: BAG Beschluß vom 2. April 1974 – 1 ABR 43/73 – AP Nr. 10 zu § 37 BetrVG 1972).
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Kremhelmer, Schliemann, Trettin, Dr. Gerschermann
Fundstellen
BAGE, 34 |
BB 1992, 636 |
NZA 1992, 414 |
RdA 1992, 159 |